Foto: Dr. Ulrich Schneider - Deutscher Paritätischer
Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e. V.
Während der laufenden
Koalitionsverhandlungen appellieren 15 Dachorganisationen, Verbände und
Fachgesellschaften aus Gesundheit, Sozialem, Ernährung und Umwelt an die
Parteien, Ernährungspolitik endlich wirksam anzugehen. Nur so gelingt es, dass
sich die Menschen in Deutschland künftig gesund und nachhaltig ernähren können
- unabhängig vom eigenen Geldbeutel. Deutschlands derzeitiges Ernährungssystem
ist ungesund, unsozial und höchst klima- und umweltschädlich. Es „stellt die
planetaren und gesellschaftlichen Belastungsgrenzen zunehmend auf die Probe“,
heißt es in dem Appell. Dieser liegt auch den Verhandlerinnen und Verhandlern
zur Ampelkoalition vor.
Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen
Gesamtverbandes: “Eine gesunde und nachhaltige Ernährung darf keine Frage des
Geldbeutels sein. Wir fordern eine Ernährungswende für alle, zu der die
Anpassung der Hartz IV Regelsätze ebenso gehört wie die Ermöglichung von gutem
Essen in Gemeinschaftseinrichtungen - von der Kita bis zum Krankenhaus.”
Im Appell unterstreichen die Initiator:innen: Die soziale,
gesundheitliche und ökologische Ernährungswende in Deutschland drängt und eilt.
Deshalb legt das Bündnis der künftigen Bundesregierung 10 Kernforderungen vor.
Zentral für den Umbau: Die Einrichtung einer „Zukunftskommission Ernährung”.
Analog zur „Zukunftskommission Landwirtschaft“ soll das breite Beratungsgremium
bis Ende 2022 ein Leitbild für eine sozial gerechte, gesunde, umwelt- und
klimaverträgliche und tierfreundliche Ernährung in Deutschland entwickeln. Auf
den Vorarbeiten der Kommission aufsetzend soll die Bundesregierung dann Anfang
2023 eine ressortübergreifende Ernährungsstrategie verabschieden und mit der Umsetzung
starten. Ausdrücklich betont das Bündnis, dass dazu auch gehören muss, künftig
faire Arbeitsbedingungen in allen ernährungsrelevanten Berufen und entlang der
gesamten Lieferkette zu gewährleisten.
Die 10 Kernforderungen an die kommende Bundesregierung:
Schaffung einer Zukunftskommission Ernährung: Ernährung geht
uns alle an, und es ist wichtig, alle relevanten Perspektiven zu
berücksichtigen. In die Zukunftskommission Ernährung werden Praktiker:innen,
Wissenschaftler:innen und gesellschaftliche Akteur:innen aus allen relevanten
Bereichen und Berufsgruppen eingebunden. Aufgabe der Zukunftskommission ist es,
bis Ende 2022 ein Leitbild für eine sozial gerechte, gesundheitsfördernde,
umweltverträgliche und dem Tierwohl zuträgliche Ernährung in Deutschland zu
entwickeln. Grundlage des Leitbildes sind die planetaren Belastungsgrenzen.
Erarbeitung einer ressortübergreifenden Ernährungsstrategie:
Die Bundesregierung verabschiedet Anfang 2023 eine ressortübergreifende
Strategie, die alle vier Nachhaltigkeitsdimensionen – Gesundheit, Soziales,
Umwelt und Tierwohl – beinhaltet sowie die planetaren Grenzen respektiert. Dazu
gehört auch die zukünftige Gewährleistung von fairen Arbeitsbedingungen in
allen ernährungsrelevanten Berufen und entlang der gesamten Lieferkette.
Zentrale Vorarbeiten hierfür leistet die Zukunftskommission Ernährung.
Lebensmittelbesteuerung auf den Prüfstand: Bis 2022
überprüft die Bundesregierung die Lebensmittelbesteuerung auf ihre Wirkung in
Bezug auf eine sozial gerechte, gesundheitsfördernde, umweltverträgliche und
dem Tierwohl zuträgliche Ernährung und erarbeitet konkrete Vorschläge. Ziel ist
es, dass zukünftig die gesunde und nachhaltige Wahl die einfache und günstigere
Wahl ist.
Sozial gerechte Ernährungspolitik: Eine Ernährungswende darf
nicht dazu führen, soziale Ungleichheiten zu verstärken, sondern muss vielmehr
dazu führen, dass eine gesundheitsfördernde und nachhaltige Ernährung allen
Menschen ermöglicht wird. Dies gilt insbesondere für einkommensschwächere
Bevölkerungsgruppen. Die Höhe der Sozialleistungen muss entsprechend angepasst
werden und die soziale Abfederung neuer Maßnahmen von Anfang an mitgedacht
werden.
Ernährungskompetenz fördern: Ernährungsbildung,
Ernährungsberatung und Ernährungstherapie gilt es, im Sinne einer sozial
gerechten, gesundheitsfördernden und umweltfreundlichen Ernährungskompetenz zu
stärken. Dies gilt auch für die Ausbildung pädagogischer und gastgewerblicher
Berufe, wie z. B. Erzieher:in, Lehrer:in oder Koch/Köchin. Ernährungsberatung
und Ernährungstherapie sollten zukünftig niedrigschwellig allen zur Verfügung
stehen.
Augenmerk auf Ernährung im Gesundheitswesen: Ziel der
Ernährungswende muss es sein, die Versorgung und Befähigung von Menschen mit
besonderen Ernährungsbedürfnissen zu gewährleisten. Es gilt, die Qualifizierung
und Verankerung von Ernährungsbildung und Ernährungstherapie im
Gesundheitswesen systematisch zu verbessern.
Gutes Essen bei der Gemeinschaftsverpflegung: Die
Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für die
Gemeinschaftsverpflegung werden evidenzbasiert und zeitnah mit Blick auf die
planetaren Grenzen weiterentwickelt und als Mindeststandard flächendeckend in
den verschiedenen Lebenswelten umgesetzt. Kitas, Schulen, Betriebe,
Krankenhäuser, Pflege- sowie Senioren- und Rehabilitationseinrichtungen müssen
in die Lage versetzt werden, für eine gesundheitsfördernde und nachhaltige
Ernährung zu sorgen. Dies muss durch Sozialkassen und Steuermittel refinanziert
werden.
Vorbild öffentliche Kantinen: Öffentliche Einrichtungen
müssen Vorreiter für eine nachhaltige und gesunde Ernährung und bei der
Schaffung von Märkten für nachhaltige Produkte und Dienstleistungen sein. Dazu
gehört die sukzessive Erhöhung des Anteils an Bioprodukten (50 % bis 2030)
sowie verpflichtende Maßnahmen zur Messung und Vermeidung von
Lebensmittelabfällen.
Verbindliche Regulierung von (an Kinder gerichteter)
Lebensmittelwerbung: Kinder sehen in Deutschland im Durchschnitt 15 Werbespots
für ungesunde Lebensmittel pro Tag – trotz unverbindlicher Versprechungen der
Werbeindustrie, solche Produkte nicht gegenüber Kindern zu bewerben. Deshalb
braucht es verbindliche gesetzliche Regeln, um Kinder in allen medialen
Formaten – einschließlich Social Influencing – vor Werbung für ungesunde
Lebensmittel zu schützen. Auch Werbung für Erwachsene muss stärker reguliert
werden.
Mehr nachhaltig produziertes Obst und Gemüse: Der
nachhaltige Anbau von Obst, Gemüse, Nüssen und Hülsenfrüchten in Deutschland
muss verstärkt gefördert und die Erzeuger:innen müssen unterstützt werden, um
eine ausgewogene und nachhaltige pflanzenbasierte Ernährung in Deutschland zu
ermöglichen
Der Appell wird getragen von: Berufsverband der Kinder- und
Jugendärzte e. V. (BVKJ), Bundesvertretung der Medizinstudierenden Deutschland
e.V. (bvmd), Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V. (BÖLW), BerufsVerband
Oecotrophologie e. V. (VDOE), Deutsche Adipositas Gesellschaft e.V. (DDAG),
Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), Deutsche Allianz
Nichtübertragbare Krankheiten (DANK), Deutsche Gesellschaft für
Ernährungsmedizin e.V. (DGEM), Deutsches Netzwerk Schulverpflegung e.V. (DNSV),
Ernährungsräte, Paritätischer Gesamtverband, Physicians Association for
Nutrition (PAN), Slow Food Deutschland e.V., Verband der Diätassistenten - Deutscher
Bundesverband e.V. (VDD), World Wide Fund for Nature Deutschland (WWF).
Initiiert wurde er von der Umweltschutzorganisation WWF Deutschland.
Zitat Tanja Dräger, WWF Deutschland: „Bislang schiebt
die Politik den Verbraucherinnen und Verbrauchern die alleinige Verantwortung
für eine gesunde, faire, umweltfreundliche und sozial gerechte Ernährung zu.
Das muss sich ändern, denn die Politik ist hier in der Bringschuld, nicht die
Menschen.“
Dokumente zum Download – Appell - Ernährungswende
anpacken: https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Fachinfos/img/211028_ErnaehrungswendeAnpacken_2021_final.pdf
Text / Foto: Der Paritätische Gesamtverband