Mehr als friedlich und freundlich
Von
Uta Luise Zimmermann-Krause
Zärtlichkeit
– wer sehnt sich nicht danach? In ihrem Buch „Zärtlichkeit – Eine Philosophie der sanften Macht“, übersetzt von Grit Fröhlich und Ruth Karzel, Neuerscheinung bei Verlag C.H.Beck, nimmt die
Autorin Isabella Guanzini die Wunder
der Zärtlichkeit in den Fokus. Die junge italienische Philosophin Isabella
Guanzini ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Universität Graz und
hat sich bereits in vielen Aufsätzen mit der Philosophiegeschichte der
Zärtlichkeit auseinandergesetzt.
Hier geht
es nicht um erotische Zärtlichkeit, sondern es findet die Zärtlichkeit im
Kontext der Empathie eine vielfältige Betrachtung. Sie kann den Weg weisen zu einem sinnerfüllten Leben
und einem friedlichen Miteinander. Doch Zärtlichkeit passt wohl nicht zum
Zeitgeist. Es fühlt sich an, als sei sie eine durch wirtschaftliche und
technische Ressourcen überholte Form der Menschlichkeit. Die neuen Facetten der
Zärtlichkeit bilden den Hintergrund für das Pontifikat von Papst Franziskus. Er
betont in seiner Botschaft: Barmherzigkeit, Nähe, Zuhören, Mission, Grenzen,
Öffnung, Armut sind zärtliche Aufgaben der Christenmenschen. Vor dem
dramatischen Hintergrund von Lebensgeschichten vieler Menschen ohne Identität,
ohne Heimatland, zunächst ohne Zukunft, ohne Staatsbürgerschaft, oft ohne Gemeinschaft,
entsteht höchster Bedarf nach Zärtlichkeit. Als grundlegend für die
Fundamentaltheologie erwies sich der Ausspruch des christlichen Philosophen
Boethius: „Verknüpfe, wenn du kannst, den Glauben mit der Vernunft.“
Im
Zeitalter der Kriege, der Macht, sind Flüchtlinge das Ergebnis, denen mit
Empathie, oder besser noch Zärtlichkeit, die Leiden zu nehmen sind. Doch ganz
ohne Recht auf einen sicheren Abstand zu anderen, ist ein erfülltes Leben in
der Welt, die uns immer mehr abverlangt, strapaziös. Papst Franziskus hat bei
seiner ersten symbolträchtigen und historisch bedeutsamen Reise nach Lampedusa
– mit einem Boot als Altar und einem Steuer als Ambo – von einer
„Globalisierung der Gleichgültigkeit“ gesprochen. Bei seiner Andacht für die im
Meer ertrunkenen Flüchtlinge wendet er sich an „eine Gesellschaft, die die
Erfahrung des Weinens, des ´Mit-Leidens´ vergessen hat“. Mit Zärtlichkeit
rüttelt der Papst sie zu mehr Menschlichkeit auf. Von Spinoza wissen wir:
„Traurigkeit erzeugt weitere Traurigkeit, und es entsteht eine Spirale der
Abschottung, die die Vitalität schwächt, jeden Willen und jede Intelligenz
auslöscht.“
Nach dem
Zweiten Weltkrieg analysierte Theodor Adorno mögliche Ursachen für unsere
heutige Situation sowie für die Tragödie, die Europa erschüttert hatte. Daher
ist es wichtig, das Fühlen wieder zu lernen, um die Welt neu zu sehen und auf
neue Weise in ihr leben zu können. Eine Herzensbildung, hervorgerufen durch
Spiegelungen und Reflexionen, befähigt uns, sensibler zu werden für Wahrnehmung
und Verhalten. Wir wollen nicht unsere Zukunft verlieren,
denn die Wahrheit findet sich im Paradox.
Hegel
definiert die Indifferenz des Spiels, die im größten Leichtsinn zugleich der
erhabenste und der einzig wahre Ernst sei. Für Interessenten wird die
Beschäftigung mit dem Buch „Zärtlichkeit – Eine Philosophie der sanften Macht“
zur wahren Freude. Empfehlenswert!
Zärtlichkeit – Eine Philosophie der sanften Macht,
220 Seiten, gebunden, Hardcover, Schutzumschlag,
C.H.Beck Verlag, 2019,
ISBN: 978-3-406-73122-8
Preis: € 18,00