veröffentlicht am 26. November 2022
Begleitend zum Event-Dreiteiler "Das Geheimnis des Totenwaldes" erzählt diese Dokumentation die wahre Geschichte, die Grundlage dieser Fernsehfilm-Trilogie ist.
Es ist die Geschichte von einem Polizisten, der nie aufgab und nach 28 Jahren ein Rätsel löst, an dem vor ihm schon viele gescheitert waren. Mit exklusivem Material zeigt diese Dokumentation eindrucksvoll, wie seine mühevolle Ermittlungsarbeit zu einem der brutalsten Serienmörder Deutschlands führte. Zu dem Mann, der auch hinter den rätselhaften Göhrde-Morden steht, die nicht nur Norddeutschland erschütterten. Das NDR-Team durfte drei Jahre lang Wolfgang Sielaff und seine Mitstreiter, aber auch Ermittler und Angehörige der Opfer exklusiv begleiten und war bei allen entscheidenden Momenten mit der Kamera dabei.
Wolfgang Sielaff war einmal einer der mächtigsten Polizisten Hamburgs. Als LKA-Chef hat er Kriminalgeschichte geschrieben und bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Im Falle seiner Schwester war er jahrzehntelang allerdings der "ohnmächtigste" Polizist. Seine Schwester, die wohlhabende Unternehmergattin Birgit Meier, verschwindet 1989 in Lüneburg, im benachbarten Bundesland Niedersachsen. Wolfgang Sielaff hat hier nichts zu melden: Polizeiarbeit ist Ländersache. Er versucht zwar wiederholt, die niedersächsischen Kollegen zu effizienter Ermittlungsarbeit zu drängen. Aber er muss immer wieder sehen, dass der Fall eingestellt wird oder erhebliche Pannen geschehen. Nur wenige Polizisten, die mit dem Fall betraut sind, ermitteln beherzt. Birgit Meier bleibt verschwunden. Von der Polizei verdächtigt wird ihr Mann Harald Meier, von dem sie zum Zeitpunkt des Verschwindens getrennt lebte. Ein Mordmotiv?
Die Ermittlungen um Birgit Meiers Verschwinden geraten immer wieder ins Stocken. Das hat einen Grund: Kurz zuvor sind zwei spektakuläre Doppelmorde in der Region geschehen, die die Polizei beschäftigen - und die Bevölkerung sehr beunruhigen: Im Staatsforst Göhrde vor den Toren Lüneburgs werden im Sommer '89 zwei Pärchen grausam ermordet. Die Polizei steckt jeden verfügbaren Kriminalisten in die Sonderkommission "Göhrde". Dadurch findet der Vermisstenfall "Birgit Meier" wenig Beachtung. Ein dramatischer Fehler, wie sich fast drei Jahrzehnte später zeigen wird. Denn der Mörder von Birgit Meier ist auch der mutmaßliche Göhrde-Mörder.
Wolfgang Sielaff versucht mehrfach, die ermittelnden Beamten in Lüneburg auf offene Fragen und Widersprüche aufmerksam zu machen. Doch bei den Ermittlern gilt Ehemann Harald Meier als Tatverdächtiger. Andere Spuren werden nur halbherzig verfolgt. Dabei drängt sich ein Mann geradezu auf: Kurt-Werner Wichmann. Er ist wegen Vergewaltigung, versuchter Tötung und weiterer schwerer Delikte in Erscheinung getreten. Er kannte Birgit Meier und hatte mehrfach Kontakt zu ihr - auch noch kurz vor ihrem Verschwinden.
Es vergehen dreieinhalb Jahre, ehe die Ermittlungsbehörden mit einem Durchsuchungsbefehl vor Wichmanns Tür stehen. Wichmann kann fliehen. Im ersten Stock des Hauses finden die Beamten ein abgeschlossenes Zimmer mit schallisolierter Tür, zu dem seine Frau keinen Zutritt hatte. In Geheimverstecken finden sie Kleinkaliberwaffen, Schalldämpfer, Messer, Elektroschocker, Dolche, Betäubungsmittel, Spritzen, Fesseln und jede Menge Munition.
Im steilen Hang hinter dem Haus finden die Beamten einen komplett vergrabenen Sportwagen. Der Leichenspürhund schlägt am Kofferraum an. Doch der Verdächtige bleibt verschwunden. Wochen nach seiner Flucht wird Kurt-Werner Wichmann schließlich in Süddeutschland festgenommen. Wenige Tage später erhängt er sich in seiner Zelle. Er hinterließ seiner Frau einen Abschiedsbrief voller versteckter Hinweise.
Gegen Tote, so will es das Gesetz, darf nicht ermittelt werden. Die Akte wird geschlossen, die Verfügung wird getroffen, alle Asservate zu vernichten. Ein nicht wieder gut zu machender Fehler. Man hätte weiter ermitteln können und müssen. Denn Wichmann hatte wahrscheinlich Mittäter.
Zu Beginn der 2000er-Jahre geht Sielaff in den Ruhestand. Er beantragt Akteneinsicht - und fällt aus allen Wolken, als er die Ermittlungsfehler und Versäumnisse der Lüneburger erkennt. Schließlich sammelt er die besten Weggefährten, vom Gerichtsmediziner bis zum Staatsanwalt, in seinem "Kernteam" um sich und rollt den Fall neu auf. Das Kernteam entwickelt neue Ansätze und bringt die Lüneburger schließlich dazu, zwei neue Ermittlungsgruppen zu gründen. Die EG Iterum (Wiederaufnahme des Falles) und die EG Göhrde.
Die EG Iterum findet nach neun Monaten Ermittlungsarbeit bei der Rechtsmedizin Hannover ein Asservat, das der Vernichtung entgangen ist: eine Handschelle mit Blutstropfen. Dank neuer DNA-Methoden steht bald fest: Es ist das Blut von Birgit Meier. Sie war also in der Gewalt von Kurt-Werner Wichmann. Die EG Göhrde arbeitet die Akten und die vorhandenen Asservate der Göhrde-Morde noch einmal auf. Dabei werden nun auch Klebefolien ausgewertet, mit denen 1989 Spuren von den Sitzen der Opfer-Autos gesichert worden waren. Ohne es zu wissen, haben die Beamten damals auch Hautschuppen mit aufgeklebt - und damit DNA-Spuren. Mit moderner Technik können diese jetzt ausgewertet werden. Dabei findet sich die DNA von Kurt-Werner Wichmann.
Die Lüneburger Polizei schließt den Fall Birgit Meier als aufgeklärt ab - auch wenn ihre Leiche noch nicht gefunden wurde. Doch Wolfgang Sielaff und seiner Familie lässt das Schicksal von Birgit keine Ruhe. Sie konzentrieren sich auf das Haus von Kurt-Werner Wichmann. In dessen Garage ist eine Kfz-Grube. Am 29. September 2017 lässt das Kernteam hier den Beton aufmeißeln. In einer Ecke der Grube stoßen sie - vor laufender Kamera - auf einen Hohlraum. Und im Sand dieses Hohlraumes auf menschliche Knochen - die Knochen von Birgit Meier …
Film von Björn Platz