Foto: Junge Frauen sind am häufigsten von der
Autoimmunkrankheit MS betroffen.
Forschende der Universität Zürich haben jene Abwehrzellen
identifiziert, die wahrscheinlich eine Schlüsselrolle bei der Multiplen
Sklerose (MS) spielen. Die MS-typischen T-Helfer-Zellen gelangen vom Blut ins
Zentrale Nervensystem, wo sie zu Entzündungen führen und die Nervenzellen
schädigen. Ihre Entdeckung eröffnet neue Möglichkeiten für Überwachung und
Therapie von MS.
Bei der Multiplen Sklerose (MS) dringen regelmässig
fehlgeleitete Immunzellen ins Hirn von Betroffenen ein, wo sie die Signalübertragung
zwischen den Nervenzellen schädigen und zum Verlust von Zellen des Zentralen
Nervensystems (ZNS) führen. Wird die Krankheit nicht eng überwacht und
behandelt, führt sie zu einer Anhäufung neurologischer Behinderungen, die
letztlich das Leben der Patientinnen und Patienten extrem einschränken.
Weltweit sind rund 2,5 Millionen Menschen, meist junge Erwachsene, von der
chronischen Autoimmunerkrankung betroffen.
«Fingerabdrücke» der schädlichen Abwehrzellen ermittelt
Die MS-Forschung sucht seit Jahren nach den
«Fingerabdrücken» jener Immunzellen, die für diese Krankheit charakteristisch
sind. Genau dies ist einem internationalen Team unter der Leitung von Burkhard
Becher am Institut für Experimentelle Immunologie der Universität Zürich (UZH)
nun gelungen. «Im Blut von MS-Patienten haben wir eine spezifische Population
weisser Blutkörperchen identifiziert, die über zwei Fähigkeiten verfügen, die
für MS charakteristisch sind: Sie können vom Blut ins ZNS austreten und führen
dort zu Entzündungen der Nervenzellen», erklärt Becher.
Modernste Zellvermessung und künstliche Intelligenz
Für ihre Suche nutzten die Forschenden eine Technologie,
um Immunzellen zu charakterisieren: die sogenannte hochdimensionale Zytometrie.
Diese ermöglicht es, Millionen von Zellen bei Hunderten von Individuen zu
untersuchen und deren Immunmerkmale – die «Fingerabdrücke» – zu bestimmen. Um
die riesigen Datenmengen überhaupt analysieren zu können, entwickelten die
Wissenschaftler neue Computeralgorithmen. «Dank Künstlicher Intelligenz und
maschinellem Lernen kann die Datenkomplexität enorm reduziert werden, während
die Interpretation der Ergebnisse den Forschenden überlassen bleibt», sagt
Burkhard Becher.
Zentrale Merkmale fehlgeleiteter Immunzellen
Dem interdisziplinären Team bestehend aus Medizinern,
Biologen und Computerwissenschaftlern gelang es so, im peripheren Blut von
MS-Patienten eine Zellpopulation zu identifizieren, die sich klar von den
Abwehrzellen aus Blutproben von Menschen mit anderen entzündlichen und nicht
entzündlichen Erkrankungen unterscheidet. Diese fehlgeleiteten T-Helfer-Zellen
produzieren einerseits das neuroinflammatorische Zytokin namens GM-CSF.
Andererseits befinden sich auf diesen Immunzellen grosse Mengen des
Chemokinrezeptors CXCR4 und des Membranproteins VLA4.
«Die nun identifizierte Zellpopulation verfügt damit über
zentrale MS-typische Eigenschaften: Das Zytokin löst neuronale Entzündungen
aus, und dank den Rezeptoren können die Immunzellen ins ZNS eindringen», sagt
Edoardo Galli, Erstautor der Studie. Die Forschenden fanden zudem heraus, dass
die für MS charakteristischen Abwehrzellen auch in der Hirnflüssigkeit und in
den Hirnschädigungen von Patienten stark vertreten sind. Dies deutet darauf
hin, dass sie einen direkten Einfluss auf die Krankheit haben. Darüber hinaus
reduziert eine Therapie diese Population stark.
Starke Hinweise, aber noch kein Beweis
«Unsere Ergebnisse deuten eindeutig auf einen direkten
Zusammenhang zwischen den MS-Immunmerkmalen und der Krankheit hin. Der von uns
identifizierte Biomarker dürfte für das Monitoring von MS-Patienten sehr
nützlich sein», vermutet Burkhard Becher. Trotz der starken Hinweise sei es
noch zu früh zu behaupten, die MS-typische Zellpopulation würde die Krankheit
verursachen, so der Forscher. Zunächst brauche es noch weitere Studien, um die
Hypothese zu bestätigen. Falls sich der Verdacht erhärtet, wird die
detaillierte Charakterisierung dieser Immunzellen wohl auch zu neuen Therapien
führen.
Literatur:
Edoardo Galli,
Felix J. Hartmann, Bettina Schreiner,
Florian Ingelfinger, Eirini Arvaniti, Martin Diebold, Dunja Mrdjen,
Franziska van der Meer, Carsten Krieg, Faiez Al Nimer, Nicholas Sanderson,
Christine Stadelmann, Mohsen Khademi, Fredrik Piehl, Manfred Claassen, Tobias
Derfuss, Tomas Olsson & Burkhard Becher. GM-CSF and CXCR4 Define a
T Helper Cell Signature in Multiple Sclerosis. Nature Medicine. July 22, 2019.
DOI: 10.1038/s41591-019-0521-4
Text: © Universität Zürich -