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Christian Lindner  Martin Rulsch  1

LINDNER-Interview: Die AfD ist ein Schaf im Wolfspelz

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner (Foto) gab der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Beate Tenfelde.

Frage: Herr Lindner, haben Sie Angst vor der AfD? Im nordrhein-westfälischen Landtag haben Sie ja mit ihr zu tun…

Lindner: Angst? Nun wirklich nicht. Zu den Sachfragen hat sie keine Alternativen, die sie vorlegt. In NRW haben die gerade einen von der CDU Niedersachsen abgeschriebenen Antrag eingebracht. Die Arbeit an Konzepten und an Details von Gesetzen interessiert die nicht. Die AfD provoziert nur mit Parolen für die Medien und sozialen Netzwerke. Das verstehen die unter Politik. So kann man Menschen aufwiegeln, aber nichts Gutes bewirken. Die AfD ist sicher gefährlich, weil sie unser Volk für eine rassische, kulturelle und religiöse Einheit hält und Vielfalt bekämpft. Im parlamentarischen Alltag ist die AfD aber ein Schaf im Wolfspelz.

Frage: Sind Sie besorgt über das Umfrage-Plus der Rechten?

Lindner: Unsere Demokratie hält das aus. Wir sollten den Populisten nicht zu viel unserer Aufmerksamkeit schenken. Man muss damit umgehen, dass ein paar Glücksritter sich im Parlament schöne Jahre machen. Marcus Pretzell, der Ehemann von Frauke Petry, fährt sogar doppelt: Er hat zwei Mandate, eines im Düsseldorfer Landtag und eines im Europaparlament. Ein besonderer Fall von Pöstchenjägerei.

Frage: Was ist, wenn die AfD stärkste Oppositionspartei im Bundestag wird? Sie bekäme die meisten Redeminuten und den Vorsitz im wichtigen Haushaltsausschuss…

Lindner: Das können nur die Wähler verhindern. Es wäre blamabel für unser exportorientiertes Land, wenn plötzlich Verschwörungstheoretiker und Rechtsausleger im Bundestag als Erste sprächen. Die würden auch keinen Druck in den fachlichen Debatten machen, weil es totale Außenseiter wären. Also ist es besser, dass die FDP dritte Kraft wird. Wir könnten so entweder in der Regierung für Trendwenden sorgen oder als angriffslustige Opposition konstruktiv, aber unbequem die Regierung antreiben. Linkspartei und Grüne waren ja zuletzt als Opposition so spannend wie eingeschlafene Füße. Wer Kanzlerin Angela Merkel und der nächsten Großen Koalition den parlamentarischen Alltag erleichtern will, der wählt die AfD.

Frage: Aggressives Gebrüll auf den Marktplätzen macht Kanzlerin Merkel das Leben gerade ziemlich schwer…

Lindner: Das ist keine Form, wie Demokraten untereinander die Auseinandersetzung führen. Wir kritisieren auch Frau Merkel dafür, dass sie mit der Großen Koalition in den letzten vier Jahren die Probleme in Deutschland nicht gelöst, sondern vergrößert hat. Aber Probleme löst man nicht mit Geschrei, sondern mit Konzepten. Chaotische Flüchtlingspolitik, eine auf Umverteilung ausgerichtete Europapolitik mit immer neuen Geldtöpfen, eine nicht zukunftsfeste, dafür teurere Rente: Da müssen Fehler der Regierung korrigiert werden. Grüne und Linke haben Angela Merkel da eher noch angefeuert. Klar ist: So einfach wie bisher wird es nicht bleiben, wenn die FDP im Bundestag ist.

Frage: Und wenn es für Schwarz-Gelb im Bund langt: Eine angriffslustige Opposition und Teil der Regierung zu sein wird nicht gehen…

Lindner: Wir haben eine klare Strategie beschlossen und wollen Trendwenden. Wenn die möglich sind, treten wir in eine Regierung ein. Wenn nicht, bleiben wir draußen. Beste Bildung, die Digitalisierung als Chance, Selbstbestimmung statt Bürokratismus, das sind unsere Ziele. Dazu mehr Steuergerechtigkeit: Die Krankenschwester und der Ingenieur sollen materiell Wertschätzung spüren statt steigender Abgaben durch ein Steuersystem, das gerade die Mitte der Gesellschaft belastet. Ganz wichtig ist uns: Deutschland braucht ein Einwanderungsgesetz mit klaren Regeln. Das heißt: Asyl für individuell Verfolgte, Schutz auf Zeit für Flüchtlinge und dauerhafte Zuwanderung nur, wenn unsere Rechtsordnung geachtet, die deutsche Sprache beherrscht wird und der Lebensunterhalt gesichert ist. Ohne klare Einwanderungsregeln gibt es mit uns keine Koalition.

Frage: Für den Fall, dass es zu Schwarz-Gelb kommt, wollen Sie offenbar das Finanzressort. Amtsinhaber Schäuble will bleiben…

Lindner: Wir sprechen nicht über Posten oder Personalien vor der Wahl. Wir erwarten voller Respekt, was die Wählerinnen und Wähler am Sonntag entscheiden. Klar ist, dass ich weiß, wie groß der Einfluss des Finanzministers ist.

Frage: AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel peilt schon an, die SPD zu überrunden und zweitstärkste Kraft zu werden. Die Grünen machen SPD-Wechselwählern Avancen. Mitleid mit der SPD?

Lindner: Jede Partei kämpft für sich. Und während sich die Grünen seit Wochen an der FDP und mir persönlich abarbeiten, stellen wir die Themen unseres Landes nach vorne. Wir wollen gewählt werden für unser Programm, für unsere Prinzipien und für unser Personal. Jeder muss wissen, wir gehen in eine Regierung nur dann, wenn man etwas bewegen kann. Unsere Grundsätze infrage stellen? Das machen wir nicht mehr.

Frage: Wer genau macht Politik: die Politiker, die Medien, die Demoskopen?

Lindner: In diesem Wahlkampf hatte man teils den Eindruck, als hätten Medien und Meinungsforscher vieles dominiert. Nach meinem Geschmack geht es zu viel um Plakate, Posten und Koalitionsspekulationen. Und es geht zu wenig um Schlaglöcher, Funklöcher oder die Defizite bei der inneren Sicherheit sowie faire Entlastungen. Abschreckendes Beispiel ist das TV-Duell zwischen Kanzlerin Angela Merkel und ihrem SPD-Herausforderer Schulz. Da kamen Themen wie Bildung und Digitalisierung im Schlusswort vor. Wir wollen das wieder an die Spitze der Agenda bringen.

Frage: Trauen Sie Meinungsforschern noch? Hillary Clinton und Theresa May hatten super Prognosen und krasse Abstürze…

Lindner: Ich verlasse mich nicht auf Umfragen – auch nicht wenn sie gut sind. Ich verlasse mich auf volle Säle und volle Marktplätze. Mich motiviert, dass die FDP wieder über 60 000 Mitglieder hat und dass immer mehr Menschen wieder zu uns gehören wollen. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir im nächsten Bundestag wieder eine Rolle spielen können.

Frage: Zum Schluss: Wenn nach der Wahl am 24. September im Bundestag sieben Parteien in sechs Fraktionen säßen, müsste die FDP dann wieder schrill werden, um sich zu profilieren?

Lindner: Nein, wir haben ja auch vier Jahre außerparlamentarische Opposition gut überstanden, ohne in schrille Töne zu verfallen. Wir waren schnell, meinungsstark und gern auch mal selbstironisch, weil wir wissen, dass wir nicht unfehlbar sind. Und: Wir sind gelassen geblieben und unseren Grundsätzen treu. Trotzdem kann man sich an unseren Positionen reiben. Genauso soll es sein, wenn wir den Sprung ins Parlament schaffen: Die Inhalte zählen.