Weltweit erste Fall-Serie von Smartphone-bezogenen
Unfällen bei Kindern und Jugendlichen veröffentlicht
Klinikdirektor sieht Entwicklung problematisch und
rechnet mit erstem Todesfall
Foto: Prof. Martin Lacher, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie am UKL, befürchtet eine Zunahme von Smartphone-bezogenen Unfällen bei Kindern und Jugendlichen.
Leipzig. Ärzte der Klinik und Poliklinik für
Kinderchirurgie des Universitätsklinikums Leipzig (UKL) haben die weltweit
erste Fall-Serie von Smartphone-bezogenen Unfällen bei Kindern und Jugendlichen
veröffentlicht. Die Ergebnisse sind nun in der aktuellen Ausgabe der
Fachzeitschrift "Pediatric Emergency Care" veröffentlicht worden.
Untersucht wurden Fälle von Kindern und Jugendlichen, die
am UKL behandelt wurden, aus den Jahren 2008 bis 2018. Ein erster Fall trat
2012 auf. Seitdem mussten am UKL zehn Mädchen und Jungen nach
Smartphone-Unfällen stationär behandelt werden. Für Klinikdirektor Prof. Martin
Lacher gestaltet sich dabei die jüngste Zunahme Besorgnis erregend. Er
befürchtet sogar bald den ersten Todesfall in Deutschland.
Man nennt sie auch "Smombies" - ein Kunstwort
aus den Begriffen "Smartphone" und "Zombie". Gemeint sind
Menschen, die durch den ständigen Blick auf ihr Telefon so stark abgelenkt
sind, dass sie ihre Umgebung kaum noch wahrnehmen. 2015 wurde es von einer Jury
bereits einmal zum "Jugendwort des Jahres" gewählt.
Doch es klingt lustiger, als es in Wirklichkeit ist. Denn
den "Smombies" fehlt auch der Blick für mögliche Gefahren zum
Beispiel im Straßenverkehr. "Schlimmer noch: 'Smombies' werden selbst zur
Gefahr. Sie stoßen mit anderen Fußgängern oder Radfahrern zusammen oder laufen,
ohne den Blick zu heben, über die Straße", erklärt Prof. Martin Lacher,
Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie am UKL.
In ihrer Studie untersuchten die Kinderchirurgen alle
Fälle, in denen das Smartphone eine Rolle spielte. Acht der zehn Fälle
geschahen erst 2016 oder später. Denn immer mehr Kinder und Jugendliche
besitzen schon in jungen Jahren ein eigenes Mobiltelefon.
Mädchen stärker gefährdet
Die Patienten wurden in der Studie auch dahingehend
eingeteilt, ob ihre Rolle beim Unfall aktiv oder passiv war. Neben nur zwei Passiv-Fällen,
in denen Kleinstkinder leichte Blessuren erlitten, weil ihre Eltern sie mit dem
Smartphone verletzten, stehen acht Fälle mit aktiver Rolle zu Buche.
Mehrere Mädchen erlitten dabei schwere Verletzungen: Ein
glücklicherweise nur mit 30 Kilometer pro Stunde fahrendes Auto erfasste eine
12-Jährige, die die Straße überquerte und dabei ausschließlich auf ihr
elektronisches "Spielzeug" schaute - Diagnose Beckenringfraktur. Und
eine 16-Jährige fiel in einer Silvesternacht durch ein Glasdach, als sie gerade
ein Foto von sich selbst machte. Sie erlitt ein schweres Wirbelsäulentrauma
(multiple Wirbelkörperfrakturen) und Schnitte an der Hand. Einem weiteren
Mädchen, ebenfalls 16, rollte ein Auto über die Hand, als sie ihr Smartphone
von der Straße aufheben wollte.
Dass laut Studien dabei eher Mädchen einer gewissen
Smartphone-Sucht verfallen, war auch bei der Fall-Serie der Leipziger
Kinderchirurgen zu beobachten: Nur bei zwei der zehn Fälle stand ein Junge im
Zentrum des Geschehens.
Beim Blick auf die mögliche Entwicklung derartiger
Unfälle zeigt sich Prof. Lacher eher pessimistisch: "Bald werden wir den
ersten Todesfall in Deutschland erleben. Da bin ich mir ziemlich sicher",
so der UKL-Klinikdirektor.
Höhere Dunkelziffer vermutet
Was gegen ein weiteres Ansteigen der Unfallzahlen helfen
könnte, ist für den Kinderchirurgen eigentlich klar: Weniger oft auf das Gerät
schauen und mehr Aufmerksamkeit durch Erziehungsberechtigte, die ihre
Vorbildrolle auch ernst nähmen, sei das Eine. Lacher hat jedoch noch andere Maßnahmen
im Blick: "Im US-Bundesstaat Hawaii ist es illegal, eine Straße zu
überqueren, während man auf das Smartphone schaut. Wäre das auch für unser Land
gut", fragt er. Mit China, den USA, Belgien und Litauen gibt es zudem vier
Länder, in denen eigene "Smombie-Pfade" eingerichtet wurden,
spezielle Fußwege für unaufmerksame Smartphone-Nutzer. In den Niederlanden
finden sich hingegen bereits zwei Städte, in denen Fußgängerampeln am Erdboden
montiert sind. Gerade die letztgenannte Idee findet durchaus Anklang bei Prof.
Lacher.
Eines ist ihm und seinen Kollegen nach der Erhebung klar:
Die Dunkelziffer von Smartphone-bezogenen Unfällen bei Kindern und Jugendlichen
dürfte wesentlich höher sein, denn viele Verletzte gingen nicht zum Arzt oder
würden das Mobiltelefon nicht als Grund der Verletzung angeben.
Quelle - Text und Foto: Univeritätsklinikum Leipzig