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Apotheker, der gerade ein Medikament über den Tresen reicht und eine Kundin
berät
(ams). Bei Alltagsbeschwerden ist es oft nicht nötig, sofort eine Arztpraxis aufzusuchen. Ein nicht verschreibungspflichtiges Medikament aus der Apotheke kann manchmal schnell Abhilfe schaffen. Doch frei verkäuflich ist nicht immer gleichbedeutend mit harmlos. Welche Neben- und Wechselwirkungen bei einer Selbstmedikation auftreten können und wann Sie besser zum Arzt gehen, erklärt Tobias Lindner, Apotheker im AOK-Bundesverband.
Ein
klassischer Schnupfen, Verdauungsprobleme, Kopfschmerzen, Regel- oder
Rückenschmerzen: Gegen viele leichtere Symptome helfen oft Hausmittel oder
rezeptfreie Medikamente aus der Apotheke. Immer mehr Menschen kaufen
Arzneimittel, die eine Ärztin oder ein Arzt nicht verschreiben muss. Inzwischen
ist laut Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH) fast jedes zweite
Medikament, das die Apothekerin oder der Apotheker abgibt, ein rezeptfreies
Mittel. Am häufigsten greifen die Menschen nach diesen Produkten, wenn sie
erkältet sind oder Schmerzen haben.
"Rezeptfreie
Arzneimittel haben zwar in der Regel weniger und schwächere Nebenwirkungen,
dennoch hat die Selbstmedikation ihre Grenzen", sagt Lindner. Allgemein
gilt: Patientinnen und Patienten sollten dann eine Ärztin oder einen Arzt, wenn
die Beschwerden länger andauern, stärker werden oder sich verändern. "Auch
bis dahin nie aufgetretene Symptome, hohes Fieber oder starke Schmerzen sind
ein Alarmzeichen", so Apotheker Tobias Lindner.
Vorsicht
Wechselwirkungen
Dass
eine Selbstmedikation nicht immer harmlos ist, zeigt zum Beispiel eine Studie
der ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V.: Bei fast jeder
fünften Abgabe eines rezeptfreien Medikaments tauchten arzneimittelbezogene
Probleme auf. Die Behandlung auf eigene Faust kann schiefgehen, wenn Betroffene
an chronischen Erkrankungen leiden, zum Beispiel an Bluthochdruck, an einer
Herz-, Nieren-, Lebererkrankung, an Asthma oder Diabetes. "Die Selbstmedikation
sollten chronisch kranke Menschen immer mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt
absprechen, denn die Gefahr von Wechselwirkungen mit den
verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist groß", erläutert Lindner. So
steigt zum Beispiel das Risiko von Unterzuckerungen bei Diabetikerinnen und
Diabetikern, wenn das beliebte Schmerzmittel ASS (Acetylsalicylsäure)
gleichzeitig mit Medikamenten zur Diabetesbehandlung (beispielsweise Insulin)
eingenommen wird.
Alkohol
im Hustensaft
Auch
pflanzliche Präparate sind nicht immer ungefährlich. Viele pflanzliche
Hustentropfen und -säfte beispielsweise enthalten Alkohol - darauf sollten
Menschen mit einer Lebererkrankung, einer Epilepsie oder Alkoholabhängigkeit
achten. Alkohol kann zudem die Wirkung von einigen Bluthochdruckmitteln
verstärken. Vorsicht ist auch angesagt, wenn Frauen schwanger sind oder
stillen. Das Baby könnte über die Nabelschnur oder die Muttermilch etwas von
dem Wirkstoff "abbekommen". Auch bei der Selbstmedikation kleiner
Kinder ist es besser, eine Kinderärztin/einen Kinderarzt zurate zu ziehen: Der
kindliche Organismus reagiert empfindlicher auf Medikamente und nicht jedes
Erwachsenen-Medikament ist für die Kleinen geeignet.
Schmerzmittel
gefährlich
Besonders
Schmerzmittel können gefährliche Folgen haben. Bekannte, auch rezeptfrei
erhältliche Substanzen wie ASS, Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen oder
Paracetamol sind zwar in der Regel gut verträglich und lindern leichte bis
mittlere Schmerzen zuverlässig. "Doch werden die Präparate über längere
Zeit oder hoch dosiert eingenommen, können sie Nieren, Magen, Darm oder Leber
schädigen", warnt AOK-Experte Lindner. Auch das Risiko für
Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann sich erhöhen. Zudem hat ASS besonders
ausgeprägte Auswirkungen auf die Blutgerinnung: Blutungen bei einer eventuell
erforderlichen Zahnbehandlung im Falle von Zahnschmerzen oder bei anderen
Eingriffen können sich verstärken. Das gilt auch für die Regelblutung. Damit
nicht genug: Paradoxerweise können Schmerzmittel gegen Kopfschmerzen bei
längerem Gebrauch wiederum zu Kopfschmerzen führen - denn sie können abhängig
machen. Lindner: "Wegen all dieser Gefahren gilt, dass Schmerzmittel nicht
länger als vier Tage hintereinander und höchstens an zehn Tagen im Monat eingenommen
werden sollten."
Erkältungen:
"Nasentropfen-Nase" vermeiden
Gerade
bei Husten, Schnupfen, Heiserkeit greifen die Deutschen oft zu rezeptfreien
Präparaten. Kaum zu glauben, aber viele Nasensprays und -tropfen, die die
Nasenschleimhaut abschwellen lassen und die Atemwege wieder frei machen, können
zu einer körperlichen Abhängigkeit führen. Länger als eine Woche angewendet,
kann ein Nasenspray einen medikamentenbedingten Schnupfen auslösen, der immer
mehr Nasenspray erfordert. Die Nasenschleimhaut trocknet aus und wird wiederum
anfälliger für Viren und Bakterien. Um diese "Nasentropfen-Nase" zu
vermeiden, sollten abschwellende Nasensprays und -tropfen maximal fünf bis
sieben Tage hintereinander gebraucht werden. Bei Erkältungen ist ein Arztbesuch
dann angesagt, wenn Fieber über 39 Grad auftritt, bei eitrigem oder blutigem
Auswurf, bei mühsamer Atmung sowie bei rasselnden oder pfeifenden Geräuschen
beim Atmen.
Auf
Nummer sicher
Bei
den geringsten Beschwerden gleich zu einem Medikament greifen sollte besser
nicht zur Gewohnheit werden. Stattdessen gilt es, den Ursachen auf den Grund zu
gehen. So stecken hinter Kopf- oder Rückenschmerzen oft Anspannung, Stress oder
Fehlhaltungen. Eine Arbeitspause, ein Spaziergang an der frischen Luft, Rücken-
oder Entspannungsübungen können oft Abhilfe schaffen. Bei Erkältungen ist meist
Ruhe das Wichtigste. Mal zu Hause bleiben und sich ins Bett legen kann Wunder
bewirken. Wenn Patientinnen und Patienten sich mit einem Arzneimittel selbst
behandeln, sollten sie auf Nummer sicher gehen. "Das heißt, den
Beipackzettel genau studieren und sich bei Unsicherheiten in der Apotheke
beraten lassen", rät Lindner. Sicherste Anlaufstelle ist und bleibt die
Hausarztpraxis. Die Ärztin beziehungsweise der Arzt kann ein sogenanntes
"grünes Rezept" ausstellen. Das ist zwar keine Verordnung, deren
Kosten die Krankenkassen tragen, aber eine ärztliche Empfehlung.
Selten
schwere Zwischenfälle
Erfreulich
ist, dass es bei einer Behandlung auf eigene Faust selten zu schweren
Zwischenfällen kommt, wie eine Studie der Unikliniken Rostock, Greifswald, Jena
und Weimar nahelegt. Von den fast 7.000 Patientinnen und Patienten, die wegen
Neben- und Wechselwirkungen von Arzneimitteln auf einer internistischen
Abteilung behandelt wurden, ging ein Großteil der Beschwerden auf
verschreibungspflichtige Mittel zurück. Nur 266 von ihnen, das sind vier
Prozent, hatten eigenständig zu einem Medikament gegriffen.
Bei
Selbstmedikation beachten
Text / Foto: AOK Bundesverband - AMS