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Christian Lindner  Martin Rulsch  1

LINDNER-Interview: Zu Fahrverboten darf es nicht kommen

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner (Foto) gab der „Passauer Neuen Presse “ (Samstag-Ausgabe) und „pnp.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz:

Frage: Der Diesel-Skandal weitet sich aus, der Kartell-Verdacht erhärtet sich. Was erwarten Sie von den Konzernen?

Lindner: Die deutsche Automobilindustrie steht an einem schwierigen historischen Wendepunkt. Es ist in unser aller Interesse, dass sie diese Krise erfolgreich bewältigt. Die Autohersteller müssen jetzt reinen Tisch machen und alles aufklären. Das gilt für den Abgasskandal wie für die Kartellvorwürfe. Die Konzerne sind selbst gefordert und in der Pflicht, die Abgas-Probleme zu lösen und die notwendigen technischen Nachrüstungen bei Diesel-Fahrzeugen schnell vorzunehmen. Das ist keine Aufgabe der Steuerzahler. Vor allem aber: Die Kunden dürfen jetzt nicht im Regen stehen gelassen werden.

Frage: Nach dem Urteil von Stuttgart droht ein Dieselfahrverbot in Innenstädten. Bedeutet die Entscheidung das Aus für alte Diesel-Fahrzeuge?

Lindner: Zu Fahrverboten in Innenstädten darf es nicht kommen. Es kann nicht sein, dass Geringverdiener ihren alten Diesel bald am Stadtrand abstellen müssen. Auch für Pendler wäre das ein schwerer Schlag. Die Autoindustrie hat es selbst in der Hand, die Diesel-Emissionen zu reduzieren. Und von der Regierung erwarte ich einen Plan, wie der öffentliche Verkehr schnellstmöglich emissionsfrei erfolgen kann.

Frage: Welches Signal muss vom Auto-Gipfel in der kommenden Woche ausgehen?

Lindner: Die Automobilbranche darf nicht zur Stahlbranche des nächsten Jahrzehnts werden. Wir müssen rasch die Voraussetzungen für technische Innovationen wie autonomes Fahren schaffen und brauchen die Infrastruktur für mehr Elektromobilität, damit die Modelle aus der Nische auf den Markt kommen. Außerdem müssen andere alternative Antriebe weiterentwickelt werden. Ein Verbot oder Enddatum für Benzin- und Dieselfahrzeuge macht keinen Sinn, weil keiner vorhersehen kann, ob Elektromotoren wirklich der einzig sinnvolle Antrieb sind. Wir dürfen uns die Technologieoffenheit nicht nehmen lassen, die Deutschland Wohlstand gebracht hat. Wir sollten den ökologisch und ökonomisch überzeugendsten Weg gehen.

Frage: Die Arbeitergeberverbände warnen vor steigenden Sozialversicherungsbeiträgen. Die Belastungen würden zu höherer Arbeitslosigkeit führen. Teilen Sie die Befürchtungen?

Lindner: Es gibt echte Warnsignale. Deutschland ist zwar in einem ökonomisch guten Moment. Dennoch haben wir höchste und weiter stark steigende Sozialausgaben. Darunter leiden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Obwohl die Wirtschaft gut läuft, muss der Staat kräftig in die Sozialversicherung zuschießen. Hier muss dringend umgesteuert werden. Es muss Schluss sein mit dem Gießkannen-Prinzip und zielgerichtet den wirklich Bedürftigen geholfen werden. Die jüngere Generation unter 45 muss entlastet werden, um Eigenvorsorge betreiben zu können.

Frage: Wie soll das bei Niedrigzinsen gehen?

Lindner: Wohneigentum ist die beste Altersvorsorge und darf nicht zum Luxus für wenige werden. Wir brauchen mehr Bauland und die Baustandards dürfen nicht immer höher werden. Wir wollen mit einem Freibetrag für die Grunderwerbsteuer in Höhe von 250 000 Euro unterstützen. Deutschland muss wieder ein Volk der Eigentümer werden.

Frage: Bleibt es bei Ihrem Versprechen für umfassende Steuersenkungen?

Lindner: Die FDP plant im Falle einer Regierungsbeteiligung eine Steuerentlastung von 30 bis 40 Milliarden Euro. Angesichts der Rekordsteuereinnahmen des Fiskus ist das eher konservativ. Wir müssen den Steuerzahlern etwas zurückgeben.

Frage: SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz warnt vor einer Rückkehr der Flüchtlingskrise. Angesichts von fast 100 000 Flüchtlingen, die im ersten Halbjahr 2017 nach Deutschland gekommen sind, eine berechtigte Sorge, oder?

Lindner: Die SPD ist seit vier Jahren Regierungspartei und stellt immerhin den Außenminister. Sie war an allen Entscheidungen der Flüchtlingspolitik beteiligt. Da hätte mehr passieren müssen: Die EU-Außengrenzen sollten wirksam geschützt werden. Das gilt besonders auch für die Küsten des Mittelmeers. Den Schleppern muss das Handwerk gelegt werden. Die Nichtregierungsorganisationen dürfen diesen Kriminellen nicht länger in die Hände spielen. Die geretteten Flüchtlinge gehören zurück an die afrikanische Küste, wo sie hergekommen sind. Wir müssen mit Libyen vereinbaren, die Flucht über das Mittelmeer zu stoppen und diese Route zu schließen. Wir brauchen die klare Botschaft: Nicht jeder, der Sehnsucht nach Deutschland und Europa hat, kann kommen oder gar bleiben.

Frage: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will Auffanglager in Nordafrika einrichten, damit bereits dort der Asylanspruch geprüft werden kann. Ist das eine sinnvolle Lösung?

Lindner: Das ist ein vernünftiger Vorschlag. In solchen Hotspots könnten die Asylverfahren durchgeführt werden. Mit wirklich schutzbedürftigen Menschen sind wir solidarisch. Aber wer nicht verfolgt wird, kein Recht auf Asyl hat, muss zurück. Deutschland braucht zudem ein Einwanderungsrecht, das einerseits humanitären Schutz gewährleistet und organisiert, und andererseits Zuwanderung im eigenen Interesse regelt und leichter handhabbar macht. Auf der Basis unseres Grundgesetzes ist ein Zusammenleben auch ganz unterschiedlicher Menschen möglich. Falsch verstandene Toleranz und Multikulti-Denken sind genauso falsch wie eine Re-Romantisierung einer christlich geprägten Leitkultur.

Frage: Der Internationale Währungsfonds will sich jetzt doch am nächsten Paket der Griechenland-Hilfe beteiligen. Ist Athen damit wieder einmal gerettet?

Lindner: Das Angebot des IWF ist nur ein Feigenblatt. So will man über das Wahljahr 2017 kommen. Die Rückkehr Griechenlands an den Kapitalmarkt ist nur unter ganz besonderen Bedingungen zustandegekommen. Von einer nachhaltig positiven Reformentwicklung ist in Griechenland noch immer nicht viel zu erkennen. Da bleiben Zweifel. Hilfen können nur im Gegenzug für umgesetzte Reformen gezahlt werden. Wenn das nicht möglich ist, bleiben nur Schuldenerleichterungen nach einem Austritt aus der Eurozone.

Frage: Der Türkei-Konflikt spitzt sich weiter zu. 80 Prozent der Deutschen sprechen sich für Wirtschaftssanktionen aus. Wie sollten Deutschland und Europa jetzt auf die Provokationen aus Ankara reagieren?

Lindner: Die Türkei-Politik der Großen Koalition ist gescheitert. Wir müssen endlich klare Verhältnisse schaffen. Erdogan hat sich meilenweit von den Werten der EU entfernt, also müssen die EU-Beitrittsgespräche mit Ankara wie auch die Zahlungen sofort beendet werden. Ein Ausbau der Zollunion ist ebenfalls illusorisch. Erdogan hat Deutschland als Feindbild ausgemacht, um innenpolitische Zwecke zu verfolgen. Da können wir nicht akzeptieren. Die starke Opposition in der Türkei verdient deshalb Unterstützung. Es darf keine neuen Zugeständnisse an Erdogan geben. Nur wenn man Erdogan entschlossen und mit Härte entgegentritt, wird er die Botschaft verstehen. Die diplomatische Sprache versteht er jedenfalls nicht.

Frage: Laut Umfragen scheint nach der Bundestagswahl auch eine Rückkehr zu einer schwarz-gelben Bundesregierung möglich zu sein. Ist die Union die Wunschpartnerin für die Liberalen?

Lindner: Die FDP ist eigenständig und will dritte Kraft werden. Wenn sich daraus die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung ergibt, werden wir das prüfen. Wenn Frau Merkel anruft, werde ich sie anders als Juncker sicherlich nicht wegdrücken. Die FDP macht sich aber nicht zum nützlichen Idioten für beliebige Politik. Wir werden unsere neue Glaubwürdigkeit nicht gleich wieder verspielen. Ich habe vor, noch mindestens dreißig Jahre lang Politik zu machen.