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LAMBSDORFF-Interview: EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei endlich beenden

Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments Alexander Graf 
Lambsdorff (Foto) gab dem „Mannheimer Morgen“ (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Mirjam Moll:

Frage: Herr Lambsdorff, die Lage in der Türkei spitzt sich immer weiter zu – das Land wandelt sich zu einer Autokratie. Wie soll die EU mit ihrem Beitrittskandidaten umgehen?

Lambsdorff: Es gibt schon Möglichkeiten, allerdings machen die aktuellen Alleingänge der Bundesregierung gegenüber Ankara die Lage noch komplizierter. Warum wird nicht endlich das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen umgesetzt? Sie müssen ersetzt werden durch Gespräche, an denen auch die Türkei ein Interesse hat, nur so haben wir überhaupt einen Hebel. Die Vertiefung der Zollunion, energiepolitische Zusammenarbeit, Visaerleichterungen: Das braucht Erdogan. In dem faktisch toten EU-Beitrittsprozess ist dagegen überhaupt nichts mehr zu erreichen.

Frage: Österreichs Außenminister Sebastian Kurz hat die Schließung der Mittelmeerroute gefordert. Ist das überhaupt realistisch?

Lambsdorff: Nein. Kein Politiker, der einen Funken Ehrlichkeit in sich trägt, kann eine Formulierung wählen, mit der Wählern vorgegaukelt wird, es gäbe eine einfache Lösung für die Flüchtlingskrise, für die Auswanderung aus Afrika und die Situation im Mittelmeer. Das sind viele Maßnahmen, die ineinandergreifen müssen: Informationen über die Lügengeschichten der Schlepper in den Herkunftsländern verbreiten, legale Zuwanderungswege nach Europa schaffen, damit sich die Menschen nicht mehr auf die gefährliche Reise machen. Dazu gehört Zusammenarbeit mit den libyschen Behörden – auch in libyschen Gewässern und an der Südgrenze des Landes. Auch die Entwicklungsarbeit ist ein Teil der Maßnahmen, die Schaffung von Perspektiven vor Ort. Ein Satz wie „Wir schließen die Mittelmeerroute“ ist dagegen Illusionstheater.

Frage: Die osteuropäischen Staaten wollen bei der Flüchtlingskrise nicht mithelfen – und neben Ungarn entwickelt sich vor allem Polen zum Außenseiter in der EU, der gefährliche Alleingänge unternimmt. Was kann die EU dagegen tun, dass das Land die Rechtsstaatlichkeit untergräbt?

Lambsdorff: Die EU-Kommission überlegt, erst einmal ein einfacheres Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen anzustrengen. Und das Rechtsstaatlichkeitsverfahren hat zwei Stufen. Für die erste Stufe ist nur eine Vier-Fünftel-Mehrheit notwendig, also 22 Staaten. Das scheint nicht unmöglich. Und wenn wir über den mehrjährigen Finanzrahmen sprechen, finde ich den Vorschlag, eine Verbindung zwischen den Werten der EU einerseits und dem Zugang zum Budget andererseits herzustellen, gut. Es ist nicht so, dass man nichts tun könnte. Richtig ist aber auch: Die EU ist eine Rechtsgemeinschaft. Wir haben keine Zwangsmittel. Deswegen müssen wir mit den Instrumenten, die wir haben, versuchen zu erreichen, was wir erreichen wollen.

Frage: Während Polen die Werte der EU infrage stellt, hat Frankreichs neuer Präsident Emmanuel Macron mit Europa die Wahl gewonnen. Sein Sieg war eine Überraschung. Was kann man von ihm lernen?

Lambsdorff: Von Emmanuel Macron kann man lernen, dass es sinnvoll ist, sich auch mit neuen politischen Projekten dem Wähler vorzustellen, und dass man mit einem proeuropäischen Wahlprogramm Wahlen gewinnen kann. Das ist die wichtigste Lektion: keine Scheu, neu zu denken, ausgetretene Pfade zu verlassen und ein positives Bild der europäischen Idee zu vertreten.