Dank des medizinischen Fortschritts lassen
sich immer mehr Krankheiten ambulant behandeln. Das darf jedoch nicht dazu
führen, dass unverzichtbare Kompetenzen im stationären Sektor abgebaut werden.
Davor warnt die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) angesichts der
Diskussionen um einen Umbau der Kliniklandschaft unter der nächsten
Bundesregierung. In Krankenhäusern findet in weiten Teilen die Aus- und
Weiterbildung junger Ärztinnen und Ärzte sowie die Behandlung komplexer
diabetologischer Fälle statt. Hinzu kommt, dass mittlerweile jeder fünfte
Patient, der im Krankenhaus aufgenommen wird, an Diabetes leidet.
Die chronische Stoffwechselerkrankung ist
bei einer stationären Behandlung ein Risikofaktor für Komplikationen und eine
erhöhte Sterblichkeit. Jedes Krankenhaus muss daher eine qualifizierte
Betreuung der Menschen mit Diabetes sicherstellen. Das Gegenteil ist derzeit
der Fall: Diabetologische Schwerpunkte an Kliniken und diabetologische
Fachabteilungen geraten zunehmend unter Druck, weil sie für Krankenhäuser oft
nicht lukrativ sind.
Über acht Millionen Bundesbürgerinnen und
-bürger leiden derzeit an Diabetes – Tendenz stark steigend. Die chronische
Krankheit kann heute überwiegend ambulant erfolgreich versorgt werden. Trotzdem
gibt es bei Menschen mit Diabetes immer wieder Situationen, die einen
Krankenhausaufenthalt notwendig machen: Trotz guter Therapieoptionen kommt es
insbesondere bei Diabetes Typ 1 zu bedrohlichen Stoffwechselentgleisungen, die
nur stationär versorgt werden können.
Bei Menschen mit Diabetes Typ 2 sind es
häufig Begleit- und Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall,
Niereninsuffizienz oder diabetisches Fußsyndrom, die eine spezialisierte und
aufwändige Betreuung im Krankenhaus erfordern. Doch auch jede andere stationär
zu behandelnde Krankheit führt bei Menschen mit der Nebendiagnose Diabetes
häufiger zu Komplikationen, längeren Krankenhausaufenthalten und einer erhöhten
Sterblichkeit – unabhängig davon, ob die Hauptdiagnose eine Hüft-Operation oder
COVID-19 ist.
Im Jahr 2019 kamen 18 Prozent der rund 19 Millionen stationär aufgenommenen Fälle mit oder wegen ihrer Diabetes-Erkrankung ins Krankenhaus. Die Sicherheit des zu Behandelnden muss bei jeder stationären Behandlung im Mittelpunkt stehen. Auch wenn der Grund für den Krankenhausaufenthalt nicht unmittelbar die Stoffwechselerkrankung ist, muss bei Menschen mit Diabetes immer die gesamte Stoffwechselsituation sorgfältig beobachtet und mitbehandelt werden. „Krankenhäuser haben daher die Pflicht, die häufig multimorbiden Diabetes-Patienten interdisziplinär und leitlinienorientiert zu betreuen“, betont Professor Dr. med. Andreas Neu, Präsident der DDG.
Die DDG hat daher vor Jahren ein Zertifikat
etabliert, über das sich Kliniken qualifizieren und als für Diabetes-Patienten
besonders geeignet ausweisen können. Voraussetzung dafür ist, dass sie
Prozesse, Strukturen und Expertisen vorweisen, die nachweislich eine
qualitätsgesicherte Diabetes-Versorgung ermöglichen. Rund 100 Einrichtungen
haben bislang dieses Zertifikat erworben. Angesichts der hohen Patientenzahlen
müssten jedoch alle Akutkrankenhäuser diese Qualitätsindikatoren zur Versorgung
von Menschen mit Diabetes vorhalten. „Um die Sicherheit der Diabetes-Patienten
im Krankenhaus zu erhöhen, sollten die Einrichtungen, die diese nicht vorweisen
können, entsprechende Abschläge im Vergütungssystem erhalten“, fordert der
DDG-Pressesprecher Professor Dr. med. Baptist Gallwitz.
Derzeit werden jedoch die diabetologischen
Fachabteilungen in den Krankenhäusern durch das Vergütungssystem der Diagnosis
Related Groups (DRG) benachteiligt. Die Fallpauschalen für aufwändige Eingriffe
sind für Kliniken deutlich attraktiver als für diabetologische Maßnahmen, die
überwiegend konservativ sind. „Es ist nicht länger hinnehmbar, dass das
DRG-Vergütungssystem wichtige, leitlinienbasierte Versorgungsaspekte der
Volkskrankheit Diabetes unzureichend abbildet und damit für Kliniken
wirtschaftlich unattraktiv macht“, kritisiert Gallwitz. Hier ist die Politik in
Bund und Ländern gefordert. Der Bedarf an stationärer Diabetes-Versorgung muss
vor allem auch bei der Erstellung länderweiter Krankenhaus-Bettenpläne
mitberücksichtigt werden – für Patienten mit Diabetes als Haupt-, aber auch als
Nebendiagnose.
Wird die Diabetologie weiter aus dem
Krankenhausbereich verdrängt, hat das auch für den ambulanten Sektor
weitreichende Folgen: Fehlt die stationäre Diabetologie als Ausbildungsplatz
für alle Diabetesberufe, fehlt auch der Nachwuchs für die Zukunft. Während die
Zahl der Patienten kontinuierlich steigt, sinkt schon jetzt die Zahl der
Diabetologinnen und Diabetologen – in der Klinik, aber auch im niedergelassenen
Bereich, wo immer mehr Praxisinhaberinnen und -inhaber an die Altersgrenze
kommen und keine Nachfolger finden „Wenn sich das nicht ändert, wird in der
Folge auch die ambulante Versorgung schwer getroffen. Versorgungsdefizite sind
dann unvermeidbar“, warnt Dr. med. Dorothea Reichert, stellvertretende
Vorsitzende des Bundesverbandes niedergelassener Diabetologen (BVND).
Die DDG als medizinisch-wissenschaftliche
Fachgesellschaft leistet schon seit vielen Jahren einen wichtigen Beitrag zur
optimalen Versorgung der Menschen mit Diabetes: Mit ihren Weiterbildungs-,
Fortbildungs- und Zertifizierungsangeboten setzt sie sich für Früherkennung und
eine leitliniengerechte Therapie der Diabetes-Patientinnen und -Patienten in
Klinik und Praxis ein. Ein besonderes Anliegen ist ihr hierbei auch, die
transsektoralen Versorgungsstrukturen weiter auszubauen. Doch ohne den
politischen Willen, die wachsende Zahl der Menschen mit Diabetes
sektorenübergreifend und leitliniengerecht zu versorgen, wird diese
Patientengruppe in Zukunft trotz guter medizinischer Therapieoptionen nicht
mehr gut behandelt werden können.
Text / Foto: Deutsche Diabetes Gesellschaft