Foto: Missbrauch und Abhängigkeit von Medikamenten - ältere Frau vor vielen Tabletten
Jährlich werden in Deutschland rund 1,4 Milliarden Arzneimittelpackungen verkauft, von denen etwa 50 Prozent nicht rezeptpflichtig sind. Vier bis fünf Prozent aller verordneten Arzneimittel besitzen ein Missbrauchs- und bzw. oder Abhängigkeitspotenzial, darunter vor allem die verschreibungspflichtigen Schlaf- und Beruhigungsmittel.
Unterschied Nicht-bestimmungsgemäßer Gebrauch /
Missbrauch / Abhängigkeit
Grundsätzlich werden folgende Formen der missbräuchlichen Anwendung von Fertigmedikamenten unterschieden:
der nicht-bestimmungsmäßige Gebrauch
der schädliche Gebrauch bzw. Missbrauch
die Abhängigkeit
Der nicht-bestimmungsgemäße Gebrauch wird von den Konsumentinnen und Konsumenten als hedonistischer Konsum („Spaßkonsum“) betrieben, ohne dass Hinweise auf einen Missbrauch oder eine Abhängigkeit bestehen. Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass auch bei einem hedonistischen Konsum bereits unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) auftreten können.
Für den Missbrauch geben allgemein anerkannte Diagnose-Klassifikationssysteme die folgenden konkreten Kriterien an, die zur Diagnostik erfüllt sein müssen:
a) Ein unangepasstes Muster von Substanzgebrauch führt in klinisch bedeutsamer Weise zu Beeinträchtigungen oder Leiden, wobei sich mindestens eines der folgenden Kriterien innerhalb desselben zwölf-Monats-Zeitraums manifestiert:
Wiederholter Substanzgebrauch, der zu einem
Versagen bei der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen bei der Arbeit, in der
Schule oder zu Hause führt (z. B. wiederholtes Fernbleiben von der Arbeit und
schlechte Arbeitsleistungen in Zusammenhang mit dem Substanzgebrauch,
Schulschwänzen, Einstellung des Schulbesuchs oder Ausschluss von der Schule
in Zusammenhang mit Substanzgebrauch, Vernachlässigung von Kindern und Haushalt).
Wiederholter Substanzgebrauch in Situationen, in
denen es aufgrund des Konsums zu einer körperlichen Gefährdung kommen kann (z.
B. Alkohol am Steuer oder das Bedienen von Maschinen unter Substanzeinfluss).
Wiederkehrende Probleme mit dem Gesetz in
Zusammenhang mit dem Substanzgebrauch (z. B. Verhaftungen aufgrund ungebührlichen
Betragens in Zusammenhang mit dem Substanzgebrauch).
Fortgesetzter Substanzgebrauch trotz ständiger oder
wiederholter sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme, die durch die
Auswirkungen der psychotropen Substanzen verursacht oder verstärkt werden (z.
B. Streit mit dem Ehegatten über die Folgen der Intoxikation, körperliche
Auseinandersetzungen).
b) Die Symptome haben niemals die Kriterien für Substanzabhängigkeit der jeweiligen Substanzklasse erfüllt.
Die sichere Diagnose „Abhängigkeit“ sollte nur gestellt werden, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der folgenden Kriterien vorhanden waren:
Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope
Substanzen zu konsumieren.
Verminderte Kontrollfähigkeit bzgl. des Beginns,
der Beendigung und der Menge des Konsums.
Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder
Reduktion des Konsums, nachgewiesen durch die substanzspezifischen
Entzugssymptome oder durch die Aufnahme der gleichen oder einer nahe verwandten
Substanz, um Entzugssymptome zu mildern oder zu vermeiden.
Nachweis einer Toleranz. Um die ursprünglich durch
niedrige Dosen erreichten Wirkungen der psychotropen Substanz hervorzurufen,
sind zunehmend höhere Dosen erforderlich (…).
Fortschreitende Vernachlässigung anderer
Vergnügungen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums, erhöhter
Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den
Folgen zu erholen.
Anhaltender Substanzgebrauch trotz Nachweises
eindeutiger schädlicher Folgen wie z. B. Leberschädigung durch exzessives
Trinken, depressive Verstimmungen infolge starken Substanzkonsums oder
drogenbedingte Verschlechterung kognitiver Funktionen. Es sollte dabei
festgestellt werden, dass der Konsument sich tatsächlich über Art und Ausmaß
der schädlichen Folgen im Klaren war oder dass zumindest davon auszugehen ist.
Der Abhängigkeit geht in der Regel ein Missbrauch voraus, wohingegen ein Missbrauch nicht zwangsläufig in einer Abhängigkeit mündet.
Häufig wird eine Medikamentenabhängigkeit von den Betroffenen nicht als solche wahrgenommen. Zum einen, weil Medikamente mit Missbrauchs- bzw. Abhängigkeitspotenzial unter die Verschreibungspflicht fallen und somit eine Verordnung durch eine Ärztin/einen Arzt erfolgen muss (der Betroffene sieht mit einer Verordnung die Einnahme als begründet). Zum anderen erleichtert der Zugang (z.B. über das Internet bzw. die Apotheke) die unkontrollierte und nicht-bestimmungsgemäße Anwendung von Medikamenten. Gerade freiverkäufliche bzw. apothekenpflichtige Medikamente wie Nasentropfen und -sprays, Abführmittel oder Schmerzmittel, die keine körperlichen Entzugserscheinungen auslösen, besitzen ein hohes Potenzial nicht-bestimmungsgemäß angewendet zu werden. Betroffene können diesen Fehlgebrauch oft nicht als solchen wahrnehmen oder erkennen.
Wirkstoffe mit Abhängigkeitspotenzial
Sowohl verschreibungspflichtige und nicht verschreibungspflichtige Medikamente im Rahmen der Selbstmedikation können ein mehr oder weniger ausgeprägtes Abhängigkeitspotenzial aufweisen.
Präventivmaßnahmen
Vorbeugung (Prävention) beginnt mit Information. Die Präventionsmöglichkeiten in der ärztlichen Praxis setzen auf den sorgfältigen Umgang mit Medikamenten, die ein Missbrauchs- und bzw. oder Abhängigkeitspotenzial haben.
Zusammenfassung
Medikamente können abhängig machen. Die meisten
davon (z.B. Schlaf- und Beruhigungsmittel sowie starke Schmerzmittel) sind
verschreibungspflichtig.
Die missbräuchliche Anwendung wird in „nicht-bestimmungsmäßigen
Gebrauch“, „schädlichen Gebrauch bzw. Missbrauch“ und „Abhängigkeit“
unterschieden.
Häufig erkennen Betroffene nicht, dass sie von
Medikamenten abhängig sind - oder sie wollen es nicht erkennen, dass sie
ohne das jeweilige Arzneimittel nicht mehr auskommen.
Es gibt einige rezeptfreie und apothekenpflichtige
Medikamente, die häufig nicht-bestimmungsgemäß eingenommen werden (z.B.
Schmerzmittel, oft mit dem Wirkstoff Koffein, oder auch Abführmittel und
abschwellende Nasensprays). Da diese Mittel keine körperlichen Entzugserscheinungen
auslösen, nehmen Betroffene einen Missbrauch oft nicht wahr.
Text / Foto: Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung (BZgA) / © Alexander Raths, 123rf.com