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Rheuma 26.08

Gesundheit-News: Geschlechtsspezifische Unterschiede - Rheuma bei Frauen: Häufiger erkrankt, später erkannt


veröffentlicht am 26. August 2023

Viele rheumatische Erkrankungen treten in der weiblichen Bevölkerung häufiger auf als in der männlichen. Doch eine Diagnose erhalten sie oft später. Das zeigt eine aktuelle Überblicksstudie, in der zwei Wissenschaftlerinnen geschlechtsspezifische Unterschiede in den Blick genommen haben.

Das gilt auch für Rheuma – ein Übergriff für zahlreiche unterschiedliche Leiden an Stütz- und Bewegungsapparat: „Biologische und soziokulturelle Unterschiede zwischen Frauen und Männern können sowohl die Ausprägung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen als auch deren Versorgung beeinflussen“, erklären Dr. Katinka Albrecht und Prof. Dr. Anja Strangfeld vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum in einer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift „Die Innere Medizin“. Denn neben „genetischen Merkmalen und Geschlechtshormonen unterscheiden sich auch Organgrößen und -funktionen, Körperbeschaffenheit und physiologische Prozesse zwischen den Geschlechtern.“ Zusätzliche Unterschiede „in der Wahrnehmung von Schmerzen, im Gesundheitsverhalten oder in den Auswirkungen krankheitsbedingter Einschränkungen auf die soziale und berufliche Teilhabe“ seien bislang „wenig erforscht.“ Es gebe aber sowohl national als auch international „großes Interesse, eine gendergerechte Forschung in der Rheumatologie zu etablieren.“

Die beiden Wissenschaftlerinnen haben bestehende Literatur zu geschlechtsspezifischen Unterschieden untersucht und zusammengefasst. „Bei den meisten, aber nicht bei allen rheumatischen Erkrankungen überwiegt – mit unterschiedlicher Ausprägung – der Anteil an Frauen“, heißt es. Bei Rheumatoider Arthritis liegt er zum Beispiel bei 74 Prozent; bei Systemischen Lupus bei 87 Prozent. 

Rheuma-Diagnose: Bei Frauen später
„Umso verwunderlicher erscheint es, dass Frauen im Durchschnitt deutlich später eine Diagnose erhalten“, findet Privatdozentin Dr. Uta Kiltz, Oberärztin am Rheumazentrum Ruhrgebiet. Albrecht und Strangfeld nennen ein Beispiel: „Obwohl Frauen häufiger an einer systemischen Sklerose erkranken, zeigen Daten […], dass es bei Frauen durchschnittlich ein Jahr länger bis zur Diagnosestellung dauert als bei Männern“. Bei den Betroffenen greift das eigene Immunsystem das körpereigene Bindegewebe an – dadurch wird eine Entzündungsreaktion ausgelöst. Die Rheuma-Liga erklärt: „Im Vordergrund steht die Verdickung und Verhärtung der Haut mit Vermehrung des Bindegewebes und eine Gefäßentzündung, von der weitere Organe wie die Lungen, der Verdauungstrakt und die Nieren betroffen sein können. Zusätzlich können Gelenk- und Muskelbeschwerden auftreten.“ Scheinbar liegt in den frühen Stadien der Erkrankung bei Männern häufiger „eine aktive Erkrankung vor als bei Frauen“. Auch zeigen sie zu diesem Zeitpunkt eher spezifische Antikörper, „erhöhte Akute-Phase-Marker“ sowie „eine muskuläre und pulmonale Beteiligung“. Es sind wichtige Merkmale, die eine frühe Diagnose unterstützen.
Anderes Beispiel: Systemischer Lupus Erythematodes – das Immunsystem greift körpereigene Zellstrukturen an, was schwere entzündliche Veränderungen der Haut, aber auch innerer Organe wie Herz, Lunge und Nieren sowie der Gelenke und Muskeln nach sich ziehen kann. In einer spanischen Kohorte wurde die Diagnose bei Männern schneller gestellt, dabei sind sie seltener betroffen. „Eine mögliche Erklärung ist die bei Männern oftmals vorliegende schwere Organbeteiligung“ – etwa in Bezug auf die Nieren. Sie haben unter anderem häufiger kardiovaskuläre Komorbiditäten, Krampfanfälle, Thrombosen und weisen eher bestimmte Antikörper auf.

In ihrer Arbeit schreiben Albrecht und Strangfeld: „Die spätere Diagnosestellung bei Patientinnen ist umso bemerkenswerter, als das Gesundheitsverhalten von Frauen eher zu einer rechtzeitigeren Diagnose führen müsste.“ Laut einer kanadischen Kohortenstudie konsultierten Frauen in den 3 Jahren vor einer Diagnose häufiger eine Rheumatologen und hatten häufiger labor- und bildgebende Untersuchungen. In einer anderen kanadischen Analyse zeigte sich außerdem, „dass männliche Hausärzte später eine rheumatologische Überweisung veranlassten als ihre Kolleginnen. Folglich kann auch das ärztliche Geschlecht zu Unterschieden in der Versorgung beitragen.“

Rheuma: Geschlechtsspezifische Unterschiede sind vielfältig
Über die Diagnose und das jeweilige Grundleiden hinaus konnten die Wissenschaftlerinnen weitere Aspekte ausmachen, bei denen sich weibliche und männliche Bevölkerung unterscheiden:
  • Begleiterkrankungen von Rheuma: „Während Frauen mit Rheumatoider Arthritis häufiger Arthrosen, Osteoporose, Depression und Schilddrüsenerkrankungen haben, sind es bei Männern eher kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes, Gicht und Niereninsuffizienz“. Insgesamt gesehen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die „Haupttodesursache von Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen.“ Das kardiovaskuläre Risiko werde allerdings „bei Frauen vermutlich unterschätzt“.
  • Subjektive Krankheitsbelastung: Bei der Psoriasisarthritis geben Frauen „eine höhere Krankheitsaktivität, mehr schmerzhafte Gelenke, intensivere Schmerzen, häufiger Fatigue und stärkere Funktionseinschränkungen an als Männer“. Auch in Bezug auf Lebensqualität und berufliche Teilhabe beschrieben sie höhere Einschränkungen. „Die Wirkung der Sexualhormone auf das Schmerzempfinden sowie Unterschiede in der zentralen Schmerzverarbeitung werden als Faktoren mit Einfluss auf die von den Patienten angegebenen Schmerzen diskutiert“.
  • Therapie: „Frauen haben krankheitsübergreifend häufiger niedrigere Remissions- und Therapieansprechraten in Bezug auf die antirheumatische Medikation als Männer, auch Therapieabbrüche sind bei Frauen häufiger als bei Männern“. Grundsätzlich gilt: Der Forschungsbedarf ist noch groß. So rücken „geschlechtsspezifische Einflüsse auf Wirksamkeit und Nebenwirkungsprofil antirheumatischer Medikamente […] gerade erst in den Fokus wissenschaftlicher Studien.“ Vermutlich sollte in der Therapie rheumatischer Erkrankungen stärker als bisher das Geschlecht berücksichtigt werden: Die Genderforschung in der Kardiologie lege „nahe, dass durch angepasste Therapiestrategien Überdosierungen und Therapieabbrüche reduziert werden können.“
Es gibt viel zu tun: „Wir müssen die geschlechtsspezifischen Krankheitsausprägungen besser verstehen und diese Erkenntnisse in die Diagnostik und Therapie einfließen lassen“, betont Professor Dr. Christoph Baerwald, Kongresspräsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) und emeritierter Leiter der Abteilung Rheumatologie am Universitätsklinikum Leipzig.



Text / Foto: PHARMA FAKTEN / ©iStock.com/Yurii Yarema