header-placeholder


image header
image
Online Wuschel Pupsi

Wuschel & Pupsi – Eine Geschichte von Annemarie Stern aus Haldensleben

Haldensleben, 9. juni 2019


Sie lernten sich im Städtischen Kindergarten der Kleinstadt kennen. An ihrem ersten Tag wurde Pupsi von seiner Mutti und Wuschel von seiner großen Schwester Carmen in den Kindergarten gebracht. Für Pupsi war jedes Umgewöhnen an eine neue Situation mit Ängsten verbunden. Vor Aufregung pupste er immer lauter. Einige Kinder rümpften die Nase andere lachten ihn aus. „Du bist ein Pupsi“, sagten die anderen Kinder zu ihm. Nur ein Junge ergriff seine Hand und zog ihn mit sich in die Spielecke. Bald waren die beiden kleinen Jungen unzertrennlich. 

Wuschel hatte Locken, die keine große Schwester und auch keine Kindergärtnerin bändigen konnte. Er sah immer aus, als wäre noch nie ein Kamm mit seinen Haaren in Berührung gekommen. „Du bist vielleicht ein Wuschelkopf“, sagte Tante Kerstin. Die Kinder lachten: „Wuschel, Wuschel!“, riefen sie ihn. Aber zu Hause nannten ihn auch alle Wuschel. Das war nichts Neues für ihn. Aber, als die Kindergärtnerin versuchte, die Haare mit einem Kamm zu bändigen, heulte Wuschel laut auf vor Schmerz und Zorn. „Hilfe, Hilfe!“, schrie er laut. „Das kann nur meine Mutti!“ Wuschel wand sich aus dem Klammergriff der Knie von Tante Kerstin und erreichte unter lautem Brüllen die Tür. Sie wurde ihm schon von Pupsi aufgehalten. Beide Jungen waren den ganzen Vormittag unauffindbar. Es herrschte eine große Aufregung im Kindergarten. Niemand hatte bemerkt, dass die Hoftür des Kindergartens nicht verschlossen war. 

Die beiden kleinen Jungen gingen Hand in Hand artig auf dem Bürgersteig entlang. Wuschel hatte seinem Freund Pupsi erzählt, dass seine Mutti in der großen Fabrik am Rande der Stadt arbeiten würde. Das war das Ziel der beiden Ausreißer.

Als sie endlich dort angekommen waren, sahen sie, dass ein Pförtnerhäuschen mit einer Schranke und mit einem Mann darin den Weg zur Fabrik versperrte. Aber, immer wenn ein Lastwagen kam oder das Fabrikgelände verlassen wollte, ging die Schranke in die Höhe. Wuschel hielt nun nichts mehr. Er zog seinen Freund Pupsi hinter sich her. Er hielt erst vor der Schranke an. „Guten Tag“, sagte er artig zu dem geöffneten, kleinen Fenster herauf. „Ich möchte zu meiner Mutti!“ Der Pförtner sah niemanden, der mit ihm sprach. Erst als er sich zum Fenster herauslehnte erblickte er die beiden kleinen Jungen. „Wer bist du denn?“, fragte er freundlich das Kind. „Na Wuschel“, war die erstaunte Antwort des Kleinen. Ein gedankenvolles „Aha“, war die Antwort des Pförtners. Und wie heißt deine Mama?“ „Na Mutti!“, war die verwunderte Antwort Wuschels. Der alte Pförtner kratzte sich am Kopf. „Weißt du, hier arbeiten viele Mamas und Muttis. Wie soll ich deine Mutti erkennen?“ „Also, das ist ganz einfach“, antwortete Wuschel. „Sie ist die schönste und die liebste und die beste Mutti von der ganzen Welt!“ „Kann ich jetzt zu meiner Mutti gehen?“ „Ich möchte erst noch wissen, wo du wohnst.“ Da reckte sich Wuschel stolz auf und sagte zu dem verblüfften Pförtner: „Christoph Scholz, Alte Straße 32, Geburtstag am 2. Juli 2015, reicht das so? Das musste ich auswendig lernen, bevor ich in den Kindergarten kam!“ Der Pförtner freute sich. „Na das hast du aber gut behalten!“ Er schob die Brille auf die Nase und sah in einer Liste nach. „Ja, deine Mutti arbeitet hier, aber in einem anderen Gebäude. Ich kann sie nicht holen, dann müsste ich meinen Platz verlassen. Und, wenn in dieser Zeit ein Lastwagen kommt wäre niemand hier, der die Schranke öffnet. Aber ich habe eine andere Idee. Mein Sohn fährt ein Polizeiauto, er könnte euch zwei Ausreißer zum Kindergarten zurückbringen! Seid ihr schon mal mit einem richtigen Polizeiauto gefahren? Nein? Möchtet ihr das?“ Als beide Jungen begeistert nickten, rief er seinen Sohn, den Polizisten, an. 

Als der Streifenwagen mit quietschenden Reifen vor der großen Fabrik hielt, brachte der Pförtner die Beiden zum Auto. Glücklich fuhren die Jungen durch die Straßen der Stadt und winkten allen Fußgängern stolz zu. Als das Polizeiauto mit den beiden Ausreißern vor dem Kindergarten hielt, drückten sich alle anderen Kinder die Nasen an den Fensterscheiben platt. Tante Kerstin aber drückte beide Jungen unter Tränen der Erleichterung an sich. Der Polizist und sein Fahrer aber blieben im Kindergarten, um mit allen Kindern über den Vorfall zu sprechen. Sie setzten sich auf die kleinen Stühle und sie sprachen von Verantwortung und, dass sie, die Kinder, inzwischen Kindergartenkinder wären und auch Verantwortung übernehmen müssten. Sie sagten auch, dass kein Kind den Kindergarten allein verlassen dürfe. Sie sprachen über die Gefahren auf der Straße und versprachen, bald wiederzukommen, um eine „Verkehrserziehung“ mit den Kindern und den Kindergärtnerinnen durchzuführen. Auch Roller, Puppenwagen und Dreiräder sollten die Kinder zu diesem besonderen Tag mitbringen.

Am nächsten Morgen standen zwei sehr verlegene Muttis mit Blumen und Pralinen vor den erstaunten Kindergärtnerinnen, um sich für das Verhalten ihrer Söhne zu entschuldigen. Von welchen Kindern mögen das die Muttis gewesen sein?