Magdeburg, 9. Januar 2020 – Sachsen-Anhalt liegt beim Verbrauch von
Blutkonserven deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Zwischen Arendsee
und Zeitz sind im Jahr 2017 bei 7,2 Prozent aller Operationen
Bluttransfusionen gegeben worden – das ist der dritthöchste Wert in
Deutschland (Bundesdurchschnitt: 6,6). Schlusslicht ist Mecklenburg Vorpommern mit 7,7 Prozent. Bayern ist Spitzenreiter, dort werden bei 6,1
Prozent der Operationen Blutkonserven eingesetzt. Immerhin ist der Trend in
Sachsen-Anhalt positiv: 2009 waren noch bei 9,6 Prozent der OPs
Bluttransfusionen zum Einsatz gekommen. „Bluttransfusionen können Leben
retten, daran besteht kein Zweifel. Kein Zweifel besteht aber auch daran, dass
die Ressource Blut immer knapper wird“, sagte Axel Wiedemann,
Landesgeschäftsführer der BARMER in Sachsen-Anhalt, bei der Vorstellung
des BARMER-Krankenhausreports am Mittwoch in Magdeburg mit Blick auf
die sinkende Zahl der Blutspender. Die Krankenkasse plädiert deshalb für
eine konsequente Umsetzung des Konzepts Patient Blood Management
(PBM) in Sachsen-Anhalts Kliniken, um mehr Blut einzusparen. Mit dem PBM
werden Patientinnen und Patienten optimal auf Operationen vorbereitet und
Blutverluste bestmöglich reduziert.
Geringere Sterblichkeit bei guter Vorbereitung
Helfen kann Patient Blood Management vor allem Menschen mit Blutarmut
(Anämie). „Der BARMER-Krankenhausreport zeigt auf, dass Patienten, die
unter einer Blutarmut leiden und vor einer planbaren Operation nicht
entsprechend behandelt wurden, schlechtere Behandlungsergebnisse
aufweisen. Darüber hinaus ist auch die Sterblichkeitsrate bei bestimmten
Eingriffen höher“, sagte Wiedemann. Allein in Sachsen-Anhalt wurde nach
Auswertungen der BARMER im Jahr 2017 bei rund 100.000 Menschen eine
Blutarmut dokumentiert – die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher sein.
Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation zufolge sind etwa 25 Prozent der Bevölkerung von Blutarmut betroffen – das würde mehr als 500.000
Menschen in Sachsen-Anhalt entsprechen.
Anämie bleibt oft unentdeckt
Bei einer Anämie ist der Hämoglobinwert des Blutes vermindert, was den
Bedarf an Bluttransfusionen im Falle eines Blutverlustes signifikant erhöht. In
zahlreichen Fällen bleibt die Blutarmut jedoch unentdeckt. Wird sie aber vor
planbaren Operationen im Rahmen des PBM erkannt und mit einer
Ernährungsumstellung oder der Gabe von Eisenpräparaten behandelt, sind
bessere Behandlungsergebnisse, eine niedrigere Sterblichkeitsrate, kürzere
Krankenhausaufenthalte, geringere Kosten und ein geringerer Verbrauch an
Blutkonserven die Folge. Patienten mit Blutarmut bekommen wesentlich
häufiger Bluttransfusionen verabreicht als Patienten ohne. Beispielsweise
haben in den Jahren 2005 bis 2016 rund 67 Prozent der Patienten mit
Blutarmut bei einer Bypass-Operation am Herzen eine Transfusion erhalten.
Demgegenüber stehen Patienten ohne Blutarmut, von denen beim gleichen
Eingriff lediglich 49 Prozent eine Bluttransfusion gegeben werden musste. Die
Sterblichkeitsrate nach Bypass-Operationen liegt bei Anämie-Patienten bei 4,3
Prozent, bei Patienten ohne Blutarmut lediglich bei 1,8 Prozent.
In Sachsen-Anhalt ist noch kein Krankenhaus im PBM-Netzwerk
Neben der gezielten Behandlung von Anämien geht es beim Patient Blood
Management darum, Patientinnen und Patienten durch die Stärkung
körpereigener Blutreserven optimal auf Operationen vorzubereiten. Bei den
OPs kommen blutsparende Techniken wie minimalinvasive Eingriffe zum
Einsatz. Außerdem wird darauf geachtet, dass die Blutgerinnung funktioniert
oder Wundblut aufbereitet und zurückgegeben wird. Häufig ist es zudem
möglich, das Volumen der Blutprobenröhrchen zu verringern. Blutverluste vor,
während und nach planbaren Eingriffen fallen so wesentlich niedriger aus,
Transfusionen samt Risiken werden unwahrscheinlicher. „Zahlreiche
Bluttransfusionen sind mit dem Patient Blood Management vermeidbar“, sagte
Wiedemann. „Ob und in welchem Umfang Patient Blood Management in
Sachsen-Anhalt umgesetzt wird, ist leider nicht bekannt“, bedauerte
Wiedemann. In Deutschland sind bisher rund 40 Kliniken im „PBM-Netzwerk“
aktiv, in Sachsen-Anhalt ist noch kein Krankenhaus dabei. Ein zentrales
Landesregister oder anderweitige Informationsquellen für Patienten gibt es nicht. Die Kliniken sollten ihre Verfahrensweise mit Blutkonserven deshalb
öffentlich transparent machen, forderte Wiedemann.
Klinikum Magdeburg nimmt eine Vorreiterrolle ein
In Sachsen-Anhalt setzt das Klinikum Magdeburg bereits blutsparende
Techniken ein. „Unser Ziel ist es schon immer, so viel wie nötig und so wenig
wie möglich zu transfundieren“, sagt Regina Gnade, Laborleiterin am Klinikum
Magdeburg. In dem kommunalen Haus werden Indikationen sorgsam und
streng gestellt. 2017 hatte sich die Klinikum Magdeburg gGmbH an das PBMNetzwerk gewandt. „Zum damaligen Zeitpunkt gab es EDV-Probleme, weitere
Kliniken in das Netzwerk einzubinden“, berichtet Regina Gnade. Der
Datenaustausch war damals also eine Einbahnstraße. „Wir erhielten dennoch
wertvolle Hinweise und Anregungen zum PBM“, sagt sie. Das Ergebnis: Die
Mitglieder der Transfusionskommission haben begonnen, die bisherige
Strategie mit allen Verantwortlichen dem PBM anzupassen.
Entwicklungsschwerpunkte der Klinikum Magdeburg gGmbH sind seitdem:
- Unter Federführung der Klinik für Anästhesie und lntensivmedizin –
Gerinnungsmanagement, Maschinelle Autotransfusion und
perioperatives Management (z.B. Wärmemanagement) sowie weitere
Anpassung der Transfusionsstrategie
- konsequente Umsetzung der S3-Leitlinie Polytrauma als
überregionales Traumazentrum mit entsprechendem
Schockraummanagement und prästationäre Gabe von Antifibrinolytika
(Blutungs- oder Plasminhemmer) und Infusionstherapie
- Einsatz blutsparender Techniken durch die operativen Klinken bei
mikrochirurgischen Eingriffen und des da-Vinci-OP-Roboters (Roboterassistierte, minimal-invasive Operationstechnik)
- Schulung der Mitarbeiter mit Schwerpunktindikation
- restriktive Blutentnahmen durch Reduzierung der Volumina der
Entnahmesysteme, breite Einführung von Blutgasanalysegeräten mit
erweitertem Analysespektrum
Appell an das Land:
Mehr Investitionen nötig
Durch diese Maßnahmen ist im Klinikum Magdeburg im Vergleich von 2015 zu
2019 eine Reduktion der Transfusionen von Erythrozytenkonzentraten (EK)
um 25 Prozent erreicht worden. Das entspricht etwa 1500 EK. Mit diesem Ergebnis stehe man nicht allein da, berichtet die Laborleiterin. „Ich kenne aus
Fortbildungen viele transfusionsverantwortliche Ärzte aus Kliniken unseres
Landes, die in ihren Einrichtungen die gleichen Anstrengungen unternehmen.“
Doch was ist erforderlich, um die Situation in Sachsen-Anhalt weiter zu
verbessern? Regina Gnade findet klare Worte: „Aus unserer Sicht sind
Investitionen des Landes notwendig, um Ausrüstungen in den
Operationssälen schneller auf den neuesten Stand von Wissenschaft und
Technik anzupassen wie es in der Richtlinie Hämotherapie gefordert wird.“ Es
werden Mittel für moderne Diagnostiksysteme, das Gerinnungsmanagement
(z.B. Rotem) sowie für Software und Schnittstellen benötigt, die eine einfache
Erfassung und Auswertung der Daten ermöglichen. Des Weiteren sollten sich
aus Sicht von Regina Gnade auch andere Akteure des Gesundheitswesens
mit PBM beschäftigen. „Hier muss sektorenübergreifend gedacht werden,
sodass sich auch die Kollegen im ambulanten Bereich und den Laboren für
die Thematik öffnen und die Patientinnen und Patienten bereits in den Praxen
adäquat auf eine OP vorbereitet werden.“
Mehr zum Thema:
· Blutarmut vorbeugen: Blässe, Müdigkeit und Erschöpfung sind Anzeichen einer Blutarmut. Grund für eine Anämie kann zum Beispiel eine starke Regelblutung bei Frauen sein, aber auch ein Mangel an Nährstoffen wie Vitamin B12 und Folsäure. Am häufigsten entsteht die Anämie durch Eisenmangel. Das Spurenelement spielt eine entscheidende Rolle als Baustein der Blutkörperchen. Diese Form der Krankheit lässt sich einfach behandeln: Meist genügt eine Ernährungsumstellung, bei der anfangs viel Eisen zugeführt wird, um die Depots zu füllen, und später dafür Sorge getragen, dass sich kein Mangel mehr einstellt. Eine große Menge des wichtigen Spurenelements steckt beispielsweise in Schweineleber und Austern. Vegetarier und Veganer können sich mit Hülsenfrüchten behelfen: Linsen, Erbsen und weißen Bohnen. Weitere pflanzliche Eisen-Lieferanten: Pfifferlinge und rote Bete.
· Patient Blood Management (PBM): PBM umfasst Maßnahmen für den effizienten Umgang mit Blutprodukten zur Steigerung der Patientensicherheit. Das Konzept basiert auf drei Säulen.
- Säule 1 – Anämie erkennen und behandeln: Zentrale Maßnahmen sind Diagnose und Behandlung einer Anämie. Damit sollte bereits im Vorfeld von planbaren Operationen mit hoher Transfusionswahrscheinlichkeit begonnen werden. Bei planbaren Eingriffen handelt es sich um Operationen, die keine Notfälle sind und um einen gewissen Zeitraum verschoben werden könnten. Die Therapie der Anämie ist dabei gemäß der Ursache zu wählen. Es sollten Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Medikamenten beachtet werden.
- Säule 2 – Blutverlust vermeiden: Ziel ist die Minimierung von Blutverlusten bei gleichzeitigem Einsatz fremdblutsparender Maßnahmen. So kann beispielsweise vor Operationen das Blutungsrisiko abgeklärt werden, kleinere Entnahmeröhrchen verringern Blutverluste und OP-Abläufe können im Hinblick auf minimale Blutverluste optimiert werden. Während Operationen werden blutsparende chirurgische Techniken wie zum Beispiel minimalinvasive Eingriffe angewendet, blutstillende Mittel kommen zum Einsatz und es werden Maßnahmen zur Bluterhaltung, wie bspw. maschinelle Autotransfusion (Blutverluste bei OP werden aufgefangen, gewaschen und dem Patienten zurück transfundiert) umgesetzt.
- Säule 3 – Blutkonserven rational einsetzen: Hierbei geht es um Maßnahmen, die auf den rationalen Einsatz von Blutkonserven abzielen. Es soll ein starkes Bewusstsein für eine sorgfältige Abwägung bezüglich der Entscheidungen über Bluttransfusionen geschaffen werden. Erst wenn rationale Kriterien erfüllt sind, sollte eine Transfusion verabreicht werden.
· Bluttransfusionen: Wenn die Rede von einer Bluttransfusion ist, dann ist damit die Transfusion eines Erythrozytenkonzentrats gemeint, also ein Konzentrat aus roten Blutkörperchen. Ein Bestandteil der roten Blutkörperchen ist der rote Blutfarbstoff Hämoglobin, ein eisenhaltiges Protein. Dieses befähigt die roten Blutkörperchen zum Transport von Sauerstoff im Blut. Im Jahr 2017 sind in Deutschland 38,9 Erythrozytenkonzentrate je 1.000 Einwohner verbraucht worden. In keinem anderen Land der Welt wird so viel Blut verbraucht. Beispielsweise waren es in den Niederlanden nur 23,8 Erythrozytenkonzentrate je 1.000 Einwohner.
· Blutarmut: Eine Blutarmut, auch als Anämie bezeichnet, ist ein Mangel an roten Blutkörperchen (Erythrozyten) und rotem Blutfarbstoff (Hämoglobin). Die Hauptaufgabe der roten Blutkörperchen ist es, Sauerstoff von der Lunge zu den verschiedenen Geweben des Körpers zu transportieren.
· PBM-Netzwerk Deutschland: Das Deutsche Patient Blood Management Netzwerk bietet Kliniken aller Versorgungsstufen eine Plattform der Zusammenarbeit für das gemeinsame Ziel einer gesteigerten Patientensicherheit. Es ist das größte Netzwerk seiner Art in Deutschland. Gegründet wurde es im Jahr 2014 am Universitätsklinikum Frankfurt. Aktuell sind rund 40 Krankenhäuser offiziell Mitglied im Netzwerk.