Ergotherapeut:innen
erleben in ihrer täglichen Praxis Jugendliche und junge Erwachsene, die als
Folge der Pandemie an Ängsten oder Depressionen leiden. Die Herausforderung:
Patient:innen stabilisieren, Ängste lösen und gemeinsam in der Pandemie
passende Lösungen entwickeln.
Die
Belastungen durch die Pandemie wirken sich mit jedem Tag mehr auf die Menschen
aus; es ist ein schleichender Prozess der Gewöhnung und der Veränderung. Die
wenigsten nehmen jedoch eine solche allmähliche persönliche Veränderung - etwa
ihrer Gemütslage
oder ihres Verhaltens - selbst wahr. Andere wollen nicht realisieren, dass und
wie sie sich verändern. Das sind ebenso Gründe
für eine hohe Dunkelziffer von Menschen
mit psychischen Belastungen wie die Wertung dieser Probleme in der
Gesellschaft. "Das Positive ist, dass die Vorurteile gegenüber Menschen mit seelischen
Belastungen, Störungen oder Erkrankungen zwangsläufig abnehmen, je mehr
Betroffene es gibt", stärkt Miriam Leventic diesen den Rücken.
Die
Ergotherapeutin berichtet, dass bei vielen ihrer Patient:innen aus der
Altersgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwar verstärkt Ängste oder
Depressionen eine Rolle spielen, aber der Umgang damit allmählich offener,
ehrlicher und dadurch besser wird. Sie schreibt diese Entwicklung sowohl den
erfolgreichen Interventionen und der Aufklärungsarbeit ihrer eigenen
Berufsgruppe als auch speziellen Kampagnen zu. Sie erwähnt unter anderem die
Deutsche Depressionshilfe, die die Seite www.fideo.de
ausschließlich für
Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 25 Jahren betreibt. Das Portal
ermöglicht den Austausch mit Anderen, bietet Antworten und weitere Angebote wie
beispielsweise einen Schnelltest – unverbindlich, kostenlos, anonym.
Viele
Jugendliche und junge Erwachsene zusätzlich durch Ängste belastet
"Seit
Beginn der Pandemie sind Ängste ein zusätzliches Thema, das unsere
Patient:innen begleitet", sagt Leventic und nennt zunächst diejenigen, die
eine COVID-Erkrankung durchgemacht haben. Die Ergotherapeutin versteht, welches
Gefühlschaos gerade Jugendliche
oder junge Erwachsene verspüren,
die sich naturgemäß wegen ihres Alters unverletzbar fühlen. "Es ist keine Schwäche, sondern
nachvollziehbar, wenn sich bei denjenigen Ängste entwickeln, die eine noch
immer unerforschte Erkrankung durchgemacht haben, wochen- oder monatelang mit
den Krankheitsfolgen zu tun hatten und darüber
hinaus sozial isoliert waren", veranschaulicht die Ergotherapeutin, was
diese Menschen erlebt haben und was in ihnen vorgeht.
Sie
bestätigt, dass mit Long-Covid häufig psychische Beschwerden wie Ängste oder
Depressionen einhergehen. Als weitere Personengruppe, die verstärkt unter
Ängsten oder einer Verschlimmerung ihrer eigentlichen Problematik durch die
Pandemie leiden, nennt sie Patient:innen, die bereits wegen Depressionen in
Behandlung sind. Deren Situation hat sich gerade unter den Jugendlichen und
jungen Erwachsenen durch eine Vielzahl von Einschränkungen verschlechtert.Die
zuvor vereinbarten Aktivitäten und Maßnahmen, um sie in ein aktiveres Leben zu
bringen, scheitern in vielen Fällen an den Pandemie-bedingten Restriktionen.
Junge
Eltern häufig im Dauerstress
Die
Dauerbelastung der Krise macht sich immer mehr auch bei vermeintlich gesunden
jungen Erwachsenen bemerkbar. So wirkt sich beispielsweise Homeoffice in
Kombination mit Homeschooling oder Betreuung von Kita-Kindern zuhause auf die
gesamte Familie aus. Das hinterlässt Spuren, die nicht durch die Wiederöffnung
von Schulen und Kitas von alleine wieder verschwinden. "Wir stellen eine
Überforderung bei vielen Eltern und Alleinerziehenden fest, und das erst recht,
wenn die Kinder eine Störung oder Entwicklungsverzögerung haben", erklärt
die Ergotherapeutin. Es war schon vor der Pandemie für Eltern oder Elternteile von Kindern mit
Förderungsbedarf schwierig, Zeit für
sich selbst zu finden und in Balance zu bleiben. Nicht selten fallen der
Ergotherapeutin Leventic ebenso wie ihren Kolleg:innen bei der Elternanleitung
Mütter oder Väter auf, die in
einem sich zuspitzenden Tief stecken.
Was
viele nicht wissen oder bedenken: dass sie selbst Hilfe benötigen. "Eigene
Bedürfnisse und Interessen lassen
sich nicht unendlich zurückschrauben",
redet Leventic Müttern und
Vätern ins Gewissen. Ausgleich, Abschalten, etwas für sich selbst tun sind wichtige Voraussetzungen, um
als Eltern gegenüber den
Kindern souverän und liebevoll zu handeln oder zu reagieren.
Ergotherapeut:innen unterstützen
Eltern beispielsweise, indem sie gemeinsam Wochenpläne ausarbeiten und gezielt
Aktivitäten einplanen, die ausschließlich dem eigenen Wohl dienen, Freude und
Ausgleich bringen und die 'Speicher' füllen.
Ergotherapeut:innen verwenden Interessenschecklisten, die Ideengeber und
Fundgrube für längst
vergessene Hobbies und Leidenschaften sind. Auch unterstützen Ergotherapeut:innen dabei, Prioritäten zu
setzen, um mehr und mehr einen möglichst ausgeglichenen Alltag herbeizuführen - zum Wohle aller: der
Eltern und der Kinder.
Mit
Ergotherapeut:innen individuell passende Lösungen finden
Der
Alltag hat sich durch die Pandemie für
alle Menschen enorm geändert und viele Ideen, die Ergotherapeut:innen vor der
Pandemie gemeinsam mit ihren Patient:innen entwickelt haben, funktionieren
jetzt nicht mehr. Eine Herausforderung für
jede ergotherapeutische Praxis. Miriam Leventic betrachtet es als eine der
derzeit vorrangigsten Aufgaben ihrer Berufsgruppe, ihre Patient:innen mit
Ängsten und Depressionen zu stabilisieren, deren Blick zu erweitern und
Möglichkeiten zu finden, trotz Einschränkungen aktiv und selbstwirksam zu sein.
Die Ergotherapeutin vermittelt am Beispiel einer jungen Patientin mit ADS,
einer Atemwegsproblematik und in der Pandemie entstandenen Ängsten, dass dies
realisierbar ist. Die junge Frau vermied anfangs aus Angst vor einer Ansteckung
den öffentlichen Nahverkehr und erledigte nur noch Dinge oder ging Aktivitäten
nach, die zu Fuß erreichbar waren.
"Der
wichtigste und erste Schritt war, das Thema faktisch anzugehen, was über Angsthierarchie
funktioniert, also Fragen besprechen wie: 'wie wahrscheinlich ist es, sich in
Bus und Bahn anzustecken' und Ähnliches," erklärt die Ergotherapeutin eine
der üblichen Vorgehensweisen bei
Angstpatient:innen. Die nächsten Schritte waren, blockierende Glaubenssätze zu
betrachten, die Gedanken der Patientin 'umzupolen' und Aktivitätsexperimente zu
machen. Mithilfe der ergotherapeutischen Unterstützung gelang es der Patientin, kurze Fahrten von
anfangs ein bis zwei Minuten auf mittlerweile einstündige Bahnfahrten auszudehnen. Ein Erfolg, der zu
mehr Aktivität und Selbstwirksamkeit führt
und auf den die Patientin genauso stolz ist wie die Ergotherapeutin.
Informationsmaterial
zu den vielfältigen Themen der Ergotherapie gibt es bei den Ergotherapeut:innen
vor Ort; Ergotherapeut:innen in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes
unter https://dve.info/service/therapeutensuche