Frankfurt am Main/Dortmund (ots). Ein Junge steht
am Beckenrand, springt ins kalte Wasser und geht unter - und das, obwohl er
schwimmen kann. Warum ihm seine Arme und Beine in bestimmten Situationen den
Dienst versagen, wird er erst als Teenager erfahren: Als einer von rund 600
Menschen in Deutschland leidet er an nicht-dystropher Myotonie, oder kurz NDM.
Der kleine Junge von damals heißt Volker Kowalski
und ist mittlerweile 1. Vorsitzender der Patientenorganisation Mensch &
Myotonie e.V. NDM sind eine Gruppe erblich bedingter Muskelerkrankungen mit
einem gemeinsamen Merkmal: die Muskeln können sich nach einer Anspannung, wie
beim Händeschütteln, Treppensteigen oder Blinzeln nur in Zeitlupe wieder
entspannen - als würde jemand plötzlich die Handbremse ziehen.
Aber nicht nur im kalten Schwimmbecken ist Vorsicht
geboten, denn auch harmlose Situationen können schnell eskalieren. Einmal kurz
beim Überqueren der Straße stolpern und die Muskeln versteifen. Bis man wieder
aufstehen kann, haben die Autos schon längst wieder grün. Lautes Hupen
verstärkt den Stress und macht alles nur noch schlimmer. Die meisten Mitglieder
von Mensch & Myotonie e.V. kennen solche Situationen. Aber nicht jeder ist
gleich schwer betroffen, denn die Myotonie äußert sich bei jedem sehr
individuell. Mit sehr schwach ausgeprägten Symptomen können sich die
Betroffenen meist arrangieren. Jeder entwickelt seine ganz eigenen Tricks, um
mit der Myotonie zurechtzukommen und die Symptome vor anderen zu verbergen: z.
B. vor dem Aufstehen von der Kaffeetafel noch einmal zur Kaffeetasse greifen -
das lockert die steif gewordene Muskulatur. Grundsätzlich sind sämtliche
Muskeln, die der Bewegung dienen, von einer Muskelblockade betroffen. Schwere
Stürze im Alltag können die Folge sein. Gelegentlich kommt es auch vor, dass
sich die Symptome mit der Zeit verschlimmern.
Wie sehr die Betroffenen unter ihrer Erkrankung
leiden, ist Außenstehenden nur schwer zu vermitteln. "Viele von uns wirken
sehr athletisch, können aber ein Trinkglas manchmal nicht mit einer Hand
halten", erläutert Kowalski. Denn neben der Muskelsteifigkeit berichten
die Betroffenen auch über Muskelschwäche, eine schwache Ausdauer und
Muskelschmerzen. Selbst Ärzte haben Schwierigkeiten, die oft vagen Symptome
dieser seltenen Erkrankung richtig zuzuordnen. Viele Patienten haben daher eine
jahrelange Odyssee hinter sich, bevor die richtige Diagnose gestellt wird.
Einer der sich auskennt ist Professor Benedikt
Schoser. Der NDM-Experte und Facharzt für Neurologie am Uniklinikum München
sprach im Rahmen einer Mitgliederversammlung von Mensch & Myotonie e.V.
über das geplante Patientenregister des Friedrich-Baur-Instituts. "Selbst
Experten wissen noch immer zu wenig über NDM", bekennt Schoser.
"Durch das neue Register kann jeder Patient mit NDM dazu beitragen, dass
wir noch mehr über die Erkrankung erfahren." Wer hat welche Symptome? Wie
stark schränkt die Myotonie den Alltag der Betroffenen ein? Wem helfen welche
Medikamente? Bislang gibt es nur ein Medikament, das offiziell zur Behandlung
der Myotonie bei NDM zugelassen ist. Seit Anfang 2019 wird es durch Hormosan in
Deutschland vertrieben. "Meine Hoffnung ist, dass die persönlichen
Erfahrungen unserer Mitglieder und die enge Zusammenarbeit mit Experten wie
Professor Schoser dazu beitragen werden, die medizinische Versorgung weiter zu
verbessern", fasst Kowalski zusammen. "Dazu müssen wir Betroffenen
alle gemeinsam an einem Strang ziehen - gerade bei seltenen Erkrankungen wie
NDM."
Über nicht-dystrophe Myotonien:
Nicht-dystrophe Myotonien sind eine Gruppe erblich
bedingter Muskelerkrankungen, bei denen es zu einer Über- oder
Untererregbarkeit der muskulären Zellmembran kommt. Ursache sind Mutationen in
den muskulären Chlorid- oder Natriumkanälen. Chloridkanal-Myotonien (Thomson-
und Becker-Myotonie) gehen klinisch vor allem mit Muskelsteifigkeit (Myotonie)
aufgrund einer stark verzögerten Muskelerschlaffung einher. Charakteristisch
ist das sog. Warm-up-Phänomen, d.h. die Muskelsteifigkeit verringert sich durch
wiederholte Bewegungen. Bei den Natriumkanalmyotonien (Kalium-sensitive
Myotonie und Paramyotonia congenita) kommt es zu einer gestörten Inaktivierung
der Natriumkanäle. Bei der Paramyotonie zeigt sich die Muskelsteifigkeit vor
allem bei Kälteeinwirkung und verschlimmert sich mit weiterer körperlicher
Aktivität (paradoxe Myotonie).
Über Mensch & Myotonie e.V.:
Mensch & Myotonie e.V. ist der erste
gemeinnützige eingetragene Verein in Deutschland, der sich vorrangig für
Betroffene mit nicht-dystrophen Myotonien der Typen Thomsen, Becker sowie der
Natriumkanal-Myotonien engagiert. Der Beitritt und die weitere Mitgliedschaft
ist kostenlos und steht grundsätzlich auch Betroffenen mit anderen
neuromuskulären Erkrankungen offen. Auf den regelmäßigen
Mitgliederversammlungen ergibt sich die seltene Gelegenheit, andere Betroffene
persönlich kennenzulernen. Vereinsmitglieder und Interessierte können sich
zudem im vereinseigenen Myotonie-spezifischen Online-Forum über persönliche
Erfahrungen mit verschiedenen Behandlungsoptionen informieren und sich über
eigene Alltagserfahrungen austauschen.
Auf der Homepage www.menschundmyotonie.de
können Interessierte und Betroffene sich über nicht-dystrophe Myotonien
informieren oder als Mitglied registrieren. Ansprechpartner ist der
1.Vorsitzende Volker Kowalski. Kontakt per Telefon: 0231 - 80 32 90 (ab 12 Uhr)
oder per E-Mail: vokiko@online.de.
Text / Foto: "obs/Hormosan Pharma GmbH",
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