Forschende der Universität Zürich haben die
dreidimensionale Struktur des Rezeptors bestimmt, der bei der Chemotherapie
Übelkeit und Erbrechen auslöst. Die Studie zeigt erstmals, warum einige
Medikamente besonders gut gegen diese Nebenwirkungen helfen. Das Resultat
liefert auch neue Ansatzpunkte für die Entwicklung von effektiven Wirkstoffen
gegen andere Beschwerden.
Die meisten Krebspatienten, die sich einer Chemotherapie
unterziehen müssen, fürchten die damit verbundenen Nebenwirkungen, vor allem
Übelkeit und Erbrechen. Für diese unerwünschten Effekte ist ein Rezeptor im
Gehirn verantwortlich, der normalerweise durch den Botenstoff Neurokinin
aktiviert wird. Bei einer Chemotherapie wird dieser Rezeptor stark
überstimuliert. Der gleiche Rezeptor spielt auch eine zentrale Rolle für viele
weitere medizinische Probleme – etwa Migräne, Schmerzempfinden und starker
Juckreiz.
Seit der Entdeckung dieser Zusammenhänge vor dreißig
Jahren suchen Forschungsgruppen auf der ganzen Welt deshalb nach Wirkstoffen,
die diesen Rezeptor effektiv und lang anhaltend blockieren. Bis jetzt nur mit
beschränktem Erfolg: Viele der gefundenen Substanzen funktionieren zwar im
Reagenzglas sehr gut, doch nur wenige davon zeigen die gewünschte Wirkung beim
Patienten. Bis jetzt gab es für dieses Phänomen noch keine schlüssige
Erklärung.
Dreidimensionale Analyse der Strukturen erklärt die
Wirkungsweise
Einem Team von Forschenden am Institut für Biochemie der
UZH unter der Leitung von Prof. Andreas Plückthun ist es nun gelungen, dieses
Rätsel zu lösen: Hierfür untersuchten sie, wie die dreidimensionale Struktur des
Rezeptors aussieht, wenn zwei gut wirkende Medikamente – Emend™ (aprepitant)
und Akynzeo™ (netupitant) – an ihn gebunden sind. Zum Vergleich analysierten
sie auch die Bindung eines älteren Wirkstoffs, der nur im Reagenzglas
funktioniert. «Dabei konnten wir direkt sehen, wie die wirksamen Medikamente
einige Teile des Rezeptors so veränderten, dass sie sich nicht mehr so leicht
von ihm lösen konnten», erklärt Doktorand Jendrik Schöppe, der die
Strukturanalysen durchgeführt hat. «Der ältere Wirkstoff lagerte sich zwar
ebenfalls gut an den Rezeptor an, konnte ihn aber auch sehr schnell wieder
verlassen.»
Neue Lösungsansätze für andere medizinische Probleme
Mit Hilfe dieser Methode gelang es den Biochemikern,
genau zu ermitteln, welche chemischen Strukturen der Medikamente für eine
schwer zu lösende Bindung an den Rezeptor sorgen und somit eine lang anhaltende
Wirkung ermöglichen. «Dieses Resultat kann in Zukunft dabei helfen, noch mehr
dieser hochwirksamen Substanzen herzustellen», sagt Plückthun. Denn bis jetzt
gibt es noch keine Behandlungsmöglichkeiten für eine Vielzahl anderer
Beschwerden, die ebenfalls durch diesen Rezeptor beeinflusst werden –
beispielsweise Migräne, Asthma, Inkontinenz sowie Entzündungen und
Depressionen, wenngleich dort zusätzlich auch andere Rezeptoren eine Rolle
spielen. «Die Forschung auf diesen Gebieten bekommt durch das detaillierte
Verständnis der Struktur und des Mechanismus des Rezeptors nun möglicherweise
einen neuen Anstoss», hofft Plückthun.
Langzeitwirkung besser verstehen
Die Forschenden glauben, dass ihre Erkenntnisse auch bei
der Suche nach Wirkstoffen von Nutzen sind, die andere Rezeptoren als Ziel
haben. Der direkte Vergleich der Bindung von verschiedenen Wirkstoffen an
denselben Rezeptor gibt nämlich auch Hinweise darauf, welche generellen
Eigenschaften ein Medikament braucht, um lang anhaltend zu wirken. «All dies
haben wir nur herausgefunden, weil wir die Strukturen bis ins kleinste Detail
analysieren konnten. Und dies war wiederum nur möglich durch die Methoden der gerichteten
Evolution und des Protein-Engineering, die wir in den letzten Jahren entwickelt
haben», erklärt Plückthun, «Diese Investition hat sich jetzt ausgezahlt.»
Text © Universität Zürich 09.01.2019
Bildunterschrift:
Frau auf Sofa mit Kopftuch. Was unterscheidet
Medikamente, die gegen die Nebenwirkungen einer Chemotherpie helfen, von
solchen, die nicht funktionieren?
(Bild: istock.com/KatarzynaBialasiewicz)