Arbeiten gehen, obwohl man sich krank
fühlen. Dieses Phänomen nennt sich Präsentismus.
In der Pflegebranche ist es besonders
verbreitet.
(ams). Viele Menschen in Deutschland tun
das: Sie gehen arbeiten, obwohl sie sich krank fühlen. Dieses Phänomen nennt
sich Präsentismus. In der Pflegebranche ist es besonders verbreitet, wie eine
aktuelle bundesweite Befragung des AOK-Bundesverbandes unter 500
Führungskräften aus Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern zeigt. Danach gaben
mehr als ein Drittel der befragten Führungskräfte (36 Prozent) an, in den
vergangenen zwölf Monaten trotz Erkrankung arbeiten gegangen zu sein. Knapp ein
Viertel der befragten Personen mit Personalverantwortung (23 Prozent) erklärten
zudem, sie seien sogar entgegen dem ausdrücklichen ärztlichen Rat zur Arbeit
gegangen.
"Viele Beschäftige tendieren im
Arbeitsalltag häufig dazu, eigene Belastungsgrenzen aus Loyalität zum Team zu
überschreiten. Sie sind der Überzeugung, dass sie ihrem Unternehmen und den
Kolleginnen und Kollegen etwas Gutes tun, wenn sie krank zur Arbeit erscheinen.
Ein weiterer Grund für Präsentismus: Pflege ist ein besonderer Beruf. Pflegende
bauen eine persönliche Beziehung zu den Menschen auf, um die sie sich kümmern
und fühlen sich für sie verantwortlich", sagt Werner Winter, Experte für
Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) im AOK-Bundesverband. Das spiegelt sich
auch in den Antworten der befragten Leitungskräfte wider: So gaben 44 Prozent
der Befragten Pflichtbewusstsein, Verantwortungsgefühl oder die eigene
Vorbildfunktion als Gründe für ihr Verhalten an. Knapp ein Viertel (23 Prozent)
begründete es mit Personalmangel, jede sechste Person (16 Prozent) mit hoher
Arbeitsbelastung.
Risiko für Belegschaft und Unternehmen
"Dabei birgt Präsentismus viele
Risiken für Belegschaft und Unternehmen", sagt AOK-Experte Winter.
"Die Betroffenen erholen sich nicht angemessen, Krankheiten können
chronisch werden und Beschäftigte fallen womöglich noch länger aus." Im
Falle von Infektionskrankheiten können andere, etwa Teammitglieder angesteckt
werden. Auch das Fehler- und Unfallrisiko steigt nachweislich. Gerade in der
medizinischen und pflegerischen Versorgung können Fehler schwere Konsequenzen
nach sich ziehen und kranke und pflegebedürftige Menschen in Gefahr bringen.
Wertschätzende Unternehmenskultur
"Die beste Vorbeugung gegen
Präsentismus besteht nach derzeitigem Forschungsstand in einer wertschätzenden
Unternehmenskultur, in der die Gesundheit der Beschäftigten einen hohen
Stellenwert hat, aber auch Arbeitsunfähigkeiten als etwas Normales im
Berufsalltag betrachtet werden. In einem Unternehmen, das verständnisvoll mit
Fehlzeiten und krankgemeldeten Teammitgliedern umgeht, fällt es Beschäftigten
leichter, zu Hause zu bleiben, wenn sie sich krank fühlen", erklärt
Winter. Auch Fort- und Weiterbildungsangebote, die das Gesundheitswissen und
damit die Ressourcen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärken, wirkten sich
positiv aus.
AOK-Initiative
"Pflege.Kräfte.Stärken."
Mit einer bundesweiten Initiative
"Pflege.Kräfte.Stärken." zur Betrieblichen Gesundheitsförderung in
der Pflege will die AOK diesem Problem begegnen und dazu beitragen, die
Arbeitsbedingungen für Beschäftigte in der Pflege zu verbessern. Dazu stellt
die Gesundheitskasse zahlreiche Angebote bereit, die sie gemeinsam mit der
Pflegebranche für deren Beschäftigte entwickelt hat.
Eines davon ist die Pflege-Mediathek der
AOK. "Die digitale Lernplattform bietet multimediale Schulungen rund um
Pflege, Prävention und Betrieblicher Gesundheitsförderung an, die Unternehmen
der Pflegebranche kostenfrei einsetzen können", so Winter. Bisher haben
schon mehr als 3.200 Pflegeeinrichtungen die professionell aufbereiteten
Inhalte für interne Fortbildungen und E-Learnings genutzt.
Das AOK-Online-Programm "Gesund
führen" hilft Verantwortlichen in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern
dabei, eine mitarbeiterorientierte und gesunde Führungskultur aufzubauen.
"Hilfreich ist zum Beispiel, offen über das Thema Präsentismus zu
sprechen, sodass das gesamte Team dafür sensibilisiert wird. Klare
Stellvertreter-Regelungen helfen außerdem, festzulegen, wer welche Aufgaben im
Krankheitsfall übernimmt", erläutert der BGF-Experte.
Neue Online-Trainings
In neuen Online-Trainings zur gesunden
Arbeitsgestaltung und Organisationskultur in der Pflege können sich
professionell Pflegende zudem aktiv mit diesen Themen auseinandersetzen und
konkrete Ideen für ein gesundes Arbeitsklima in ihrem Team sammeln. Der Fokus
liegt unter anderem auf Kommunikation, Wertschätzung sowie dem Umgang mit
Konflikten und Fehlern. Die Trainings sind Teile des Forschungsprojekts
"CARE4CARE", das die AOK zusammen mit der Beuth Hochschule für
Technik Berlin, der Leuphana Universität Lüneburg, der Technischen Hochschule
Lübeck und der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg durchführt.
Text / Foto: AOK-Bundesverband / istock_sdominick_stq