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TV-Tipp-News: „Anders krank - Warum wir Frauenmedizin brauchen“ ab 20:15 Uhr auf 3sat


Veröffentlicht am 27. September 2023

Für die über 80-jährige österreichische Schriftstellerin Erica Fischer kam die Notversorgung gerade noch rechtzeitig. Sie überlebte einen Herzinfarkt, weil sie die Symptome erkannte. Der Sanitäter hätte sie nach Hause geschickt.

"Frauen erleben Symptome anders", weiß Gendermedizinerin Alexandra Kautzky-Willer von der Universität Wien. "Doch das ist nur eine von vielen Problemzonen einer auf Männer-basierten Medizin."

Medikamente wurden lange ausschließlich an Männern erprobt, die seit Jahrhunderten im Fokus der Forschung stehen. Doch Frauen sind anders krank, dies wurde in der Coronapandemie weithin sichtbar: So zeigen sie kaum schwere Verläufe, dafür teils heftige Impfreaktionen. Die Wahrscheinlichkeit an Long COVID zu erkranken, ist insbesondere für jüngere Frauen fünfmal höher.

"Frauen haben ein starkes Immunsystem", erklärt Alexandra Kautzky-Willer. "Doch dieses kann sich gegen den Körper richten. Deshalb sind Autoimmunerkrankungen bei Frauen häufig, erkannt werden die allerdings oft lange nicht."

Das liege an der DNA eines Systems, das auf sexistischen Frauenbildern beruhe, meint die feministische Kulturwissenschafterin Elinor Cleghorn. Cleghorn hat die seltene Autoimmunerkrankung Lupus Erythematodes. Erst nach acht Jahren erhielt sie die Diagnose: "Ein einfacher Bluttest hätte gereicht, doch den hat kein Arzt gemacht. Erst als ich nach meiner zweiten Schwangerschaft fast gestorben wäre, ist man meinen Symptomen auf den Grund gegangen."

Bereits Hippokrates, griechischer Urvater westlicher Medizin, definierte die Frau als "Gebärmaschine" und führte Krankheiten auf eine "unausgelastete Gebärmutter" zurück. Im 17. Jahrhundert entstand der Mythos der "hysterischen Frau" - und damit ein probates Mittel der Unterdrückung. "Die Medizingeschichte wurde überwiegend von Männern geschrieben und häufig dazu missbraucht, Frauen kleinzuhalten", so Cleghorn.

Häufig fehldiagnostiziert werden Frauen mit einer Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung, auch bekannt als "Zappelphilipp"-Syndrom, kurz ADHS. Angelina Boerger hat ihre Diagnose erst mit 27 Jahren erhalten: "Für mich war das der fehlende Puzzlestein." Frauen mit ADHS sind eher verträumt als laut und auffällig, sie kämpfen mit innerer Unruhe, und es fällt ihnen schwer, sich zu konzentrieren. Depression und Angststörungen sind typische Begleiterkrankungen und verdecken die Ursache.

Auch im Sport stand die weibliche Physis lange nicht im Fokus. Die ehemalige Triathletin Yvonne van Vlerken blickt auf eine erfolgreiche Karriere zurück, die ihrem Körper einen hohen Preis abverlangte: "Zu meiner Zeit hat niemand über den Zyklus gesprochen, das war Tabu! Trainiert haben wir genauso wie Männer. Heute weiß ich, dass das falsch und gefährlich ist." Wenn der Zyklus ausbleibt, ist das ein Warnsignal für RED-S, das "Relative Energiedefizit-Syndrom" im Sport. Unerkannt hat das schwerwiegende Folgen, wie zum Beispiel Knochenbrüche, Herzprobleme und hormonelle Störungen.

"So sehr wir die soziale Gleichberechtigung von Männern und Frauen brauchen, so sehr brauchen wir in der Medizin die Ungleichbehandlung", meint Alexandra Kautzky-Willer. Diese gesunde Ungleichbehandlung gelte für alle medizinischen Bereiche: Forschung, Diagnose und Behandlung.

Film von Franziska Mayr-Keber; Erstausstrahlung

Text / Foto: programm.ard.de / Pixabay