Veränderte Essgewohnheiten begünstigten die Entstehung
neuer Laute
Abbildung: (© Tímea Bodogán) Bis zum Ende der Steinzeit
entwickelten erwachsene Menschen in der Regel einen Kopfbiss (links), bei dem
die Schneidezähne genau aufeinander stoßen. Danach setzte sich als Folge
weicherer Nahrung mehr und mehr ein Überbiss (rechts) durch, das heißt die
oberen Schneidezähne ragen leicht über die unteren hinaus. Diese Zahnstellung
ermöglicht erst die Bildung bestimmter Sprachlaute, etwa des "f".
Ernährungsbedingte Gebissveränderungen führten in
verschiedenen Sprachen der Welt zu neuen Lauten wie dem "f". Dies
zeigt die Studie eines internationalen Forschungsteams. Die Resultate
widersprechen der traditionellen Annahme, dass das Spektrum an Sprachlauten in
der Menschheitsgeschichte unverändert blieb.
Das Lautinventar menschlicher Sprache ist äusserst
vielfältig und umfasst häufige Laute wie "m" und "a" ebenso
wie die seltenen Schnalzlaute in einigen Sprachen im südlichen Afrika.
Gemeinhin wird angenommen, dass sich das Lautspektrum mit der Entstehung des
Homo Sapiens vor ungefähr 300.000 Jahren stabilisierte. Doch die Studie, die
ein Team von Forschern der Universität Zürich zusammen mit Wissenschaftlern von
zwei Max-Planck-Instituten, der Universität Lyon und der Nanyang Technological
University in Singapur soeben publiziert hat, wirft eine neues Licht auf die
Evolution gesprochener Sprache. Sie zeigt, dass sich Laute wie "f"
und "v", die heute in zahlreichen Sprachen vorkommen, erst vor
relativ kurzer Zeit verbreitet haben – als Folge einer neuen Zahnstellung, die
ihrerseits auf veränderte Ernährungsgewohnheiten zurückgeht.
Weiche Nahrung führte zu einer anderen Zahnstellung
Aufgrund der härteren und zäheren Nahrung entwickelten
frühere Menschen im Erwachsenenalter einen sogenannten Kopfbiss, bei dem die
Schneidezähne des Ober- und Unterkiefers Kante auf Kante stoßen. Mit der
zunehmenden Verbreitung weicherer Nahrung setzte sich jedoch eine Gebissform
durch, bei der die oberen Schneidezähne leicht über die unteren hinausragen.
Dies ermöglichte die Bildung neuer Laute, die heute in der Hälfte aller
Sprachen der Welt vorhanden sind: sogenannte Labiodentale, bei denen die oberen
Schneidezähne die Unterlippe berühren, wie bei der Aussprache von
"f".
"In Europa finden wir in den letzten zwei
Jahrtausenden einen drastischen Anstieg an Labiodentalen, die auf die
zunehmende Verbreitung verarbeiteter, weicherer Nahrung zurückgeht und durch
die Einführung industrieller Mahlverfahren zusätzlich vorangetrieben
wurde", führt Steven Moran, einer der beiden Ko-Erstautoren, aus.
"Der Einfluss unserer biologischen Voraussetzungen auf die Lautentwicklung
wurde bisher also unterschätzt."
Interdisziplinärer Ansatz zur Prüfung einer Hypothese
Inspiriert wurde das Forschungsprojekt durch den
Linguisten Charles Hockett, der 1985 eine Häufung von Labiodentalen in
Bevölkerungsgruppen mit Zugang zu weicherer Nahrung beobachtete. "Doch es
gibt Dutzende fadenscheinige Korrelationen im Bereich der Sprache",
kommentiert Ko-Erstautor Damián Blasi vom Max-Planck-Institut für
Menschheitsgeschichte und der Universität Zürich. "Direkte Zeugnisse
sprachlichen Verhaltens – etwa der Aussprache – fehlen uns aber."
Um die Mechanismen aufzudecken, die den beobachteten
Korrelationen zugrunde liegen, griffen die Wissenschaftler deshalb auf
Erkenntnisse, Daten und Methoden aus verschiedenen Disziplinen wie der
biologischen Anthropologie, der Phonetik und der historischen Linguistik
zurück. "Es war letztlich ein seltener Fall von übereinstimmenden
Befunden", so Blasi. Das ganze Projekt sei nur möglich gewesen, weil heute
große Datenbanken, detaillierte biomechanische Simulationen und computerintensive
Analysemethoden verfügbar sind.
In die Vergangenheit hören
"Unsere Resultate geben einen Einblick in die
ursächlichen Zusammenhänge zwischen kulturellem Verhalten, menschlicher
Biologie und Sprache", resümiert Projektleiter und UZH-Professor Balthasar
Bickel. "Und sie lassen Zweifel daran aufkommen, dass sich Sprache heute
immer noch gleich anhört wie in grauer Vorzeit." Diese Erkenntnisse und
die neuen Methoden, die dafür entwickelt wurden, erlauben es nun, andere
ungelöste Fragen anzugehen: zum Beispiel jene, wie Sprachen früher klangen oder
wie Cäsar sein "veni, vidi, vici" aussprach.
Text - Quelle: Max-Plank-Gesellschaft - UZH/mez