Hamburg - Wenn bei älteren Menschen die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit nachlässt, gehäuft Infekte auftreten und der Gang unsicher wird, werden diese Symptome leicht dem „normalen“ Alterungsprozess zugeschrieben. Hinter vermeintlichen Alterserscheinungen kann sich aber auch ein Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen verbergen, warnten Wissenschaftler auf einem Symposium der Gesellschaft für Biofaktoren e.V. in Hamburg.
Denn ältere Menschen sind vielfältigen, sich
gegenseitig verstärkenden Faktoren ausgesetzt, die die Versorgung mit
lebenswichtigen Nährstoffen erheblich beeinträchtigen können: „Im Zuge des
Alterungsprozesses nimmt die Leistungsfähigkeit des Magen-Darm-Trakts stetig
ab“, erklärte der Pharmakologe Prof. Dr. Dr. med. Dieter Loew. Dadurch können
Vitamine und Mineralstoffe aus der Nahrung schlechter vom Körper aufgenommen
werden. Gleichzeitig nehmen vielen Senioren über die Ernährung weniger Vitamine
und Mineralstoffe zu sich. Verschärft wird eine kritische Nährstoff-Versorgung
durch chronische Erkrankungen und die damit verbundene medikamentöse Behandlung.
Beides könne den Bedarf an Vitaminen und Mineralstoffen erheblich steigern und
so zu Mangelsituationen führen, betonte Dr. des. Uwe Gröber, Apotheker und
Leiter der Akademie für Mikronährstoffmedizin in Essen. 40% der Patienten, die
medikamentös behandelt werden, nehmen täglich 9 oder mehr Arzneimittel ein.
Daraus ergeben sich komplexe Wechselwirkungen mit Vitaminen und Mineralstoffen,
wodurch diese Personen ein besonders hohes Risiko für Mangelerscheinungen
tragen, so Gröber. Werden diese nicht erkannt und rechtzeitig ausgeglichen,
drohen teils schwerwiegende Folgen: Diese reichen von einem geschwächten
Immunsystem und mangelnder Vitalität bis hin zu Nervenschäden, Demenz,
Osteoporose und einer Verschlimmerung bestehender Erkrankungen.
Vitamin B-Mangel geht auf die Nerven
Ein Mangel an Vitamin B1 führe beispielsweise schon
kurzfristig zu einem Einbruch der Leistungsfähigkeit in verschiedenen
Teilbereichen des Nervensystems, erklärte Prof. Dr. med. Karlheinz Reiners.
Dies könne zum einen das Gehirn betreffen: Leichte Defizite zeigten sich durch
Konzentrationsschwäche, Vergesslichkeit oder Orientierungsstörungen -
schlimmstenfalls könne sich eine Demenz entwickeln, warnte der Neurologe.
Oftmals werden auch die langen Nervenbahnen geschädigt, die zu den Füßen und
Händen reichen. Diese sogenannte Polyneuropathie äußert sich daher meist durch
Empfindungsstörungen wie Kribbeln, Brennen oder Taubheit in den Füßen oder
Händen. Ein erhöhtes Risiko für einen Mangel an Vitamin B1 tragen
beispielsweise Menschen, die an Diabetes mellitus leiden, weil sie das Vitamin
vermehrt über die Nieren ausscheiden. Gleichzeitig sind viele Diabetiker
infolge ihrer Stoffwechselstörung von einer Polyneuropathie betroffen, so dass
bei diesen Patienten ein Vitamin B1-Mangel unbedingt vermieden oder
ausgeglichen werden muss, betonte Reiners. Vorteilhaft ist hier, das Vitamin in
Form seiner Vorstufe Benfotiamin zuzuführen. Sie kann vom Körper wesentlich
leichter aufgenommen werden, wodurch das Vitamin in ausreichend hohen
Konzentrationen zum Nervengewebe gelangt.
Vitamin B12-Mangel im Alter verbreitet
Ältere Menschen tragen auch ein hohes Risiko für einen
Mangel an Vitamin B12: Einer aktuellen Studie des Helmholtz-Zentrums zufolge
ist in Deutschland jeder Vierte über 65 Jahren davon betroffen. Ursache für die
verbreitete Unterversorgung im Alter ist neben einer qualitativ unzureichenden
Nahrung vor allem eine gestörte Aufnahme des Vitamins im Darm: Vitamin B12
erfordert im Verdauungstrakt optimale Bedingungen und Transportmoleküle, um von
der Nahrung in den Blutkreislauf übergehen zu können. Dieser komplexe Vorgang
ist insbesondere im Alter häufig gestört, etwa durch einen Mangel an Magensäure
oder Transportmolekülen, durch Magen-Schleimhautentzündungen (Gastritis) oder
die Einnahme von Arzneimitteln, wie Säureblocker und das Diabetes-Medikament
Metformin. Um einen Mangel bei älteren Menschen durch Tabletten auszugleichen,
sind hohe Dosierungen erforderlich: 1.000 µg Vitamin B12 pro Tag haben sich in
Studien als wirksame Dosis erwiesen, um einen Mangel zuverlässig auszugleichen.
Demenz durch B12-Mangel
„Psychiatrisch resultieren aus dem Vitamin B12-Mangel
depressive Verstimmungen und kognitive Einbußen bis hin zur Demenz“,
verdeutlichte Reiners die Folgen des Mangels. Bei bis zu 30% der Patienten mit
kognitiven Störungen kann eine behandelbare Ursache gefunden werden, erklärte
Prof. Dr. med. Marija Djukic. Bei Patienten mit Verdacht auf Demenz erwies sich
ein Vitamin B12-Mangel sogar als zweithäufigste behandelbare Ursache der
Erkrankung. Djukic rät, frühzeitig den Vitaminstatus untersuchen zu lassen, da
neurologische Symptome irreversibel sein können, wenn sie zu spät behandelt
werden.
Magnesium-Mangel schadet Herz und Gefäßen
Insbesondere in Verbindung mit internistischen
Erkrankungen wie Bluthochdruck, Herzschwäche, Arteriosklerose,
Fettstoffwechselstörungen und Diabetes mellitus werden bei vielen älteren
Menschen häufig Mangelzustände an Magnesium beobachtet, wie Prof. Dr. med.
Klaus Kisters berichtete. In jedem Fall müsse dieser Mangel ausgeglichen
werden, so Facharzt für Innere Medizin, Nephrologie, klinische Geriatrie und
Hypertonie. Ansonsten könnten Neuerkrankungen oder eine Verschlechterung
bereits bestehender Erkrankungen ausgelöst werden, warnte Kisters.
Teamarbeit am Knochen
Ein kombinierter Mangel an Magnesium und Vitamin D tritt
zudem häufig bei Patienten mit Osteoporose und Muskelschwund (Sarkopenie) auf.
Sowohl Magnesium als auch Vitamin D sind für die Knochengesundheit von
zentraler Bedeutung, wobei ein enges Zusammenspiel zwischen den beiden
Biofaktoren im Stoffwechsel besteht: Vitamin D fördert die Magnesium-Aufnahme
im Dünndarm. Magnesium wird wiederum für benötigt, um Vitamin D in die aktive
Form umzuwandeln. Mangelzustände an den beiden Biofaktoren können sich daher gegenseitig
verstärken, erklärte Kisters. Im Hinblick auf das steigende Osteoporose-Risiko
von Frauen nach den Wechseljahren sei es daher wichtig, auf eine ausreichende
Zufuhr beider Nährstoffe zu achten und diese bei Bedarf zu ergänzen, so der
Experte. Die Vitamin D-Versorgung ist bei Senioren besonders kritisch, wie
Prof. Dr. med. Hilmar Stracke berichtete. Denn im Alter nimmt die Fähigkeit der
Haut ab, unter Einfluss von UV-Licht Vitamin D in der Haut zu bilden. Nur
wenige Lebensmittel enthalten das Vitamin in nennenswerter Menge. Daher weist
auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung auf eine stärkere Notwendigkeit
einer Ergänzung von Vitamin D durch Präparate bei Personen über 65 Jahren hin.
Vitamin D fördert auch die Aufnahme von Kalzium im Darm, das einen weiteren
wichtigen Knochenbaustein darstellt. Daher sollte außerdem auf eine
ausreichende Versorgung mit Kalzium über die Nahrung geachtet werden, so der
Internist und Stoffwechselexperte Stracke. Kalziumreich sind Milch- und
Milchprodukte sowie kalziumreiches Mineralwasser.
Bei Infektanfälligkeit und Hautproblemen an Zinkmangel denken!
Auf dem Speiseplan älterer Menschen befindet sich
außerdem häufig zu wenig Zink: 44% der Männer und 27% der Frauen im Alter von
65 - 80 Jahren nehmen hierzulande über die Nahrung weniger Zink auf, als zur
Deckung des täglichen Bedarfs empfohlen wird, erklärte der Pharmakologe Prof.
Dr. med. Tilmann Ott mit Verweis auf die Ergebnisse der Nationalen
Verzehrsstudie II. Wie Ott ausführte, ist ein Zinkmangel mit vielfältigen Symptomen
verbunden, die häufig im Alter auftreten. Dazu zählen beispielsweise eine
verzögerte Wundheilung, Haut-Erkrankungen, Störungen der Geruchs- und
Geschmacksempfindung und eine geschwächte Immunabwehr mit erhöhter
Infektanfälligkeit.
Biofaktoren-Versorgung im Blick
Prof. Dr. med. Hans-Georg Classen, Vorsitzender der GfB,
gab zu bedenken, dass sich die Zufuhrempfehlungen, die auch der Nationalen
Verzehrsstudie zugrunde liegen, auf Gesunde beziehen. Sie berücksichtigen
keinen durch Krankheiten, Arzneimittel oder Stress bedingten Mehrbedarf. Somit
sei zu erwarten, dass ein Mangel an Biofaktoren bei älteren Personen ein
häufiges, aber zu selten erkanntest Ereignis ist, resümierte Classen. Die
Experten appellierten daher, der Biofaktoren-Versorgung im Alter mehr
Aufmerksamkeit zu schenken, Mangelzustände gezielt auszugleichen, um die
Gesundheit, Vitalität und Lebensqualität bestmöglich zu erhalten.
Eine Broschüre mit den Vorträgen der Referenten kann auf
der Webseite der Gesellschaft für Biofaktoren kostenlos angefordert oder
heruntergeladen werden.
Text - Quelle: Gesellschaft für Biofaktoren e.V.