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Christian Lindner  Martin Rulsch  1

LINDNER-Interview: Mit Erdogan über die Voraussetzungen der NATO-Mitgliedschaft sprechen

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner ( Foto ) gab der „Passauer Neuen Presse“ (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz:

Frage: Herr Lindner, ist die schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf bereits die Blaupause für ein solches Regierungsbündnis in Berlin nach der Bundestagswahl? 
  
Lindner: Nein. In Düsseldorf verhandeln wir mit der CDU. In Kiel gibt es Gespräche über eine Jamaika-Koalition, und in Rheinland-Pfalz regiert die FDP erfolgreich mit der SPD. Die FDP ist eine eigenständige Partei. Wenn es gelingt, unsere Inhalte durchzusetzen, sind wir dabei. Andernfalls gehen wir in die Opposition, wie in Baden-Württemberg, wo wir die Offerten von Herrn Kretschmann abgelehnt haben. 
  
Frage: Die Erfolgswelle des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz scheint bereits wieder abgeebbt zu sein. Erst der Hype, jetzt die Ernüchterung – wie ist eine solche Entwicklung zu erklären?
  
Lindner: Politik lebt ja von Ereignissen. Die SPD hat sich anfangs an sich selbst berauscht, viele Medien haben sich von diesem Hype anstecken lassen. Nach den Niederlagen im Saarland, in Schleswig-Holstein und NRW ist Herr Schulz in der Defensive. Nach dem Hype fragt man sich, wofür die SPD steht, aber sie hat bislang kein Programm vorgelegt. Das ist wenig Innovatives oder Neues. Damit gewinnt man keine neuen Wählerinnen und Wähler. Wenn die SPD jetzt wieder schwächelt, wird die Ambition der Union, ein gutes Programm vorzulegen auch noch geringer ausgeprägt sein. Für die FDP öffnet sich hier eine große Flanke. Wir wollen eine Agenda 2030, das Land wieder flexibler und endlich digitaler machen. Die wichtigste Zukunftsaufgabe ist bessere Bildung und nicht Umverteilung.
  
Frage: Ist der Hype um Sie und die FDP womöglich auch schnell wieder vorbei?
  
Linder: Ich erkenne keinen Hype bei der FDP. Wir haben seit 2015 stetig und nachhaltig unsere Position gefestigt und ausgebaut. Wir haben bei Landtagswahlen dazugewonnen und allein in diesem Jahr fast 5000 neue Mitglieder. Wir erinnern an die Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der Menschen, und das zahlt sich aus. Aber wir wissen: bis zur Bundestagswahl kann sich noch viel verändern. Ich bin zuversichtlich, dass die FDP die Rückkehr in den Bundestag schaffen und ein sehr respektables Ergebnis erzielen wird. Wir wollen dritte Kraft im Bundestag werden. Das ist realistischer geworden. Aber sicher ist nichts. 
  
Frage: Sie stellen Steuerentlastungen von 30 Milliarden Euro in Aussicht. Wie wollen Sie dieses Wahlversprechen umsetzen und finanzieren?
  
Lindner: Bis 2021 wird der Staat pro Jahr Mehreinnahmen von 145 Milliarden Euro erzielen. CDU und SPD wollen uns weismachen, dass von dem Geld nichts mehr übrig sein soll. Damit geben wir uns nicht zufrieden. Angesichts der Zusatzeinnahmen müssen 30 bis 40 Milliarden Euro Entlastung drin sein. Das ist eher noch bescheiden - und wäre vor allem ein Gebot der Fairness. Wir wollen eine Entlastung, die alle spüren: Rentner, Bafög-Empfänger, Hartz-IV-Empfänger und die fleißigen Arbeiter in unserem Land. Wir wollen die Stromsteuer senken, den Soli abschaffen, die kalte Progression lindern und die Hinzuverdienst-Möglichkeiten für Hartz-IV-Bezieher erhöhen. Wir brauchen insgesamt eine neue Balance zwischen Bürger und Staat. 
  
Frage: Wieder ein grausamer Terroranschlag mit vielen Opfern in Manchester. Müssen wir uns an solche Attentate gewöhnen und damit in Zukunft leben? 
  
Lindner: Es darf niemals Routine werden. Jeder von uns ist angesichts solcher schrecklichen Nachrichten wie von dem Anschlag in Manchester geschockt. Dennoch: Es ist ein Zeichen der Reife einer Gesellschaft, dass sie nicht in Panik verfällt und sich nicht einschüchtern lässt. Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden, innerhalb Europas wie in Deutschland, muss weiter verbessert werden. Das zeigen die jüngsten Anschläge – von Amri bis Manchester. Wir brauchen eine neue europäische Sicherheitsarchitektur. 
  
Frage: Donald Trump übt heftige Kritik an Deutschland, brüskiert die NATO-Partner und sorgt auch beim G7-Gipfel für Unverständnis. Wie bewerten Sie das Verhalten und die Politik des US-Präsidenten? 
  
Lindner: In der amerikanischen Diplomatie gibt es täglich neue Befürchtungen, dass sich der US-Präsident wieder blamieren könnte. Donald Trump handelt impulsiv und ist nicht immer gut informiert. Die Bundesregierung sollte vor allem auf die vernünftigen Kräfte in der neuen US-Administration setzen und versuchen, dort Einfluss zu nehmen. 
  
Frage: Nicht nur der US-Präsident kritisiert den hohen deutschen Außenhandelsüberschuss. Auch europäische Partner fordern hier Korrekturen. Zeit für mehr Investitionen?
  
Lindner: Deutschland ist wirtschaftlich stark und erfolgreich, weil wir gute Produkte liefern. Wir exportieren aber auch enorm viel Kapital ins Ausland. Davon profitieren auch andere Länder. Niemandem in Europa wäre damit geholfen, wenn Deutschland schwächer wird. Die anderen EU-Partner werden nicht stärker, wenn wir uns bremsen. Andere Staaten wie Frankreich müssen ihre Hausaufgaben machen und selbst wettbewerbsfähiger werden. Das gilt auch für die USA.
  
Frage: Der Konflikt mit der Türkei spitzt sich weiter zu. Kanzlerin Angela Merkel hat dem türkischen Präsidenten mit dem Abzug der deutschen Soldaten vom Luftwaffenstützpunkt Incirlik gedroht, sollte Ankara das Besuchsverbot für Abgeordnete nicht aufheben. Müssen den Worten jetzt nicht Taten folgen? 
  
Lindner: Es wird höchste Zeit. Wenn Ankara nicht einlenkt, sollten die Bundeswehrsoldaten abgezogen werden. Immerhin: Kanzlerin Merkel hat ihren Kurs gegenüber der Türkei in den vergangenen Monaten korrigiert. Die Türkei-Politik der Bundesregierung ist gescheitert. Die deutschen Truppen sollten aus der Türkei abgezogen werden. Die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara müssen gestoppt werden. Wir müssen auch mit Herrn Erdogan über die Voraussetzungen der türkischen Mitgliedschaft in der NATO sprechen. Die NATO-Staaten sind auch durch Werte verbunden. Wer sich nicht an die Werte und die Regeln hält, kann der Allianz nicht weiter angehören. Das muss man klar und deutlich sagen. Niemand wünscht sich das Ausscheiden der Türkei aus der NATO. Aber das Verhalten der türkischen Führung ist auf Dauer nicht hinnehmbar.
  
Frage: Der Ruf nach mehr Geld für äußere und innere Sicherheit wird immer lauter. Muss Deutschland hier künftig einen höheren Beitrag leisten? 
  
Lindner: Für Sicherheit und Krisenprävention wird man in Zukunft höhere finanzielle Mittel einplanen müssen. Zwei Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes nur für die Bundeswehr und die Verteidigung einzusetzen, erscheint mir allerdings zu hoch. Wir brauchen eine vernetzte Krisenprävention und sollten drei Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes für Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit und Verteidigung ausgeben.