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Gesundheit-News: Krank vor Angst aus Angst vor Krankheit - Hypochondrie

14. September 2022

(ams). Eingebildete Kranke? Mitnichten. Menschen mit einer Hypochondrie empfinden reale Symptome - und haben eine übergroße Angst, ernsthaft erkrankt zu sein. Das quält sie so, dass ihr Leben stark beeinträchtigt ist. Eine Psychotherapie kann helfen, die Ängste zu relativieren und mit dem eigenen Körper entspannter umzugehen.

Es vergeht kein Tag, an dem Gesa (Name geändert) nicht befürchtet, an Brustkrebs erkrankt zu sein. Beim Abtasten hat sie einen Knoten in der rechten Brust gespürt. Nun kreisen ihre Gedanken ständig darum. Dabei ist sie erst 25 Jahre alt und damit ist die Wahrscheinlichkeit für Brustkrebs sehr gering. Ihre Ärztin, die Gesa sehr häufig wegen Kontrolluntersuchungen aufsucht, gibt ihr immer wieder Entwarnung. Dann ist die 25-Jährige kurzfristig erleichtert, doch schon bald steigt die Angst wieder in ihr hoch.

Wie Gesa haben manche Menschen eine ausgeprägte Angst, ernsthaft krank zu sein, Hypochondrie oder hypochondrische Störung genannt. "Typisch für Hypochondrie-Patientinnen und -Patienten ist, dass auch unauffällige Befunde beim Arzt sie nicht beruhigen können", sagt Birgit Lesch, Diplom-Psychologin bei der AOK. Die Folge ist, dass sie immer wieder eine Arztpraxis aufsuchen, um sich aufs Neue untersuchen zu lassen.

Weil sich viel Erkrankte dafür schämen, wechseln sie auch immer wieder den Arzt oder die Ärztin. "Typisch für Hypochondrie ist, dass die Betroffenen über einen längeren Zeitraum hinweg dauerhaft Angst haben, an einer bestimmten schweren Erkrankung wie zum Beispiel an Krebs zu leiden. Sie sind davon überzeugt, etwa an einem Hirntumor, an Lungen-, Magen- oder Brustkrebs erkrankt zu sein", sagt Lesch. "Aber auch schwere Herzleiden oder neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose werden befürchtet."

Ernst zu nehmende psychosomatische Störung

Der Begriff Hypochondrie ist in der Gesellschaft negativ besetzt: Die Betroffenen gelten als wehleidige, eingebildete Kranke. Doch sie spüren die Symptome ganz real - und vor allem die übergroße Angst. "Es handelt sich dabei um eine ernst zu nehmende psychosomatische Störung", betont die Psychologin. Wie viele Menschen darunter leiden, ist nicht geklärt. Betroffen sind Männer und Frauen gleichermaßen und aller Altersklassen. Die Hypochondrie gehört zu den sogenannten somatoformen Störungen - hier werden körperliche Beschwerden empfunden, für die es keine oder keine ausreichende Erklärung durch organische Befunde gibt. Überschneidungen mit Depressionen, Zwangs- und Angststörungen sind häufig.

Ein Teufelskreis von Selbstbeobachtung und Panik

Es ist normal, sich ab und zu Sorgen um die eigene Gesundheit zu machen. "Doch die Betroffenen sind dauerhaft auf diese Sorgen fixiert und befürchten ständig das Schlimmste", so Lesch. So geraten sie in einen Teufelskreis. "Sie beobachten deshalb ihren Körper sehr genau und nehmen Körperfunktionen oder -veränderungen besonders intensiv wahr." Diese Körperwahrnehmungen bewerten sie negativ und katastrophisieren: Es zieht etwas im Bauch - das muss ein Magengeschwür sein! Ein Leberfleck - habe ich etwa Hautkrebs?

Seit gestern diese Kopfschmerzen - das ist sicher ein Hirntumor? In der Folge fokussiert sich ihre Aufmerksamkeit mehr und mehr auf den entsprechenden Körperbereich, sie beobachten, spüren, betasten die Region, suchen fieberhaft nach mehr Informationen im Internet, überprüfen ständig bestimmte Werte, wie zum Beispiel Blutdruck oder Gewicht. So erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, auch etwas "Störendes" zu finden, und es zieht sie immer mehr in den Sog von Selbstbeobachtung und Panik hinein.

Tipps für Angehörige

Angehörige sind oft genervt, sollten die Beschwerden aber nicht abtun, sondern versuchen zu verstehen, dass der Betroffene wirklich leidet.

Wichtig ist es dabei, den Betroffenen nicht in der rein körperlichen Sichtweise zu unterstützen, etwa zu einem weiteren Arztbesuch zu raten.

Darauf hinzuweisen, dass es sich womöglich um eine psychische Störung handelt, kann dazu motivieren, eine Psychotherapeutin, einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Wichtig ist dabei, auf die Formulierung zu achten. Man sollte nicht sagen: "Das bildest Du Dir ein." Denn die Empfindungen sind ja real da. Es geht um die Ursache für diese Symptome - und um eine neue Bewertung.

Ängstliche Persönlichkeitsstruktur

Menschen mit einer hypochondrischen Störung haben tendenziell eine ängstliche Persönlichkeitsstruktur und ein höheres Erregungspotenzial. Hinzu kommen wahrscheinlich frühe Erfahrungen in der Kindheit, etwa dass die Eltern selbst sehr ängstlich waren und dazu neigten, körperliche Symptome zu dramatisieren, vor dem Hintergrund perfektionistischer Ansprüche an die Gesundheit, nach dem Motto: "Gesundheit heißt, zu 100 Prozent frei von Körperbeschwerden zu sein." Eventuell haben sie in der Kindheit auch Krankheit und Tod in ihrer Familie erfahren, vielleicht verbunden mit Fehldiagnosen. Auslöser für die Störung können dann akuter Stress oder Krisen sein, wie etwa der Verlust eines Menschen, eine Trennung, ein Umzug oder Jobverlust.

Ein entspannteres Verhältnis zum Körper entwickeln

In einer Psychotherapie erlernen die Patientinnen und Patienten einen gesunden Kontakt zu ihrem Körper - hier hat sich die Verhaltenstherapie bewährt. Sie erfahren, dass es „ganz normale“ Missempfindungen gibt, etwa ein Bauchdrücken nach einem schweren Essen, Kopfschmerzen bei Muskelverspannungen oder ein verstärkter Herzschlag bei Aufregung, Anstrengung und manchmal sogar nach Kaffeekonsum. Und dass nicht jede Schwellung oder Unregelmäßigkeit auf einen Tumor hindeutet.

In der Therapie spüren sie nach, inwieweit Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Körperstelle oder Empfindung das Symptom verstärken kann. Und sie lernen, die Angst auszuhalten. Zum Beispiel dadurch, dass sie - begleitet durch die Therapeutin, den Therapeuten - den schlimmsten Fall in der Vorstellung durchspielen. Eine häufig vereinbarte Maßnahme ist auch, für eine bestimmte Zeit auf die ständigen Arztbesuche zu verzichten.

Entspannungsmethoden können zusätzlich helfen, Stress abzubauen und ein entspannteres Verhältnis zum Körper zu entwickeln. Psychologin Lesch: "Das Allerwichtigste für die Betroffenen ist es zu spüren, dass ihre Ängste ernst genommen werden und dass sie sich dafür nicht schämen müssen."



Text / Foto: AOK Bundesverband