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FDP / KUBICKI-Interview: Wir haben eine völlig andere Haltung

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki (Foto) gab der „Neuen Zürcher Zeitung“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Benedict Neff.

Frage: Herr Kubicki, Ihre Partei, die FDP, wurde nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche von den Medien zum Prügelknaben der Nation gemacht. Hat Sie diese Berichterstattung erstaunt?

Kubicki: Nein, sie erstaunte mich nicht. Wer die Gespräche beendet, kriegt erst einmal die Torte ins Gesicht. Viele Hauptstadt-Journalisten haben Schwarz-Grün im Herzen getragen. Wenn man die Blase «Berlin» aber verlässt, merkt man schnell, dass die FDP nicht einfach als Sündenbock wahrgenommen wird. Mich überrascht nur die Heftigkeit der Angriffe gegen uns.

Frage: Die Grünen konnten sich mit ihrer Erzählung in den Medien durchsetzen: Sie seien bis «zu den Schmerzgrenzen» gegangen, während die egomanische FDP einfach alles hingeschmissen habe.

Kubicki: Ich kenne das Schmerzempfinden der Grünen nicht. Ihre Öffentlichkeitsarbeit war aber erheblich. Die Grünen sind die kleinste Fraktion im Deutschen Bundestag, sie haben nicht einmal neun Prozent erreicht. In den Sondierungsverhandlungen haben sie sich aber manchmal aufgeführt, als seien sie die Auserwählten, um Europa zu retten und den Frieden auf Erden herzustellen.

Frage: Was ist Ihr Eindruck nach den Gesprächen: Steht die FDP oder stehen die Grünen der Union näher?

Kubicki: Inhaltlich waren wir der Union näher als die Grünen. Aber mein persönlicher Eindruck war: Angela Merkel verhandelte hauptsächlich mit sich selber und mit den Grünen. Das konnte man daran erkennen, dass Merkel die Positionen der Union wiederholt zugunsten der Grünen einfach aufgegeben hat, ohne die CSU zu fragen.

Frage: Merkels Verhandlungsgeschick ist ja schon fast mythisch. Mit Jamaika ist Sie gescheitert. Wie haben Sie die Kanzlerin in den Gesprächen erlebt?

Kubicki: Ich bin seit 35 Jahren Anwalt und habe viele Verhandlungen durchgeführt. Eine solche Verhandlungs-Konzeption habe ich aber überhaupt noch nie erlebt. Wenn die Idee war, die Verhandlungspartner zu ermüden und einen Meinungsdruck und einen Zeitdruck zu erzeugen, der eine Einigung geradezu auf die Linie der Bundeskanzlerin erzwingt, ist diese Strategie gnadenlos gescheitert. Noch am Sonntag, dem letzten Tag der Sondierung, hatten wir 237 dissidente Punkte, davon zirka 80 relevante. Da ging es nicht nur um Formulierungen.

Frage: Die anderen Verhandlungspartner sind der Meinung, dass man am Sonntag kurz vor einer Einigung stand.

Kubicki: Nennen Sie es ein Wintermärchen. Ich frage Union und Grüne immer wieder: Worauf habt ihr euch denn geeinigt? Ich kriege keine Antwort. Beim Familiennachzug, bei der Frage der sicheren Herkunftsländer, bei der Mütterrente: Überall stellt man fest, dass man sich gar nicht nahe war. Und jetzt wird dieses Märchen erzählt, dass die FDP kurz vor dem Erfolg ihres Lebens panisch aufgestanden und vom Tisch weggerannt sei, aus Angst zu regieren. Um diese Geschichte zu glauben, muss man viel geraucht haben.

Frage: Wo gab es die größten Meinungsverschiedenheiten?

Kubicki: Für uns war das Thema Bildung zentral, wir möchten die Schulen für die Digitalisierung fit machen. Dafür müsste aber das Kooperationsverbot fallen. In Deutschland ist es verboten, dass sich der Bund an den Schulen engagiert. Die Ministerpräsidenten Kretschmann und Seehofer haben sich dagegen gewehrt. Das ist nur ein Beispiel. Wir hatten auch komplett verschiedene Vorstellungen bei der Energiepolitik. Würde man die Klimaziele der Grünen umsetzen, müsste man den Verkehr und die Industrie in Deutschland lahmlegen.

Frage: War die Flüchtlingspolitik letztlich gar nicht so entscheidend?

Kubicki: Doch, aber vor allem für die CSU und die Grünen. Wir wollten erst rechtsstaatliche Regeln wieder in Kraft setzen, bevor wir den Familiennachzug erlauben. Es ist den Bürgern nicht mehr zu vermitteln, dass immer mehr Menschen nach Deutschland kommen, ohne dass es dafür rechtliche Grundlagen gibt. Wir haben gesagt: Einen Familiennachzug gibt es nur, wenn ein Einwanderungsgesetz geschaffen wird.

Frage: Die Grünen hätten die FDP malträtiert und beschimpft, sagten Sie. Übertreiben Sie da nicht ein wenig?

Kubicki: Nein, wir wurden beschimpft in den sozialen Netzwerken, in Hintergrundgesprächen und in der Öffentlichkeit. Wir wurden Rechtspopulisten genannt. Denken Sie auch an das Interview mit Jürgen Trittin in der «Bild am Sonntag»: Die FDP sei im Grunde eine Partei der Europagegner geworden. Außerdem werfen uns Grüne vor, wir träten die Menschenrechte mit Füßen, weil wir den Tod von Flüchtlingen im Mittelmeer in Kauf nähmen. Das Kalkül ist eindeutig: Man versucht uns in die Nähe der AfD zu rücken und damit zu diskreditieren. Zu sagen, dass den Freien Demokraten die Menschenrechte egal seien, ist eine Unverschämtheit. Die Pöbeleien gegen uns in den letzten Tagen sind Beleg genug dafür, dass es ein Vertrauensverhältnis nie gab.

Frage: FDP-Chef Christian Lindner sagte, Ihre Partei sei von den anderen Verhandlern «gedemütigt» worden. Teilen Sie diese Einschätzung?

Kubicki: Die Vorsitzende der CDU hat jedenfalls gemeinsame Positionen von Union und FDP gegenüber den Grünen räumen wollen, ohne unsere Haltung zu respektieren, zum Beispiel bei der Ablehnung einer Transferunion und der Vergemeinschaftung von Schulden in der Euro-Zone. Ihr Angebot, beim Abbau des Solidaritätszuschlages einfach das CDU-Wahlprogramm zu beschließen, machte uns einfach sprachlos.

Frage: Als Beobachter dachte man: Warum schalten die Verhandler nicht einfach einmal die Mobiltelefone aus und machen eine Art Konklave? Die Indiskretionen über die Social-Media-Kanäle waren offensichtlich ein Problem für die Gespräche.

Kubicki: Absolut. Wenn Sie in einer Achterrunde sitzen und jemand trägt den Medien zu, es gebe ein neues Klimapapier, in dem man sich einig sei, dann ist das mindestens unschön. Vor allem dann, wenn es das Papier noch gar nicht gibt. So ging das immer wieder. Wir haben während der Sitzungen zum Teil über die Deutsche Presseagentur Ergebnisse erfahren, die nicht existierten. So kann man nicht ernsthaft zusammenarbeiten.

Frage: Hatte diese Kommunikation Anteil am Scheitern der Gespräche?

Kubicki: Ja, diese Außenkommunikation war ein riesiges Problem. Für Kompromisse braucht es Vertrauen. Wir haben ja eine funktionierende Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein. Alle «Jamaikaner» von Schleswig-Holstein, die in Berlin mitverhandelten, haben mir gesagt: Das kann so nicht funktionieren. Einer hat mir einmal geschrieben: «Lass uns nach Hause fahren, alle psycho hier.»

Frage: Sie sind schon lange in der Politik. Gehen Sie trotzdem irgendwie desillusioniert aus diesen Gesprächen?

Kubicki: Ja. Die Jamaika-Gespräche haben mich erschüttert. Jedem musste doch klar sein, dass Gespräche mit 60 Menschen nichts bringen. Ich habe am Anfang gesagt: Lasst uns mit kleinen Runden antreten. Dann haben die Grünen erklärt, sie wollten mit einer 14er-Gruppe verhandeln. Darauf entschied die Union: Wenn die Grünen mit 14 kämen, müssten sie mit 28 kommen. Schließlich kam die Union mit 30 Leuten. Und so ging das immer weiter. Bei der ersten Sitzung wurden drei Stunden lang die Wahlprogramme rezitiert. Ich saß da und fragte mich: Warum habe ich mir den Abend versaut?

Frage: Hatten Sie auf die Art, wie verhandelt wurde, keinen Einfluss?

Kubicki: Wir haben mehrfach gesagt: So wird das nichts, auch öffentlich. «Ein Hurrikan zieht über Jamaika auf», habe ich dann irgendwann gesagt. Wir haben uns tatsächlich nur im Kreis gedreht. Wie will man aber neue krisenhafte Situationen meistern, wenn man nicht einmal einen Vertrag zusammenbringt? Das war unsere größte Sorge: Wir gehen in eine Regierung mit einer schlechten Grundlage, streiten uns ständig wie die Kesselflicker, und wenn eine Krise kommt, sind wir handlungsunfähig.

Frage: Wie steht es um eine liberale Politik in Deutschland? Gibt es für eine solche bei den anderen Parteien überhaupt Anschlussmöglichkeiten?

Kubicki: Mit den Grünen sehe ich keine Möglichkeiten. Für sie ist Marktwirtschaft Teufelszeug. Sie würden am liebsten mit dem Ordnungsrecht arbeiten. Ihre politischen Instrumente sind Verbote, Quoten und die Androhung von Strafen. Wir haben eine völlig andere Haltung: Wir glauben, dass unternehmerische Kreativität gefragt ist, um den Wohlstand in Deutschland zu gewährleisten. Unser Wohlstandsniveau basiert nicht auf grünen Vorstellungen, sondern auf der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft. Mit wesentlichen Teilen der Union könnten wir zusammenarbeiten.

Frage: Hat sich bei der Union kein Dissens herauskristallisiert?

Kubicki: Doch, zwischen der CSU und der Kanzlerin und den Vertretern der CDU gab es teilweise erhebliche Differenzen. Volker Kauder hat einfach immer gesagt: Das kriegen wir schon irgendwie hin.

Frage: Welche Lösung favorisiert nun die FDP: Minderheitsregierung, große Koalition oder Neuwahlen?

Kubicki: Minderheitsregierung hört sich sympathisch an, ist aber für Deutschland ein Experiment, das wir nicht eingehen sollten. Es braucht eine starke deutsche Stimme in Europa, die nicht erst parlamentarisch nach Mehrheiten suchen muss. In Brüssel müssen sich die Gesprächspartner darauf verlassen können, dass die Person, die mit ihnen verhandelt, in Berlin eine Mehrheit hat.

Frage: Das heißt, Sie plädieren für eine große Koalition.

Kubicki: Eine große Koalition ist der einzige Ausweg aus dieser Situation. Ich bin mir auch sicher, dass Merkel als Kanzlerin nicht mehr vier Jahre im Amt bleibt. Sie hat das tragische Schicksal von Horst Seehofer vor Augen. Das will sie sich nicht antun. Die Sozialdemokraten haben es jetzt in der Hand. Sie könnten von der Union alles bekommen, was sie wollen. Das Einzige, was die Union noch verteidigt, ist, dass Merkel Kanzlerin bleibt. Wenn ich bei der SPD wäre, würde ich erst die Basis befragen und dann ein paar Bedingungen stellen: Finanzministerium, Wirtschaftsministerium. Und ich würde der Union sagen: Nehmt ihr doch das Umweltministerium und das Ministerium für Arbeit und Soziales – da habt ihr den Ärger. Und dann wäre bei der Union sehr schnell der Lack ab.

Frage: Jamaika ist definitiv gestorben?

Kubicki: Auf Bundesebene geht jedenfalls – ohne dass neu gewählt würde – gar nichts.

Frage: Die Regierungsbildung in Deutschland wird von der Presse gerade als krisenhaft beschrieben. Wie beurteilen Sie die Zeit?

Kubicki: Journalisten fragen sich, wie sie Menschen dafür begeistern können, eine Zeitung zu kaufen. Entweder erzählt man dafür nette kleine Geschichten oder von krisenhaften Situationen: Ein Vulkan bricht aus, es kommt ein Meteorit, und wir sind tot, Trump beginnt einen Krieg mit Nordkorea – was irre ist, aber es verkauft sich schön. Besonders begeistert war ich, als in der letzten Woche überall die Mitteilung zu lesen war: Kubicki sind alle Hemden ausgegangen. Solche Geschichten gefallen den Menschen. – Deutschland befindet sich in keiner Krise. Wir haben eine amtierende Regierung, und die hat relativ viele Befugnisse: Sie darf nur nicht so viel Geld ausgeben wie üblich, keine neuen Minister ernennen und keine internationalen Verträge abschließen, es sei denn, der Bundestag stimmt zu.

Frage: Könnte es sein, dass Deutschland gerade goldene Zeiten erlebt?

Kubicki: Ich höre zumindest immer wieder, die beste Zeit in Belgien und Holland sei die Zeit gewesen, in der keine Regierung habe gebildet werden können. Da fühlte sich die Wirtschaft richtig wohl. Es gab keine neuen Verordnungen, keine Gesetze. Belgien brauchte 535 Tage, Holland sieben Monate – die Länder sind auch nicht untergegangen. Wenn man dauernd vor dem bösen Wolf warnt und es ist keiner da, macht man sich allmählich lächerlich. Wenn dann einmal wirklich einer kommt, hört keiner mehr hin.