Freitag, den 20. Dezember 2019
Mit Urteil von gestern stellt der Gerichtshof klar, dass die Haftung einer Fluglinie für Verbrühungen,
die dadurch entstehen, dass während eines Fluges heißer Kaffee aus nicht geklärten Gründen
umkippt, nicht voraussetzt, dass sich ein flugspezifisches Risiko realisiert hat.
Im vorliegenden Fall verlangt ein junges Mädchen von der österreichischen Fluglinie Niki Luftfahrt
GmbH (in Liquidation) Schadensersatz wegen Verbrühungen, die sie erlitt, als bei einem Flug von
Palma de Mallorca nach Wien der ihrem Vater servierte und vor ihm auf seinem Abstellbrett
abgestellte heiße Kaffee aus nicht geklärten Gründen umkippte. Die Fluglinie weist ihre Haftung
zurück, weil es sich um keinen Unfall im Sinne des die Haftung von Fluglinien bei Unfällen
regelnden Übereinkommens von Montreal1 handle. Der Begriff des Unfalls erfordere nämlich, dass
sich ein flugspezifisches Risiko realisiere, woran es hier fehle. Tatsächlich konnte nicht festgestellt
werden, ob der Kaffeebecher etwa wegen eines Defekts des ausklappbaren Abstellbretts oder
durch ein Vibrieren des Flugzeugs kippte. Der Oberste Gerichtshof (Österreich) hat den
Gerichtshof um Klarstellungen zum Unfallbegriff des Übereinkommens von Montreal ersucht, der
darin nicht definiert wird.
Der Gerichtshof führt aus, dass die gewöhnliche Bedeutung, die dem Begriff „Unfall“ zukommt, die
eines unvorhergesehenen, unbeabsichtigten, schädigenden Ereignisses ist. Außerdem stellt er
insbesondere fest, dass mit dem Übereinkommen von Montreal eine Regelung der
verschuldensunabhängigen Haftung von Fluglinien eingeführt und gleichzeitig für einen „gerechten
Interessenausgleich“ gesorgt werden sollte.
Er schließt daraus, dass sowohl die gewöhnliche Bedeutung des Begriffs „Unfall“ als auch die Ziele
des Übereinkommens von Montreal dagegen sprechen, die Haftung der Fluglinien davon abhängig
zu machen, dass der Schaden auf das Eintreten eines luftfahrtspezifischen Risikos zurückgeht
oder dass es einen Zusammenhang zwischen dem „Unfall“ und dem Betrieb oder der Bewegung
des Flugzeugs gibt. Er erinnert daran, dass nach dem Übereinkommen von Montreal die Haftung
der Fluglinien ausgeschlossen oder beschränkt werden kann. Eine Fluglinie kann sich nämlich
ganz oder teilweise von ihrer Haftung befreien, indem sie nachweist, dass der Reisende den
Schaden selbst verursacht oder dazu beigetragen hat. Außerdem kann sie ihre Haftung auf
100 000 „Sonderziehungsrechte“ 2 beschränken, indem sie nachweist, dass der Schaden nicht von
ihr oder aber ausschließlich von einem Dritten verschuldet wurde.
Der Gerichtshof antwortet dem Obersten Gerichtshof mithin, dass der in Rede stehende Begriff
„Unfall“ jeden an Bord eines Flugzeugs vorfallenden Sachverhalt erfasst, in dem ein bei der
Fluggastbetreuung eingesetzter Gegenstand eine körperliche Verletzung eines Reisenden verursacht hat, ohne dass ermittelt werden müsste, ob der Sachverhalt auf ein luftfahrtspezifisches
Risiko zurückgeht.
Urteil in der Rechtssache C-532/18
Niki Luftfahrt
1 Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr,
geschlossen in Montreal am 28. Mai 1999, von der Europäischen Gemeinschaft unterzeichnet am 9. Dezember 1999, in
ihrem Namen genehmigt durch den Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 (ABl. 2001, L 194, S. 39) und
in Bezug auf die Europäische Union in Kraft getreten am 28. Juni 2004. Dieses Übereinkommen ist integrierender
Bestandteil der Unionsrechtsordnung.
2 Gemäß der Definition des Internationalen Währungsfonds (IWF). Laut IWF entsprach Anfang Dezember 2019 ein
Sonderziehungsrecht ungefähr 1,24 Euro.
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