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Pflegenotstand

TV-Tipp-News: Pflege am Limit - Ein Beruf in der Krise • mdr • ab 20.45 Uhr • Dokumentation

25. März 2022

"Wir sind früh gekommen, da saß die Nachtschwester, erzählte von ihrer Schicht und fing an zu weinen: Ein kleines Kind wäre ihr in der Nacht fast verstorben, weil sie als einzige Schwester für 27 Patienten zuständig war", berichtet Stefanie Frindt. Bereits im 3. Jahr ihrer Ausbildung zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin entscheidet sie sich freiwillig dafür, das Krankenhaus zu wechseln.

Der Pflegereport der Bertelsmann Stiftung macht deutlich: Bis 2030 soll die Zahl der pflegebedürftigen Menschen um ca. 50 Prozent steigen. Gleichzeitig arbeiten immer weniger Fachkräfte in der Pflege. Prognosen zufolge werden zukünftig fast 500.000 Vollzeitkräfte in der Pflege fehlen. Nachwuchsmangel, fehlende Anreize für Auszubildende, zu wenig Personal, zu wenig Freizeitausgleich, zu wenig Zeit – viel Kritik an einem Beruf, den die Menschen unserer Reportage eigentlich mit Liebe und Leidenschaft ausüben, denn für sie ist Pflege mehr:

"Wir geben den Menschen ihre Würde zurück", betont Helena Hamann. Die gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin ist erst 25 Jahre alt und weiß doch schon, dass sie diesen Beruf nicht bis zur Rente durchhält. So auch Enrico Sinkwitz, der sich im Bündnis für Pflege in Dresden engagiert. Seit 18 Jahren lebt und liebt er seinen Job als Altenpfleger in einem Dresdner Seniorenheim, doch wie lange noch? "Die Altenpflege hat niemanden interessiert, nicht in den letzten 20 Jahren und bis heute nicht. Wir haben aber Leute, die sind 90 Jahre alt, die Dresden und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben. Das sind Zeitzeugen, das ist Geschichte, was man mit den Menschen besprechen kann, aber dafür fehlt ganz häufig die Zeit."

Warum ist das so? Mit der Einführung der Fallpauschalen für Krankenhäuser im Jahr 2003 wurde die Pflege von Patienten quasi ökonomisiert. Ein Patient wird nach Diagnose und Fall abgerechnet. Bei Zusatzbehandlungen und Komplikationen zahlt das Krankenhaus drauf. Krankenhäuser, die rote Zahlen schreiben, kürzen an anderer Stelle, zum Beispiel beim Pflegepersonal. Ähnlich läuft es bei der Altenpflege. Arbeitgeber in Seniorenheimen und in der mobilen Altenpflege sind gezwungen, wirtschaftlich zu arbeiten. Der Patient wird zum Kostenfaktor.

Trotz zahlreicher Gesetze für eine verbesserte Pflege-Versorgung wirken die Maßnahmen der Politik noch unzureichend, da sie nicht die grundsätzlichen Probleme des Gesundheitssystems im Kern anpacken, sondern nur Symptome beheben.

Mit der zusätzlichen Einführung der Impfpflicht für Pflegekräfte ab 15.03.2022 verschärft sich die Situation.

Hunderte Pflegekräfte wie Stefan Freiberg haben angekündigt, sich ab Mitte März einen neuen Job zu suchen, wenn sie indirekt zu einer Impfung gezwungen werden. Und immer mehr Pflegekräfte rebellieren. Gegen das Wegsehen der Politik, gegen die Ignoranz und das Ertragen der Situation in den eigenen Reihen. „Ich denke, es ist an der Zeit, dass Pflege für sich einsteht und dass man einfach mal den Mund aufmacht und versucht, etwas voranzubringen“, so Katharina Gocht-Hamann, die selbst seit über 30 Jahren in der Pflege tätig ist.

Wie soll der Pflegenotstand aufgehalten werden? Welche Strukturen unseres Gesundheitssystems machen das unmöglich und warum lohnt es sich trotzdem, für eine bessere Pflege zu kämpfen?

Film von Anke Reichardt und Alexander Preuss


Text / Foto: ARD