Berlin, 16. Dezember 2021. Laut aktuellem
Paritätischen Armutsbericht hat die Armutsquote in Deutschland mit 16,1 Prozent
(rechnerisch 13,4 Millionen Menschen) im Pandemie-Jahr 2020 einen neuen
Höchststand erreicht.
Auch wenn das Ausmaß der Armut nicht
proportional zum Wirtschaftseinbruch und dem damit verbundenen
Beschäftigungsabbau zunahm, gibt es eindeutige Corona-Verlierer: So sind es
laut der Studie des Wohlfahrtsverbandes vor allem die Selbstständigen, unter
denen die Einkommensarmut zugenommen hat.
Der Verband wirft der Politik
armutspolitische Versäumnisse vor und appelliert an die neue Bundesregierung,
nicht nur die im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen wie
Kindergrundsicherung oder Verbesserungen bei Wohngeld und BAFöG zügig und
entschlossen anzugehen: Zwingend, so die Forderung, sei darüber hinaus
insbesondere eine bedarfsgerechte Anhebung der Regelsätze in der
Grundsicherung.
Der Bericht geht unter anderem auf die Lage
in den Bundesländern ein, die von tiefen Gräben zeugt: Während die beiden
süddeutschen Länder Bayern und Baden-Württemberg auf eine gemeinsame
Armutsquote von ‚nur‘ 12,2 Prozent kommen, weisen die übrigen Bundesländer eine
gemeinsame Armutsquote von 17,7 Prozent aus. Der Abstand zwischen Bayern (11,6
Prozent) und dem schlechtplatziertesten Bundesland Bremen (28,4 Prozent)
betrage mittlerweile 16,8 Prozentpunkte. „Deutschland ist nicht nur sozial,
sondern auch regional ein tief gespaltenes Land und die Gräben werden immer
tiefer. Wenn in einem Bundesland jeder zehnte und in dem anderen mehr als
jede*r vierte Einwohner*in zu den Armen gezählt werden muss, hat dies mit
gleichwertigen Lebensbedingungen in ganz Deutschland nichts mehr zu tun”, so
Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.
Neben soziodemografischen Aspekten und der
Zusammensetzung der Gruppe armer Menschen liegt ein Schwerpunkt des
Armutsberichts auf der Analyse der Pandemie-Auswirkungen. „Die allgemeinen Folgen der Pandemie trafen
Arme ungleich härter”, kritisiert Schneider. Insbesondere das Kurzarbeitergeld,
aber auch das Arbeitslosengeld I hätten zwar durchaus als Instrumente der Armutsbekämpfung
gewirkt, so ein Befund des Berichts. Doch seien vor allem Erwerbstätige, und
darunter vor allem die Selbständigen, die Einkommensverlierer der Corona-Krise
und das schlage sich auch in den Armutsquoten nieder: Zählte die
Mikrozensuserhebung 2019 unter den Erwerbstätigen insgesamt 8 und unter den
Selbständigen 9 Prozent Arme, kommt die 2020er Erhebung auf 8,7 Prozent bei den
Erwerbstätigen und sogar 13 Prozent bei den Selbständigen.
Der Paritätische kritisiert in dem Bericht
Versäumnisse der Großen Koalition, deren Krisenbewältigungspolitik zwar
teilweise neue Armut verhinderte, aber zu wenig für die Menschen getan habe,
die bereits vor der Pandemie in Armut lebten. „Eine ‚nur‘ um 0,2 Prozentpunkte
höhere Armutsquote als in der Erhebung aus 2019 darf als Hinweis darauf
verstanden werden, dass die rasch ergriffenen Unterstützungsmaßnahmen von Bund
und Ländern noch höhere Armutswerte durchaus verhindern konnten. Für die
Ärmsten und ihre besonderen Nöte hatte die große Koalition 2020 allerdings im
wahrsten Sinne des Wortes einfach nichts und in 2021 bestenfalls den berühmten
Tropfen auf den heißen Stein übrig”, so Schneider.
Von der neuen Ampel-Regierung fordert der
Verband eine schnellstmögliche Anhebung der Regelsätze in der Grundsicherung.
Schneider: „Der Regelsatz ist und bleibt die zentrale Stellgröße im Kampf gegen
die Armut und für den Zusammenhalt dieser Gesellschaft. Wer dies ignoriert,
wird keine erfolgreiche Armutspolitik machen können. Wir appellieren dringend
an die Bundesregierung, hier nicht weitere vier Jahre tatenlos zu bleiben.”
Der Armutsbericht des Paritätischen
arbeitet mit amtlichen Statistiken, u.a. einer Auswertung des Mikrozensus des
Statistischen Bundesamtes, der erstmals zuverlässige Armutsquoten für das
Pandemie-Jahr 2020 liefert. Der Vergleich der Ergebnisse aus den Erhebungen
2020 und 2019 ist aus methodischen Gründen nur eingeschränkt möglich. Doch
fügen sich die aktuellen Daten in das Bild der letzten Jahre: Rückblickend auf
2006 lässt sich ein stetiger Aufwärtstrend ausmachen, der auch 2020 nicht
gebrochen zu sein scheint. 2006 lag die Quote noch bei 14,0 Prozent.
Text / Foto: Der Paritätische Gesamtverband
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