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Pflege Pflegeheim alte Haende pixabay

Magdeburg-News: Armutsfalle Pflegeheim – Eigenanteile in der Pflege senken | Anger (Linke)



veröffentlicht am Samstag, 11. November 2023

Magdeburg. Nicole Anger (Foto), gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, betonte in der jüngsten Landtagsdebatte zu den Eigenanteilen in Pflegeheimen:

„Kommen wir [...] mal zu einem Thema, über das sich viele lieber keine Gedanken machen wollen. Wir alle wünschen uns doch alle, bis zum letzten Tag, und der möge erst im sehr hohen Alter sein, fit und gesund zu bleiben. Aber bei einigen kommt es anders. Sie werden pflegebedürftig, und dann steht die Entscheidung ambulante Pflege zu Hause oder stationär in einer Pflegeeinrichtung. Im Land Sachsen-Anhalt haben wir etwas mehr als 166.000 pflegebedürftige Menschen – das sind 7,5 Prozent der Bevölkerung oder anders ausgedrückt mehr als jede 13. Person. Davon leben rund 27.600 in der vollstationären Pflege.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle einen besonderen Dank an all die Pflegekräfte in den Altenheimen des Landes. Gerade vor kurzem bei einem Besuch einer Pflegeeinrichtung mit Demenzstation konnte ich mich wieder einmal davon überzeugen, wie wertschätzend und liebevoll die Pflegekräfte mit den Bewohner:innen der Pflegeeinrichtung umgehen. Mit welcher Ruhe und Freundlichkeit sie bei all den alltäglichen Dingen jeden Tag, sieben Tage die Woche, Unterstützung bieten!

Pflegebedürftigkeit und der Schritt, seinen Lebensabend in einer Pflegeeinrichtung zu verbringen, ist für viele Menschen schon sehr einschneidend. Und das wird beim Blick auf die Kosten in einer stationären Pflegeeinrichtung, die man selbst tragen muss, noch viel einschneidender. Bundesweit lauert bei einem Drittel von ihnen bei einem Umzug ins Pflegeheim die Altersarmut: Ruin in einer Lebensphase, die eigentlich von Geborgenheit, Zuwendung und Sicherheit geprägt sein sollte. Ein Lebensabschnitt, in dem man sich einmal mehr wünscht, die letzten Lebensjahre sorgenfrei und gut versorgt in einer schönen Umgebung verbringen zu können.

Doch weit gefehlt! Jetzt beginnen die Sorgen erst recht, denn viele Betroffene können sich die endlos steigenden Kosten, also die zu zahlenden Eigenanteile nicht lange, wenn überhaupt, leisten. Das mühsam Ersparte – wenn überhaupt vorhanden - muss zuerst herhalten. Und das nach einem Leben voller Arbeit, Sparsamkeit und Unabhängigkeit. Jetzt, wo man sich die kleinen Freuden des Lebens gönnen könnte, winkt der soziale Abstieg und schließlich der Gang zum Sozialamt.

Es gibt Menschen, die sich erst gar nicht um einen Platz in der Pflegeeinrichtung bemühen. Weil Ängste und Sorgen sie quälen – Angst, dass das Geld nicht reicht, Angst und Scham davor, ein Sozialfall zu werden. Also bleiben sie allein zu Hause, werden bestenfalls von Angehörigen betreut und gepflegt. Auch für Angehörige ist das nicht in jedem Falle eine leichte Situation.

Man übernimmt noch einmal ganz anders Verantwortung füreinander, muss 24/7 da sein für die zu pflegende Person. Nicht jeder kann das, nicht jede will das. Also kommt es dazu, dass Pflegebedürftige allein sind, in Isolation zurückgelassen und vereinsamen. Nicht selten kommen Pflegebedürftige erst sehr spät und dann mit einem hohen Pflegebedarf in die Einrichtung. Dort bleibt ihnen dann nicht mehr viel Lebenszeit. Sie kommen also im wahrsten Sinne des Wortes nur noch zum Sterben dorthin. Das belastet auch sehr das Personal.

Das sind Folgen, weil Stationäre Pflege nicht erst zum Luxus wird, sondern sie es schon ist! Zunehmend mehr pflegebedürftige Menschen können sie sich einfach nicht mehr leisten! Aber als Gesellschaft müssen wir uns daran messen lassen, wie wir mit unseren Ältesten und Schwächsten umgehen. Die Eigenanteile in Sachsen-Anhalt für einen stationären Pflegeplatz haben sich in den letzten sechs Jahren nahezu verdoppelt. Betrugen die Kosten der Eigenanteile im Jahr 2017 noch durchschnittlich rund 1.130 Euro pro Monat, so sind dies im Jahr 2023 bereits 2.150 Euro monatlich.

Die Eigenanteile speisen sich aus den Kosten der Unterkunft, also Miete, Verpflegung, einer Ausbildungsumlage sowie Investitionskosten, d.h. dass Bewohner:innen auch für Aus- und Umbau des jeweiligen Pflegeheims zur Kasse gebeten werden. Eigentlich sollten ja nur Kosten für Unterkunft und Verpflegung selbst getragen werden. Alle pflegerischen Kosten hingegen gehören in die Pflegeversicherung. Eigentlich! Das dem nicht so ist, wissen wir. Mit einer durchschnittlichen Ostrente – Frauen im Schnitt 1.133 Euro (2022) und Männer 1.353 Euro (2022) - liegen die Menschen im Land weit hinter der Höhe der Eigenanteile. Es liegt auf der Hand, dass viele alte und gleichzeitig pflegebedürftige Menschen sich mit einer durchschnittlichen Ostrente, diese Eigenanteile nicht leisten können.

Wir haben innerhalb eines Jahres einen Anstieg von fast 19 Prozent bei den Eigenanteilen. Ich sage es deutlich: Tendenz steigend! Wobei die Renten nicht in gleicher Rasanz wie die Kosten in der stationären Pflege steigen. Das ist ein Missverhältnis, das nur zu einer Katastrophe führen kann. Die Betroffenen und auch ihre Angehörigen wissen nicht, wie sie diese Kosten decken können.

Auch bei Paaren droht oftmals das Abrutschen in die Altersarmut. Und zwar dann, wenn einer der beiden ins Pflegeheim muss. Sie gelten als Bedarfsgemeinschaft und müssen für den Unterhalt der pflegebedürftigen Person aufkommen. Dieser Pflegebedarf des einen, bedeutet nicht selten die Armut für den anderen. Immer mehr alte Menschen müssen das erste Mal im ihrem Leben Sozialhilfe beantragen, wenn sie ins Pflegeheim gehen. Nicht wenige von ihnen schämen sich dafür. Einige beantragen die staatlichen Hilfen auch nicht. Verstehen sie doch nicht, warum sie 40, 45 oder mehr Jahre gearbeitet haben, und zum Lebensende sich nicht mehr selbst finanziell für sich sorgen können.

Dies führt zu einer steigenden Zahl von Anspruchsberechtigten im Rahmen der Sozialleistungen. Und wir haben momentan eine Zunahme von mehr als einem Drittel mehr Anträge beim Träger der Sozialhilfe. Können Sie sich vorstellen, wie das für die Betroffenen ist? Wie sich das anfühlen muss? Was das mit den alten Menschen macht? Es ist hochgradig entwürdigend. So kann es keinesfalls weitergehen! Und es wird mitnichten so sein, dass die Höhe der Eigenanteile stabil bleibt – sie steigen weiter und weiter und ein Ende ist nicht abzusehen.

Dieser Anstieg kommt durch teurere Preise wie bei Lebensmitteln, Energie zustande, aber auch durch höhere Löhne und der tariflichen Bezahlung des Pflegepersonals. Gerade in Zeiten des zunehmenden Personalmangels und zur Fachkräftesicherung und -gewinnung sind Tarife unentbehrlich. Hinzu kommen angestaute Kosten im Bereich der Investitionskosten bei den Einrichtungen. Hier kann und muss das Land Sachsen-Anhalt die Finanzierung über das Corona-Sondervermögen hinaus übernehmen und ein entsprechendes Förderprogramm auf den Weg bringen.

Ausgehend von den auf die Bewohner:innen der Pflegeeinrichtungen umgelegten Investitionskosten sind hier 100 Millionen Euro je Jahr einzustellen. Eine solche Beteiligung an diesen Aufwendungen kann einer weiteren Steigerung der Pflegekosten effektiv entgegenwirken. Und sie kann die Bewohner:innen von Pflegeeinrichtungen spürbar entlasten. Aber diese Investitionskosten reichen nicht aus, um pflegebedürftige Menschen vor Armut zu schützen.

Deswegen wollen wir ein Landespflegegeld. Es ist unumgänglich, ein Landespflegegeld auf den Weg zu bringen, welches Bewohner[...] von Pflegeeinrichtungen – einkommensabhängig  einen angemessenen finanziellen Zuschuss zu den zu leistenden Eigenanteilen gewährt. Wie das genau aussehen soll, wollen wir gemeinsam mit Ihnen entwickeln. Wir wollen Sie beteiligen. Ich weiß, Sie erwarten immer fertige Konzepte, die wir vorlegen sollen. Aber seien wir mal ehrlich – diese lehnen Sie doch eh ab. Also ist es doch nur konsequent, wir entwickeln das gleich zusammen.

Beide Maßnahmen – Investitionskosten und Landespflegegeld  wirken der drohenden „Armutsfalle Pflegeheim“ deutlich entgegen. Sie können den drohenden Ruin Betroffener abwenden. Und sie werden dazu beitragen, dass die Menschen sich ein bisschen leichter für einen Platz im Pflegeheim entscheiden können. Eben genau die, die dies nicht getan haben, weil sie kein Sozialfall werden wollten. Auch der drohenden Vereinsamung von Menschen kann so mit Sicherheit effektiv entgegengewirkt werden.

Die drastisch steigenden finanziellen Belastungen für die Pflegebedürftigen sind zu stoppen. Dazu sind auf der Bundesebene zwingend Maßnahmen zu ergreifen, die das individuelle Pflegerisiko und damit verbundene Armutsrisiko durch Pflege absenken. Es muss endlich eine Pflegevollversicherung geben. Eine echte Pflegevollversicherung, die alle pflegerischen Leistungen uneingeschränkt abdeckt.

Wir alle, unsere Angehörigen können früher oder später in die Lage kommen, auf Pflege angewiesen zu sein. Es kann jede und jeden treffen. Umso wichtiger, dass wir uns dem Thema annehmen. Wir müssen uns damit befassen und Lösungen finden, die nachhaltig sind und alle Menschen und ihre individuelle Lebenssituation einbeziehen. Pflegebedürftigkeit und die daraus folgende Notwendigkeit, einen Pflegeheimplatz in Anspruch nehmen zu müssen ist für viele schon schmerzlich genug, lassen Sie uns das erleichtern. Ein stationärer Pflegeplatz und eine adäquate Pflege und Betreuung darf kein Luxus sein. 

Die Pflege und all die damit verbundenen Anforderungen und Leistungen müssen dauerhaft und rechtsverbindlich als wesentlicher Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge des Staates verankert werden. Die Landesregierung ist aufgefordert, die Landkreise und kreisfreien Städte bei dieser herausfordernden Aufgabe zwingend aktiv unterstützen muss. Lassen Sie uns das nicht länger auf dem Rücken der pflegebedürftigen Bewohner[...] der Einrichtungen austragen! Die Pflege muss gemeinnützig werden. In der Pflege ist kein Platz für Gewinnstreben. Gesundheit und Pflege sind keine Waren.“

 
Text: DIE LINKE. Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt
Symbolfoto: pixabay