Benzodiazepine sind eine Gruppe von Arzneimittelwirkstoffen, die als Entspannungs- und Beruhigungsmittel (Tranquilizer) oder als Schlafmittel (Hypnotika) verabreicht werden und zur Abhängigkeit führen können.
Ein
kurzer Blick in Geschichte und Herkunft
Spuren
von Benzodiazepinen und einer Reihe weiterer Moleküle mit ähnlichen
Eigenschaften finden sich im menschlichen und tierischen Blut. Auch in
verschiedenen Pflanzen und Früchten - beispielsweise in Weizen oder in
Kartoffeln - sind sie enthalten, wodurch sich die beruhigende Wirkung mancher
traditioneller Heilmittel erklären lässt.
Nachdem
es 1957 erstmals gelungen war, Benzodiazepine zu synthetisieren, wurden sie zu
den meistgebrauchten Beruhigungsmitteln. Auch als Schlafmittel spielen sie eine
bedeutende Rolle. Heute zählen Benzodiazepinpräparate weltweit zu den am
häufigsten verordneten Arzneimitteln.
In
Deutschland nehmen 10-17% der Bevölkerung im Verlauf eines Jahres irgendwann
einmal ein Benzodiazepinpräparat ein, und 1-2% der Erwachsenen nehmen mindestens
ein Jahr lang täglich ein solches Mittel.
Die
Substanz ...
Chemisch
werden 1,4- und 1,5-Benzodiazepine sowie modifizierte Benzodiazepine
unterschieden. Zu den Benzodiazepinen gehören Wirkstoffe wie Bromazepam,
Brotizolam, Diazepam, Flunitrazepam, Lormetazepam, Lorazepam, Nitrazepam,
Oxazepam, Temazepam, Tetrazepam und Triazolam mit unterschiedlich ausgeprägten
Wirkungen. Als Beruhigungs- oder Schlafmittel sind sie unter verschiedenen
Handelsnamen, wie z.B. Adumbran, Noctamid, Diazepam Ratiopharm und Lexotanil,
auf dem Arzneimittelmarkt erhältlich. Neben den unterschiedlich ausgeprägten
Wirkungen unterscheiden sich die Präparate in der Schnelligkeit des
Wirkungseintritts, in der Wirkdauer, in der Art der Verstoffwechselung und in
der Zeit, die der Organismus zum Abbau benötigt. Je nach Wirkstoff kann sich
dieser Abbau über einige Stunden bis hin zu mehreren Tagen erstrecken.
...
und ihre Konsumformen
Benzodiazepine
sind rezeptpflichtige Medikamente, die - vorwiegend in Tablettenform - zur
kurzfristigen Behandlung von Spannungs-, Erregungs- und Angstzuständen (wie
z.B. Phobien und Panikattacken) verabreicht werden. Darüber hinaus werden sie
v.a. bei behandlungsbedürftigen Schlafstörungen sowie bei psychotischen
Erregungszuständen, Hirnkrampfanfällen und bei muskulären Verspannungen
eingesetzt. Sie werden zur Narkoseeinleitung und häufig auch zur Beruhigung und
Entspannung vor operativen und diagnostischen Eingriffen - wie zum Beispiel vor
einer Magenspiegelung - verabreicht, um diese erträglicher zu machen.
Nicht
selten werden die Medikamente jedoch auch bei weniger schwerwiegenden
allgemeinen Befindlichkeitsstörungen wie Nervosität, Überlastung und
Erschöpfung verwendet.
Im
Rahmen von Missbrauch und Abhängigkeit werden bestimmte Benzodiazepine von den
Konsumenten in mehrfacher Überdosierung intravenös injiziert.
Die
Effekte ...
Grundsätzlich
zeichnen sich Benzodiazepine durch eine angstlösende, krampflösende,
entspannende, beruhigende, erregungs- und aggressionsdämpfende und
schlafanstoßende Wirkung aus. Je nach Substanz überwiegt die eine oder andere
Wirkung, und je nach Empfindlichkeit und Dosis können als unerwünschte Effekte
Müdigkeit, Kopfschmerzen, Niedergeschlagenheit, Muskelschwäche, Benommenheit,
Schwindelgefühl und ein Nachlassen sexueller Bedürfnisse auftreten. Bei älteren
Menschen sind Reaktionen wie Erregung und Verwirrtheit möglich. Bestimmte
Benzodiazepine können - bei entsprechender individueller Disposition - infolge
einer sehr rasch anflutenden zentralnervösen Wirkung ein rauschartiges, so
genanntes Kick-Gefühl hervorrufen, das über die subjektive Wohlbefindlichkeit
hinausgeht.
Bei
einer Abhängigkeitserkrankung, speziell bei mehrfach Drogenabhängigen, können
komplexe Rauschzustände auftreten, die durch Euphorie, delirante Ekstase oder
psychotische Erlebnisverarbeitung gekennzeichnet sind.
Wirkungsweise
Benzodiazepine
wirken über spezifische Benzodiazepin-Haftstellen, die im Gehirn, Rückenmark
und in peripheren Organen unterschiedlich verteilt sind. Über diese Rezeptoren
wird an den Schaltstellen (Synapsen) der Nervenzellen die Aktivität des
hemmenden Neurotransmitters Gamma-Amino-Buttersäure verändert. Hierdurch werden
auch nachgeschaltete Überträgerstoffe, wie z.B. Noradrenalin, Acetylcholin und
Serotonin, mitbeeinflusst, woraus sich die verschiedenen pharmakologischen
Wirkungen ergeben.
Viele
Benzodiazepine bzw. die im Körper erzeugten Stoffwechselprodukte besitzen eine
sehr lange Halbwertszeit. Sie beträgt je nach Wirkstoff mehr als zwei Tage, so
dass es bei regelmäßiger Einnahme im Organismus zu einer Anreicherung der
Substanz kommt.
...
und die Risiken
Bei
der Einnahme von Benzodiazepinen kann es im akuten Fall zu Gedächtnisstörungen
und zu einer verminderten Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit kommen.
Hierdurch wird beispielsweise die Fahrtüchtigkeit stark eingeschränkt. Infolge
unerwünschter Muskelentspannungen sind darüber hinaus komplikationsreiche
Stürze nicht selten. Abgesehen von den gelegentlich möglichen unerwünschten
Nebeneffekten wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Niedergeschlagenheit,
Muskelschwäche, Benommenheit und Schwindelgefühl ist bei einer einmaligen oder
kurzzeitigen Einnahme zu therapeutischen Zwecken jedoch in der Regel kaum von
einem Risiko auszugehen.
Anders
verhält es sich dagegen bei einer längeren Einnahmedauer, da hiermit die Gefahr
der Gewöhnung und Toleranzbildung und schließlich einer
Abhängigkeitsentwicklung verbunden (s.u.) ist. Auch bei bestimmungsgemäßem
Gebrauch kann - vor allem bei einer allzu unkritischen Verschreibungspraxis -
die Einnahme unbemerkt in einen Dauerkonsum übergehen, der schließlich nicht
mehr dem ursprünglichen therapeutischen Zweck, sondern vorrangig der
individuellen Befindlichkeitsmanipulation dient.
Hinweis
Ebenso
wie ein Dauerkonsum mit Risiken verbunden ist, birgt auch das abrupte Absetzen
der Substanz erhebliche Risiken. Selbst nach einer therapeutisch bedingten
Langzeitdosis kann ein plötzliches Absetzen der Substanz Schlafstörungen,
starke Erregung mit innerer Unruhe sowie schwere Angst- und Spannungszustände
und eine erhöhte Suizidneigung hervorrufen. Das Absetzen der Substanz sollte
deshalb ebenso wie die Einnahme nur unter ärztlicher Begleitung erfolgen.
Auf
lange Sicht: Folgeschäden
Bei
niedrigem Gebrauch von Benzodiazepinen werden die körperlichen, psychischen und
sozialen Auswirkungen als vergleichsweise gering betrachtet. Psychische Beeinträchtigungen
und soziale Veränderungen bleiben häufig aus oder zeigen sich lange Zeit nicht.
Jedoch führt langjähriger, regelmäßiger Konsum in niedriger Dosierung zu
gesundheitlichen Schäden in Form von geringer Konzentrations- und
Merkfähigkeit, körperlicher Schwäche und emotionaler Abstumpfung. Anders
dagegen ist es bei Missbrauch und Abhängigkeit von hohen Dosen. Hier
unterscheiden sich die Folgen nicht wesentlich von denen anderer Suchtformen,
auch wenn sie mehrheitlich in abgeschwächter und/oder "maskierter"
Form verlaufen, d.h. nicht unmittelbar erkennbar sind. Neben einer verminderten
Leistungsfähigkeit gehören vor allem die individuellen sozialen Folgen zu den
gravierenden Erscheinungen eines Benzodiazepinmissbrauchs: Es kommt zur
Einschränkung des sozialen Interessenkreises, die sexuellen Bedürfnisse nehmen
ab und nicht selten treten Beziehungsprobleme auf, die bis zum Verlust einer
tragfähigen Partnerbindung führen können. Hinzu kommt, dass ein Absetzen des
Präparats mit quälenden Entzugserscheinungen einhergeht (s.u.).
Insbesondere
unter Mehrfachabhängigen kommt es in Form von Rezeptfälschungen zu Delikten der
Beschaffungskriminalität und zu vermehrten Verkehrsdelikten.
Die Frage der Abhängigkeit
Benzodiazepine
besitzen ein beträchtliches körperliches wie auch psychisches
Abhängigkeitspotenzial. Zum einen ist dies in dem spezifischen Wirkmechanismus
begründet, der eine körperliche Gewöhnung verursacht; zum anderen spielt die
Möglichkeit, mit Hilfe der Präparate die Befindlichkeit stark zu beeinflussen,
eine wesentliche Rolle. Die Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung ist vor allem
dann gegeben, wenn die Einnahme nicht aufgrund medizinischer Indikationen und
entsprechend der therapeutischen Absprachen erfolgt. Doch auch bei
ordnungsgemäßem Gebrauch - vor allem über einen längeren Zeitraum hinweg - kann
es zum Dauerkonsum bis hin zur Abhängigkeit kommen.
Hierbei
können Dauergebrauch, periodischer Missbrauch und Abhängigkeitsentwicklung
nahtlos und oftmals innerhalb kurzer Zeit ineinander übergehen. Dementsprechend
stehen Missbrauch und Abhängigkeit von Benzodiazepinen mit Abstand an der
Spitze des schädlichen Arzneimittelgebrauchs in Deutschland, dessen Ausmaß in
der Anzahl von etwa 1,5 Millionen Arzneimittelabhängigen deutlich wird. Die am
häufigsten missbrauchten Benzodiazepine sind Lorazepam, Bromazepam, Oxazepam,
Flunitrazepam und Diazepam, die unter den entsprechenden Handelsnamen wie
Tavor, Lexotanil, Adumbran, Bromazanil, Diazepam Ratiopharm u.a. verordnet
werden. Neben den unterschiedlichen Eigenschaften der jeweiligen Wirkstoffe
spielen hierbei jedoch nicht zuletzt auch die Verordnungsgewohnheiten in den
ärztlichen Praxen eine Rolle.
Bei
einer Benzodiazepinabhängigkeit wird zwischen der eher seltenen Form der
primären Hochdosisabhängigkeit, der am häufigsten anzutreffenden primären
Niederdosisabhängigkeit und der sekundären Benzodiazepinabhängigkeit
unterschieden:
-
Primäre Hochdosisabhängigkeit: Sie äußert sich in einer starken körperlichen
und psychischen Benzodiazepinabhängigkeit, deren Kennzeichen vor allem extreme
Dosissteigerung, allmähliche Persönlichkeitsveränderungen und schwere
Entzugssymptome beim Substanzentzug sind.
-
Primäre Niederdosisabhängigkeit: Der weitaus größte Teil der
Benzodiazepinabhängigen ist von dieser Abhängigkeitsform betroffen, bei der
über einen langen Zeitraum täglich eine geringe, im therapeutischen Bereich
liegende Dosis zu sich genommen wird. Auch wenn die Dosis hierbei nicht
gesteigert wird, kann es bei abrupten Absetzversuchen zu quälenden
Entzugssymptomen kommen, die dann wiederum zum Einnehmen der Substanz
veranlassen.
-
Sekundäre Benzodiazepinabhängigkeit: Diese ebenfalls häufige Abhängigkeitsform
ist vor allem bei Mehrfachkonsumenten, d.h. bei Konsumenten, die verschiedene
Drogen nehmen, anzutreffen sowie bei - teilweise auch "trockenen" -
Alkoholabhängigen. In diesen Fällen hat sich sekundär, nämlich im Zuge einer
bereits bestehenden Abhängigkeit von anderen Substanzen, eine spezielle
Benzodiazepinabhängigkeit entwickelt. Abhängig vom Alter, von der Dosis und vor
allem von der Dauer der Einnahme stellen sich beim Absetzen von Benzodiazepinen
starke Entzugssymptome ein, die mehrere Wochen bis Monate anhalten und nach
einem schlagartigen Absetzen (siehe Hinweis) besonders dramatisch sein können.
Zu den typischen Entzugserscheinungen gehören u.a. Schwäche, Schwindel,
Zittern, Schlafstörungen und Unruhe. Zu einer erhöhten Angstbereitschaft mit
Panikattacken können sich Entfremdungserlebnisse, Suizidimpulse und
Wahrnehmungsstörungen in verschiedenen Sinnesbereichen gesellen. In schweren
Fällen zeigt sich das Bild eines klassischen Entzugsdeliriums oder einer
Entzugspsychose mit Krampfanfällen.
Gefährliche
Mischungen
Aufgrund
der sich stark ähnelnden Wirkungsweisen von Benzodiazepinen und anderen
Substanzen, wie z.B. Barbituraten und Alkohol, kann es bei gleichzeitiger
Einnahme zu einer schwerwiegenden Verstärkung akuter und auch langfristiger
Effekte kommen.
Text:
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V.