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Kauder: Man kann keine Regierungserklärung einem Unternehmen vorlegen

Berlin (ots) - CDU/CSU-Fraktionschef fordert Klarheit bei Nachrüstung von Diesel-Fahrzeugen bis zum Herbst

Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder (Foto), hat sich in einem Interview mit dem "Weser-Kurier" (Dienstagausgabe) zu aktuellen Themen wie möglichen weiteren Schritten bei der Nachrüstung von Diesel-Fahrzeugen, dem Verhältnis von Politik und Unternehmen sowie den Aussagen von FDP-Chef Christian Lindner zur Russlandpolitik geäußert. Das Interview hat folgenden Wortlaut:

"Herr Kauder, wenn morgen ein Mitglied Ihrer Fraktion zu den Grünen wechseln würde - wäre das ein Verrat am Wählerwillen?

Volker Kauder: Der Begriff passt überhaupt nicht. Das würde mich zwar auch nicht freuen, aber ich müsste es akzeptieren. Das kann man nicht als Verrat bezeichnen. Abgeordnete haben Gewissensfreiheit.

Haben Sie dennoch Verständnis für die Erregung, ja Empörung über den Coup von Elke Twesten in Hannover?

Nein, überhaupt nicht, zumal sich Ähnliches abgespielt hat bei der SPD in Thüringen. Dort hat die SPD-Landtagsfraktion sogar ein ehemaliges AfD-Mitglied aufgenommen, um die Mehrheit zu stabilisieren. Was die SPD da in Hannover abzieht, ist pure Heuchelei.

Vielleicht auch Verzweiflung, denn derzeit hagelt es Nackenschläge für Rot-Grün. Was kann eigentlich noch das Projekt Schwarz-Gelb gefährden?

Wir als Union wollen stärkste Fraktion werden. Angela Merkel muss Kanzlerin bleiben. Das sind unsere Ziele. Nach der Wahl schauen wir uns die Koalitionsmöglichkeiten in Ruhe an. AfD und Linkspartei scheiden aus. Es gibt auch kein schwarz-gelbes Projekt. Momentan rate ich unserer Partei, nicht überheblich zu werden. Es gilt: Weiterarbeiten, mit den Wählerinnen und Wählern sprechen. Wir haben sicher gute Chancen.

Aber alleine können Sie es auch nicht. Das Gerede von FDP-Chef Christian Lindner über die Krim-Annexion als "dauerhaftes Provisorium" war nicht besonders hilfreich, oder?

Die FDP macht ihren Wahlkampf, wir machen unseren Wahlkampf. Ich würde über Russland und die Krim so nie reden. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gilt der Grundsatz: Nie wieder Krieg! Nie wieder Grenzveränderungen durch Gewalt! Genau gegen dieses Prinzip hat Russlands Präsident Putin mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim verstoßen, und er verstößt dagegen aktuell in der Ost-Ukraine. Die Sanktionen sind weiter richtig. Das ist auch die Haltung der EU. Das war auch in der aktuellen Großen Koalition nie ganz unumstritten. Aber eine dritte Auflage bleibt Deutschland ja erspart, weil Martin Schulz nicht Merkels Vizekanzler werden will.

Auch Sigmar Gabriel hat in einem Interview kürzlich erklärt, dass er mit Angela Merkel und der Union keine Koalition mehr eingehen will. Beide Aussagen - von Gabriel und von Schulz - kann ich mir aufgrund der Meinungsumfragen nur so erklären, dass sie sich auf die Opposition vorbereiten.

Sie selber würden aber auch keinen Wert darauf legen, die Große Koalition fortzusetzen?

Die beiden Großen Koalitionen nach der deutschen Einheit haben durchaus gute Arbeit geleistet. Aber die Große Koalition sollte eher eine Ausnahme sein und nicht der Regelfall. Im Parlament sollte der Regierung und ihren Fraktionen eher eine starke Opposition gegenüberstehen.

Derzeit debattiert die Nation erregt über Abgaswerte, Diesel- und Elektromotoren. Sind sich Politiker und Manager der Automobilindustrie in der Vergangenheit zu nahe gewesen?

Das würde ich so pauschal nicht sagen. Aber natürlich hat die Politik ein Auge auf die Automobilwirtschaft. Sie ist ein großer Arbeitgeber und der Exportsektor schlechthin. Deshalb ist es richtig, dass sich die Politik mit ihr beschäftigt. Aber die Autoindustrie muss sich an die Gesetze halten wie jeder andere auch. Es ist schlimm, wie das nicht geschehen ist.

Bitte vollenden Sie diesen Satz: Eine Regierungserklärung zum Dieselskandal dem VW-Konzern zur Abnahme vorzulegen, ist...

... schon etwas sehr Ungewöhnliches - um es mal vorsichtig zu sagen. Man kann keine Regierungserklärung einem Unternehmen vorlegen. Das verwischt die Grenzen zwischen Regierung und Wirtschaft. Gespräche sind notwendig. Aber eine Regierung sollte einem Unternehmen nicht erlauben, Erklärungen im Korrekturmodus zu überarbeiten, selbst wenn man nicht alle Korrekturen annimmt.

Und wenn ein Staatsminister im Kanzleramt nahtlos zum Daimler-Konzern wechselt, um dort Cheflobbyist zu werden, ist das...?

... zulässig.

Aber unschön?

Zulässig. Wir haben häufig darüber diskutiert, ob es möglich sein muss, aus der Wirtschaft in die Politik zu wechseln - und umgekehrt. Aber das muss gehen. Wir haben Regeln geschaffen: Es gibt Abkühlungsphasen, die ein Politiker abwarten muss, immerhin bis zu 18 Monate.

Das ist aber auch das Mindeste.

Ein Politiker, der ja nur befristet im Amt ist, muss frei sein, sich danach auch in der Wirtschaft zu betätigen. Sonst hätten wir bald nur noch Beamte im Parlament. Entscheidend ist der Umgang mit den Lobbyisten. Klar muss sein: Sie dürfen Hinweise geben. Entscheiden müssen Regierungen und Fraktion immer selbst, und zwar unabhängig.

Nach dem Diesel-Gipfel forderten Sie: "Die Automobilindustrie muss von ihrem hohen Ross herunter." Was wäre der erste Schritt?

Der ist mit dem Software-Update gemacht worden. Ich frage mich aber schon, warum dies erst jetzt geschieht. Vielleicht muss aber noch ein zweiter Schritt gemacht werden: die technische Nachrüstung der Motoren, um den Schaden für die Käufer eines Diesel-Pkw zu begrenzen. Ich schließe das nicht aus.

Bis wann sollte das passieren?

Wir müssen sehr bald Klarheit haben, ob der erste Schritt reicht. Bis Herbst. Die Unternehmen müssen sich beeilen. Sie sind am Zug. Das ist die einzige Chance, wie man wieder Vertrauen in den Diesel gewinnen kann. Denn saubere Dieselmotoren werden wir noch lange brauchen.

Weitere Aufregerthemen sind Terrorismus und Zuwanderung, oft miteinander verknüpft. Sie wollen ausreisepflichtige Gefährder rascher und konsequenter abschieben - sind die Bundesländer zu zögerlich?

Wir haben gesetzliche Voraussetzungen geschaffen, dass ausreisepflichtige Gefährder in Haft genommen werden können, bis die Formalien geklärt sind. Das muss konsequenter gemacht werden. Die Bundesländer müssen jetzt konsequent im Vollzug arbeiten.

Zur Terrorabwehr fordert Bayerns Innenminister Joachim Herrmann eine bundeseinheitliche Schleierfahndung, Bremen bremst, Berlin auch. Was tun?

Joachim Herrmanns Forderung ist richtig und angemessen. Die Bürger sehen das mit großer Mehrheit genauso. Deshalb werden wir mit den Ländern auch noch einmal über die Sicherheitsarchitektur in Deutschland reden.

Der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz stellt bereits jetzt eine "Totalüberwachung" in Deutschland fest, von der man wegkommen müsse. Disqualifiziert ihn das als Koalitionspartner für die Union?

Das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht ziehen dem Staat überall Grenzen. Das ist richtig. Richtig ist aber auch: Die Terrorgefahr ist viel höher geworden. Der muss der Staat begegnen. Herr Notz sollte sich einmal damit beschäftigen.

Hier in Bremen sprechen Sie über Ihr Herzblut-Thema: aktuelle Christenverfolgungen. Die finden überwiegend in islamisch geprägten Ländern statt. Gehört der Islam trotzdem zu Deutschland?

Wir leben in Europa in einer christlich-jüdischen Tradition. Ich bleibe dabei: Die Muslime gehören zu Deutschland, aber nicht der Islam. Dort, wo der Islam Staatsreligion ist, werden Christen verfolgt und bedrängt - aber das gibt es leider auch in Indien, der größten Demokratie der Welt. Insgesamt muss der Dialog mit den Muslimen verstärkt werden - gerade mit denen, die Freiheit und Religion versöhnen wollen.

Dann würden Sie sich auch freuen, wenn bei Ihren Veranstaltungen Muslime säßen?

Aber natürlich! Wir wissen ja, dass die meisten Opfer von fanatisierten Muslimen gerade Muslime sind. Wir brauchen eine Einigkeit unter den Gläubigen, dass alle Religionen ihre Berechtigung haben und alle Menschen in Frieden leben dürfen."