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Neue Studie der WEISSER RING Stiftung zeigt: Opfer werden im Ermittlungsverfahren oft zusätzlich belastet

Kriminalitätsopfer und Angehörige von Opfern fühlen sich von Polizei und
Staatsanwaltschaft nicht immer angemessen behandelt. Dies zeigt eine neue Studie, die
von der WEISSER RING Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Die Stiftung fordert die
Ermittlungsbehörden auf, gegenzusteuern. „Die Opferschutzbeauftragten bei der Polizei
müssen gestärkt werden“, sagte Roswitha Müller-Piepenkötter, Vorsitzende des
Stiftungskuratoriums, bei der Vorstellung der Studie im Bundeskriminalamt (BKA)
Wiesbaden. Darüber hinaus müssten Polizisten und Staatsanwälte intensiver für die
Perspektive des Opfers sensibilisiert werden – „am besten schon in der Aus-, und dann in
der Weiterbildung“, so Müller-Piepenkötter.

Die Studie wurde von einem Forscherteam der Universitäten Heidelberg und Gießen
sowie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit Mannheim durchgeführt. Die
Forscher analysierten unter anderem 178 Strafakten mit 251 Erhebungsbögen, führten
87 qualitative Interviews mit Opfern und Angehörigen, werteten 320 an Opfer gerichtete
Fragebögen aus und nahmen an Gruppengesprächen mit Polizisten, Anwälten,
Opferhelfern und Therapeuten teil.

Die Ergebnisse geben Einblick in die Belastungen vieler Opfer während eines
Ermittlungsverfahrens: Laut Strafaktenanalyse dauerten Vernehmungen oft länger als
zwei Stunden, vielfach kam es zu Mehrfachvernehmungen. Darüber hinaus war bei
weniger als zwei Prozent aller Vernehmungen ein Rechtsanwalt des Opfers dabei. In den
Interviews gaben Betroffene zu Protokoll, dass sie sich oft rechtfertigen mussten oder
Ermittler die Privatsphäre nicht beachteten. Die Analyse der Fragebögen zeigt, dass sich
52 Prozent der Befragten über den Verfahrensstand und 50 Prozent über ihre Rechte
nicht genug informiert fühlten. 41 Prozent erhielten ihrer Meinung nach zu wenige
Informationen über Hilfsmöglichkeiten.

„Die Ergebnisse zeigen deutlich, wie sehr ein Ermittlungsverfahren ein Opfer noch
zusätzlich zur Tat an sich belasten kann“, sagte Jörg Ziercke, Präsident des BKA a. D. und
stellvertretender Bundesvorsitzender des WEISSEN RINGS. Natürlich sei es Aufgabe der
Ermittlungsbehörden, nach einer Straftat die Wahrheit herauszufinden. Dass Opfer
hierfür gegebenenfalls mehr als einmal befragt werden müssten, sei unausweichlich.
„Allerdings stehen Ermittler hierdurch umso mehr in der Pflicht, mit aller Behutsamkeit
vorzugehen und frühzeitig zu erkennen, wie weitere Belastung für ohnehin schon
traumatisierte Menschen vermieden werden kann“, betonte Ziercke.

Peter Henzler, Vizepräsident beim BKA: „Menschen, die Opfer von Straftaten geworden
sind, sind meist die wichtigsten, teilweise gar die einzigen Zeugen. Sie sind für uns als
Ermittler oft die ersten, deren Aussage wir aufnehmen. Das bedeutet auch, dass
Polizistinnen und Polizisten zu den ersten Ansprechpartnern zählen, auf die Opfer von
Kriminalität unmittelbar nach dieser einschneidenden Erfahrung treffen. Wir müssen
uns daher immer wieder bewusst machen, dass das, was für uns tägliches Geschäft ist, für
die Opfer meist eine bislang unbekannte, absolute Ausnahmesituation darstellt.“ Obwohl
der Umgang mit Opferzeugen in die Aus- und Fortbildung der Polizeibeamtinnen und -
beamten einfließt, gebe es laut Henzler hierfür kein Patentrezept. „Vielmehr benötigt
man ein hohes Maß an Feingefühl und Erfahrung, um auf die Ängste und Bedürfnisse
von Opferzeugen einzugehen.“

Kuratoriumsvorsitzende Müller-Piepenkötter sah auch das Problem, dass Opfer im
Ermittlungsverfahren zu oft auf sich allein gestellt sind. „Wichtig ist, dass Betroffene von 
Anfang an jemanden an ihrer Seite haben, der ihre Rechte vertritt und der sie über das,
was gerade passiert, aufklären kann.“ Aus diesem Grund fordert die WEISSER RING
Stiftung die Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer auf, den
Fachanwalt für Opferrechte einzuführen. „Dies würde die nötigen Rahmenbedingungen
schaffen“, so Müller-Piepenkötter.