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Magdeburg-News: Kranichschutz und Hochwasserschutz bilden laut Axel Schonert vom NABU eine Einheit


veröffentlicht am Freitag, 19. Januar 2024

Magdeburg/Kelbra. Die aktuelle Hochwasserlage in Deutschland ist ein alarmierendes Zeichen für derzeitige und künftige Auswirkungen des Klimawandels. Das zeigt nicht zuletzt die seit Wochen angespannte Situation an vielen Flüssen, Deichen und Talsperren in Deutschland. Besonders betroffen ist in diesem Kontext der Helmestausee westlich von Kelbra an der Grenze zu Thüringen. Der NABU Sachsen-Anhalt nimmt die aktuelle Lage als Anlass, um über die Zusammenhänge zwischen hohen Wasserständen, Stauregime und Artenschutz am Helmestausee zu informieren und Vorurteile auszuräumen.

Noch unter der ehemaligen Umweltministerin Dalbert wurde eine Behördenarbeitsgruppe aus Experten gebildet, in Folge derer das Stauregime an der Talsperre Kelbra durch den Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt einvernehmlich angepasst wurde. Durch eine sorgfältige Steuerung des Wasserstands wird seit 2019 nicht nur die Sicherheit der umliegenden Gemeinden stärker gewährleistet als die Jahre zuvor, sondern auch der Lebensraum für seltene und bedrohte Tierarten geschützt.

Besonders hervorzuheben ist hierbei der Kranichschutz. Axel Schonert von der Landesarbeitsgruppe Kranichschutz erklärt: „Die Region am Helmestausee ist ein international bedeutender Rastplatz für Zugvögel, wobei hier jeden Herbst bis zu 150.000 Kraniche rasten und Tagesmaxima zwischen 25.000 und 50.000 Individuen festgestellt werden.“ Vor ihrem Weiterflug nach Spanien nutzen die Kraniche Ruhestätten und Nahrungshabitate am Stausee, um ihre Reserven aufzufüllen – der nächste große Rastplatz auf der westlichen Zugroute befindet sich etwa 600 Kilometer entfernt in Frankreich, der Lac du Der-Chantecoq, der größte Stausee Frankreichs. „Aufgrund dieser immensen Bedeutung wird der Schutz und das ungestörte Rasten der Kraniche und vieler anderer Arten durch gezielte Maßnahmen, wie das ausgewiesene Vogelschutzgebiet und spezielle Schutzzonen, das angepasste Stauregime, Besucherlenkung und den Einsatz von Rangern sichergestellt.“, so Schonert weiter.

Optimale Habitatbedingungen für den Kranich, insbesondere Rastplätze mit niedrigen Wasserständen, sind eng mit dem Stauregime verknüpft. Kraniche sind diversen Störungen ausgesetzt, allen voran durch Raubsäuger, Schwarzwild und den Menschen. Ihre Schlafplätze wählen die Tiere daher sorgfältig aus. Schlammflächen, Wasserlachen und Flachwasserzonen bis 20 Zentimetern gelten als ideal. Hier wird deutlich: Hochwasserschutz und Kranichschutz bilden eine Einheit!

Das aktuelle Stauregime verbindet beide Schutzziele am Helmestausee sehr intelligent. Bereits ab Mai sorgt der Verzicht auf den Verdunstungsausgleich für permanent sinkenden Wasserstand bis August/September. Anfang Oktober, zur Hauptrast vieler Zugvögel, ist das Becken dann nur noch zu etwa einem Drittel gefüllt und wird laut aktuellem Stauregime bis zum Jahreswechsel noch weiter entleert. Genau das passierte auch kurz vor der verheerenden Hochwasserwelle Ende 2023.

Das abgelassene Wasser sorgte für die wichtigen Kapazitäten für kommendes Hochwasser und schuf gleichzeitig optimale Bedingungen für die Kranichrast. Der stellvertretende Landesvorsitzende des NABU Sachsen-Anhalt, Martin Schulze, kennt den Stausee und dessen Vogelwelt seit den 1980er Jahren: „Wenn das Becken bis auf Restwassermengen nahezu leer ist und große Schlammflächen das Bild prägen, finden Limikolen, Reiher, Enten, Gänse, Möwen und Kraniche fantastische Rastmöglichkeiten vor. In den vergangenen drei Jahren konnte belegt werden, dass viele Feuchtgebietsarten durch die Rückkehr zum alten Stauregime wieder ihre maximalen Bestandsgrößen aus den 1970er bis 1990er Jahren erreichten. Auch damals wurde der Stausee im Spätsommer/Herbst stets abgelassen.“

Die derzeitige Hochwassersituation liefert daher beste Argumente für die Fortführung des aktuellen Stauregimes, von dem auch zahlreiche Vogelarten profitieren. Der NABU Sachsen-Anhalt, der am Stausee ein sechsjähriges Naturschutzprojekt plant, und die Landesarbeitsgruppe Kranichschutz unterstützen diese Einheit aus Hochwasser- und Vogelschutz seit Jahren.

Somit ist klar: weder Umweltministerium noch das derzeitige Stauregime oder der Vogelschutz sind für die aktuelle, dramatische Hochwasserlage verantwortlich. Im Gegenteil, die Strategie, das Wasser bereits ab dem Frühsommer zu senken und ab Spätsommer aktiv abzulassen, dient zweifellos dem Schutz der Bevölkerung vor Hochwasser und auch den gefiederten Bewohnern des Helmestausees. Dieser Einklang aus Arten- und Hochwasserschutz ist für den Schutz des Menschen und den Erhalt der ökologischen Vielfalt in der Region von größter Bedeutung.

Für einen deutlich verbesserten Hochwasserschutz an der Helme müssen hingegen ober- und unterhalb des Stausees endlich große Retentionsräume durch Rückverlegung der Deiche geschaffen werden. Der Helmestausee konnte die Fluten nicht verhindern, sondern nur abmildern. Flüsse brauchen mehr Raum, damit sich das Wasser in der Landschaft besser verteilen kann. Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist diese jahrzehntealte Forderung des NABU wieder topaktuell. 

Bildunterschrift: Kranichrast am Helmestausee (aufgenommen am 24. Oktober 2021)


Text: NABU Sachsen-Anhalt
Foto: Axel Schonert