Foto: Häufig und oft unheilbar - Kind mit akuter
lymphoblastischer Leukämie.
Die akute lymphoblastische Leukämie ist in der Schweiz
die häufigste Krebsart bei Kindern und leider oft unheilbar. Forschende der
Universität Zürich und des Universitäts-Kinderspitals Zürich haben nun einen
Weg gefunden, die treibende Kraft dieser Leukämie auf molekularer Ebene
auszuschalten und eine gezielte Therapie zu entwickeln.
Die akute lymphoblastische Leukämie (ALL) ist eine Form
von Blutkrebs, die vor allem Kinder und Jugendliche betrifft. Statt gesunder
weisser Blutkörperchen bilden sich im Blut der Betroffenen grosse Mengen von
bösartig entarteten Vorläuferzellen. Der Grund dafür ist häufig eine
Veränderung im Erbgut: Durch die Verschmelzung von zwei Chromosomen entstehen
neue abnorme Gene, welche die Steuerung der normalen Blutentwicklung
durcheinander bringen. Solche Leukämien sind oft sehr resistent und weder mit
intensiver Chemotherapie noch durch eine Stammzelltransplantation heilbar. Um
neue Angriffspunkte zu finden, hat ein Team von Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern der Universität Zürich und des Universitäts-Kinderspitals
Zürich die molekularen Ursachen dieser Fehlsteuerung nun genauer unter die Lupe
genommen.
Abnormes Protein aktiviert Gene zum falschen Zeitpunkt
Hierfür analysierten die Forschenden unter der Leitung
von Jean-Pierre Bourquin und Beat Bornhauser ein Protein namens TCF3-HLF, das
für diese Form der Leukämie typisch ist. Dieses – natürlicherweise nicht
vorkommende – Protein entsteht durch die Verschmelzung von zwei Chromosomen und
enthält Teile von sogenannten Transkriptionsfaktoren, die das Ablesen
bestimmter Gene aktivieren. Wie die Untersuchungen zeigten, aktiviert das
abnorme Protein TCF3-HLF ebenfalls eine ganze Reihe von Genen – allerdings im
falschen Kontext und zum falschen Zeitpunkt während der Blutentwicklung. Dies
führt zur Bildung der bösartigen weissen Blutkörperchen und löst die Leukämie
aus. «Unsere Forschungsarbeiten zeigen, dass das abnorme Protein an fast 500
regulatorische Abschnitte im Erbgut der menschlichen Leukämie-Zellen bindet.
Dadurch werden Hunderte von Genen fälschlicherweise aktiviert», erklärt Yun
Huang, Erstautor der Studie.
Leukämie-Auslöser dank «Gen-Schere» entschlüsselt
Die Forschenden fanden auch heraus, dass das abnorme Protein
nicht alleine agiert, sondern über 100 weitere Proteine um sich sammelt, die
bei der Aktivierung der Gene mithelfen. «Wir haben die Funktion der einzelnen
Proteine dieser Maschinerie untersucht und so therapeutisch angreifbare
Schlüsselkomponenten identifiziert», sagt Huang. Hierfür nutzten er und seine
Mitarbeitenden die als «Gen-Schere» bezeichnete CRISPR/Cas9-Methode, mit der
sie gezielt einzelne Teile der Maschinerie ausschalten konnten. So fanden sie
elf kritische Faktoren, die für die Leukämie essentiell sind. Ohne diese
Faktoren bilden sich keine bösartig entarteten Blutzellen.
Neuartige Substanz tötet gezielt Krebszellen
Eine dieser neu identifizierten, essentiellen Komponenten
ist das Protein EP300, das als Kofaktor die Aktivierung von Genen verstärkt.
Ein Experiment mit Mäusen zeigte, dass EP300 ein vielversprechender
Angriffspunkt für eine Therapie ist: Hierfür nutzten die Forschenden eine
neuartige Substanz namens A-485, von der bekannt ist, dass sie an EP300 bindet
und dessen Aktivität hemmt. In Mäusen, die menschliche Leukämiezellen in sich
trugen, starben die bösartigen Zellen nach Gabe von A-485 ab. «Es ist also im
Prinzip möglich, die fundamental treibende Kraft dieser Leukämie direkt
auszuschalten und somit eine gezielte Therapie zu entwickeln», sagt
Forschungsgruppenleiter Jean-Pierre Bourquin. «Nun ist es wichtig, das
fehlgeleitete Programm vollständiger zu charakterisieren, um die bestmöglichen
Kombinationen solch spezifischer Angriffsmöglichkeiten zu erforschen.» Da auch
andere Leukämien durch ähnliche Mechanismen entstehen, lässt sich dadurch
möglicherweise auch ein gemeinsamer Nenner identifizieren, um neue Medikamente
gegen Krebs zu entwickeln.
Literatur:
Yun Huang et al. The Leukemogenic TCF3-HLF
Complex Rewires Enhancers Driving Cellular Identity and Self-Renewal Conferring
EP300 Vulnerability. Cancer Cell. 14 November 2019. DOI:
10.1016/j.ccell.2019.10.004
Kollaborationen und Finanzierung
Wichtig für die Studie war die Zusammenarbeit mit den
Arbeitsgruppen von Marie-Laure Yaspo vom Max-Planck Institut für Genomik in
Berlin und von Matthias Gstaiger an der ETH Zürich. Die Arbeit entstand im
Rahmen des Klinischen Forschungsschwerpunkts (KFSP) «Precision
Hematology/Oncology» der Universität Zürich.
Die Arbeit wurde unterstützt von: Krebsliga Schweiz,
Schweizerischer Nationalfond, Stiftung Kinderkrebsforschung Schweiz, Stiftung
Empiris, Stiftung Panacée, Stiftung Krebsforschung Schweiz, KFSP «Human
Hemato-Lymphatic Diseases» und KFSP «Precision Hematology/Oncology».
Text / Foto: Universität Zürich - UZH / (Bild: Gabriela
Acklin, Universitäts-Kinderspital Zürich)