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myotonie 13.10.19 14.00

Gesundheit-News: Leben mit angezogener Handbremse - Menschen mit nicht-dystropher Myotonie

13. Oktober 2019

Frankfurt am Main/Dortmund (ots). Ein Junge steht am Beckenrand, springt ins kalte Wasser und geht unter - und das, obwohl er schwimmen kann. Warum ihm seine Arme und Beine in bestimmten Situationen den Dienst versagen, wird er erst als Teenager erfahren: Als einer von rund 600 Menschen in Deutschland leidet er an nicht-dystropher Myotonie, oder kurz NDM.

Der kleine Junge von damals heißt Volker Kowalski und ist mittlerweile 1. Vorsitzender der Patientenorganisation Mensch & Myotonie e.V. NDM sind eine Gruppe erblich bedingter Muskelerkrankungen mit einem gemeinsamen Merkmal: die Muskeln können sich nach einer Anspannung, wie beim Händeschütteln, Treppensteigen oder Blinzeln nur in Zeitlupe wieder entspannen - als würde jemand plötzlich die Handbremse ziehen.

Aber nicht nur im kalten Schwimmbecken ist Vorsicht geboten, denn auch harmlose Situationen können schnell eskalieren. Einmal kurz beim Überqueren der Straße stolpern und die Muskeln versteifen. Bis man wieder aufstehen kann, haben die Autos schon längst wieder grün. Lautes Hupen verstärkt den Stress und macht alles nur noch schlimmer. Die meisten Mitglieder von Mensch & Myotonie e.V. kennen solche Situationen. Aber nicht jeder ist gleich schwer betroffen, denn die Myotonie äußert sich bei jedem sehr individuell. Mit sehr schwach ausgeprägten Symptomen können sich die Betroffenen meist arrangieren. Jeder entwickelt seine ganz eigenen Tricks, um mit der Myotonie zurechtzukommen und die Symptome vor anderen zu verbergen: z. B. vor dem Aufstehen von der Kaffeetafel noch einmal zur Kaffeetasse greifen - das lockert die steif gewordene Muskulatur. Grundsätzlich sind sämtliche Muskeln, die der Bewegung dienen, von einer Muskelblockade betroffen. Schwere Stürze im Alltag können die Folge sein. Gelegentlich kommt es auch vor, dass sich die Symptome mit der Zeit verschlimmern.

Wie sehr die Betroffenen unter ihrer Erkrankung leiden, ist Außenstehenden nur schwer zu vermitteln. "Viele von uns wirken sehr athletisch, können aber ein Trinkglas manchmal nicht mit einer Hand halten", erläutert Kowalski. Denn neben der Muskelsteifigkeit berichten die Betroffenen auch über Muskelschwäche, eine schwache Ausdauer und Muskelschmerzen. Selbst Ärzte haben Schwierigkeiten, die oft vagen Symptome dieser seltenen Erkrankung richtig zuzuordnen. Viele Patienten haben daher eine jahrelange Odyssee hinter sich, bevor die richtige Diagnose gestellt wird.

Einer der sich auskennt ist Professor Benedikt Schoser. Der NDM-Experte und Facharzt für Neurologie am Uniklinikum München sprach im Rahmen einer Mitgliederversammlung von Mensch & Myotonie e.V. über das geplante Patientenregister des Friedrich-Baur-Instituts. "Selbst Experten wissen noch immer zu wenig über NDM", bekennt Schoser. "Durch das neue Register kann jeder Patient mit NDM dazu beitragen, dass wir noch mehr über die Erkrankung erfahren." Wer hat welche Symptome? Wie stark schränkt die Myotonie den Alltag der Betroffenen ein? Wem helfen welche Medikamente? Bislang gibt es nur ein Medikament, das offiziell zur Behandlung der Myotonie bei NDM zugelassen ist. Seit Anfang 2019 wird es durch Hormosan in Deutschland vertrieben. "Meine Hoffnung ist, dass die persönlichen Erfahrungen unserer Mitglieder und die enge Zusammenarbeit mit Experten wie Professor Schoser dazu beitragen werden, die medizinische Versorgung weiter zu verbessern", fasst Kowalski zusammen. "Dazu müssen wir Betroffenen alle gemeinsam an einem Strang ziehen - gerade bei seltenen Erkrankungen wie NDM."

Über nicht-dystrophe Myotonien:

Nicht-dystrophe Myotonien sind eine Gruppe erblich bedingter Muskelerkrankungen, bei denen es zu einer Über- oder Untererregbarkeit der muskulären Zellmembran kommt. Ursache sind Mutationen in den muskulären Chlorid- oder Natriumkanälen. Chloridkanal-Myotonien (Thomson- und Becker-Myotonie) gehen klinisch vor allem mit Muskelsteifigkeit (Myotonie) aufgrund einer stark verzögerten Muskelerschlaffung einher. Charakteristisch ist das sog. Warm-up-Phänomen, d.h. die Muskelsteifigkeit verringert sich durch wiederholte Bewegungen. Bei den Natriumkanalmyotonien (Kalium-sensitive Myotonie und Paramyotonia congenita) kommt es zu einer gestörten Inaktivierung der Natriumkanäle. Bei der Paramyotonie zeigt sich die Muskelsteifigkeit vor allem bei Kälteeinwirkung und verschlimmert sich mit weiterer körperlicher Aktivität (paradoxe Myotonie).

Über Mensch & Myotonie e.V.:

Mensch & Myotonie e.V. ist der erste gemeinnützige eingetragene Verein in Deutschland, der sich vorrangig für Betroffene mit nicht-dystrophen Myotonien der Typen Thomsen, Becker sowie der Natriumkanal-Myotonien engagiert. Der Beitritt und die weitere Mitgliedschaft ist kostenlos und steht grundsätzlich auch Betroffenen mit anderen neuromuskulären Erkrankungen offen. Auf den regelmäßigen Mitgliederversammlungen ergibt sich die seltene Gelegenheit, andere Betroffene persönlich kennenzulernen. Vereinsmitglieder und Interessierte können sich zudem im vereinseigenen Myotonie-spezifischen Online-Forum über persönliche Erfahrungen mit verschiedenen Behandlungsoptionen informieren und sich über eigene Alltagserfahrungen austauschen.

Auf der Homepage www.menschundmyotonie.de können Interessierte und Betroffene sich über nicht-dystrophe Myotonien informieren oder als Mitglied registrieren. Ansprechpartner ist der 1.Vorsitzende Volker Kowalski. Kontakt per Telefon: 0231 - 80 32 90 (ab 12 Uhr) oder per E-Mail: vokiko@online.de.

 

Text / Foto: "obs/Hormosan Pharma GmbH", übermittelt durch news aktuell