header-placeholder


image header
image
Online Geschichte Katzen auf Mauer

Lucy & Dicki, Teil 3 – Eine Geschichte von Annemarie Stern aus Haldensleben

Katzenliebe und Störenfriede

26. August 2018


Eine Geschichte von Annemarie Stern

An einem Sonntagmittag kam unser Dicki nicht allein zum Fressen. Er sah sich immer wieder um, und gab ein zärtliches Schnurren und Miauen von sich. Und da sah ich sie. Ein schwarzes Katzenköpfchen schaute neugierig um die Ecke unseres Kellereingangs. Dicki lief ihr entgegen und irgendwie gelang es ihm, die schwarze Katze zum Steintritt zu locken. Vielleicht war es aber auch der Duft des gekochten Hühnerfleisches, der sie magisch anzog. Unser Dicki sah zu, wie es seiner Freundin schmeckte. Vorsichtig stellte ich ein zweites Schälchen für Dicki daneben. Dann würde es für uns eben etwas weniger Frikassee zum Mittag geben. Ich sah mir seine Freundin an. Sie war eine richtige Katzenschönheit. Pechschwarz, mit einem weißen Lätzchen und hellgrünen, leuchtenden Augen. Sie trug ein Flohhalsband mit einem kleinen silbernen Glöckchen. Gute Wahl getroffen, Dicki!

Wenn sie nicht mehr so scheu war, wollte ich nachschauen, zu welcher Familie sie gehörte. Aber es dauerte einige Zeit, bis sie sich nicht mehr vor meiner Hand wegduckte. Dann gelang es mir das Halsband zu öffnen, aber mit einem Murren und einem gewaltigen Satz sprang sie weg und ich hielt nur das Halsband in der Hand. „Lucy“ entzifferte ich und eine Telefonnummer. „Liebe Lucy, schöne Lucy, komm zu mir“, lockte ich sie. Sie sah mich mit ihren grünen Augen prüfend an, und kam wieder näher, ließ sich ihr Halsband umlegen. Von nun an sah ich die Zwei öfter. Und sie verschwanden auch gemeinsam. 

Eines Tages lag eine tote, arg zerfledderte junge Amsel unter unserer Hofbank. Traurig hob ich das Vögelchen auf und hielt es den beiden Strolchen unter die Nasen. „Was soll denn das, ihr Bösewichte! Bekommt ihr nicht genug zu fressen? Pfui, pfui, pfui!“, schimpfte ich die beiden Übeltäter aus. Erst sahen sie mich verständnislos an. Keine unvorsichtigen Vögel fangen! Aber das ist doch ein angeborener Reflex bei Katzen! Dann sahen sie mich mitleidig an. Menschen! Sie sprangen vorsichtshalber über die Gartenmauer und verschwanden. Ich hörte sie durch den Nachbargarten toben, und ihr lautes Katzengeschrei. Katzen- und Katerliebe! Vielleicht wollte Dicki seiner Freundin imponieren und hatte für sie die Amsel gefangen? Wer weiß... 

Einmal, als ich aus dem oberen Kinderzimmer auf den Hof schaute, sah ich die Zwei auf der Mauer, die unser Grundstück umgibt. Lucy stolzierte provozierend, richtig mit dem Hintern wackelnd, vor Dicki her. Dicki gab ein aus tiefer Brust kommendes, schauriges Katergeschrei von sich. Als er mich erblickte, ging sein entsetzliches Schreien in sein Miauen über, das ich von ihm kannte. Mit einem Mal war er wieder das liebe, kleine Katerchen. Lucy sah sich irritiert um, bevor sie mit einem Satz in den Nachbargarten hopste. Dicki sprang hinterher. Und ihr Katzengeschrei fing von vorn an. Einem Bäckergesellen gefiel das abendliche Musizieren der Beiden überhaupt nicht. Er schrie aus seinem Fenster: „Könnt ihr eure Konzerte nicht woanders halten? Ich muss morgens früh raus! Warum setzt ihr euch immer unter mein Fenster? Na wartet!“ Am nächsten Abend warf er eine Blumenvase mit Inhalt auf die zwei Musikanten. Lucy entwischte, aber der verliebte Dicki erkannte die Gefahr zu spät. Er wurde über und über mit dem übelriechenden Blumenwasser durchnässt. Und er bemerkte vor Schreck nicht einmal, dass sich eine Rose in seinem Ohr verhakt hatte. So kam er nach seiner Schmach nach Hause gewetzt. Von nun an gaben Lucy und Dicki ihre Konzerte auf unserer Mauer. 

Eines Abends sah ich die beiden Verliebten wieder dort sitzen und sie sangen ihre schaurig schönen Lieder noch verzückter als sonst. Gerade wollte ich das Fenster schließen, da sah ich, dass ein riesiger Schäferhund an unserer Mauer hochsprang. Die beiden Sänger verließen fluchtartig ihren Platz. Dicki raste in den Stall, in deren Tür ein Katerloch für ihn ausgeschnitten war. Aber Lucy folgte ihm nicht. Sie wollte nur nach Hause und von ihren Menschen beschützt werden. Aber der Hund Rex hatte noch eine alte Rechnung mit Lucy offen. Zu sehr hatte sie ihn vom Mansardenfenster aus gereizt. Nun wollte er sich rächen. Lucy hatte instinktiv die Abkürzung durch die Gärten gewählt und es war ihr nur ein klitzekleiner Vorsprung gelungen. Sie erreichte ihr zu Hause nur mit knapper Mühe. In letzter Sekunde und mit allerletzter Kraft konnte sie sich unter dem Hoftor durchschieben und entwischen. Rex heulte wild, sprang kläffend und jaulend immer wieder am Hoftor hoch. Aber er glitt immer wieder ab. Seine Krallen ratschten am Holz entlang. Nun hatte ihn die Nachbarskatze schon wieder an der Nase herumgeführt. Er konnte das nicht fassen! Undine sah nach, was der Lärm zu bedeuten hatte. Als sie den wild kläffenden, großen Hund erblickte, erkannte sie sofort auch eine Gefahr für ahnungslose abendliche Spaziergänger. Der Hund war nicht angeleint! Sie rief sofort auf der nächsten Polizeiwache an. Sollte etwas Schreckliches passieren, sie könnte sich nie verzeihen, wenn sie das nicht gemeldet hätte. Lucy war so verstört, dass sie sich freiwillig von ihren Menschen streicheln und  trösten ließ. Wenn sie nun das Grundstück verließ, dann nie sehr weit und unter größter Vorsicht. 

Dicki vermisste seine Freundin sehr. Er hielt immer öfter nach Lucy Ausschau. Eines Abends traf er sie endlich unweit ihres Zuhauses. Glücklich raste er auf sie zu, um sie zärtlich zu begrüßen. Lucy aber teilte ihrem Freund ein paar schmerzhafte Bachpfeifen aus und tänzelte davon. „Launische Katze“, dachte Dicki und schlich betrübt nach Hause. Inzwischen hatte ich auch Kontakt zu Lucys Frauchen aufgenommen. Undine erzählte mir, dass sie für Lucy ein Katzenkörbchen vorbereitet habe. Da sollten Lucys und Dickis Katzenbabys geboren werden. Aber Lucy zog dann doch das frischbezogene Bett ihres Frauchens vor. Wie ihr Frauchen schrie, als sie die Katzenbabys in ihrem Bett entdeckte! Nach Freude klang das nicht. Das verwunderte Lucy dann doch sehr. Warum wurden ihre Babys von Undine in das Körbchen gelegt? Sie verteidigte jedes ihrer Babys mit Ihren Krallen, bis es endlich in seinem Katzenbett lag. Es waren vier wunderschöne Katzenbabys. Mit Dicki auf dem Arm besuchte ich Undine, Helmut und Lucy mit ihren Babys. Lucy fauchte Dicki wie wild mit aufgestelltem, buschigem Schwanz böse an. Dicki konnte die Babys nur von meinem Arm aus ansehen. Ob er verstand, dass diese niedlichen Kätzchen auch seine Kinder waren? 

So entstand aus einer Katzenliebe auch eine Menschenfreundschaft, die nun bereits jahrelang besteht.