Interview
mit Clemens Tesch-Römer, Leiter des Deutschen Zentrums für Altersfragen
Berlin
(ots). Professor Tesch-Römer, Sie leiten das Deutsche Zentrum für Altersfragen
und beschäftigen sich mit der Lebenssituation älterer Menschen. Welche
Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf das Leben älterer Menschen?
Älteren
Menschen wird es zunächst einmal so gehen wie allen Menschen, egal welchen
Alters. Besorgt, verängstigt, gelähmt, niedergeschlagen - aber sie werden dann
doch wieder mit Lebensmut und Hoffnung versuchen, mit der Situation umzugehen.
Im Übrigen gibt es "die Alten" gar nicht: Das Alter ist bunt, und wir
müssen uns hüten, verallgemeinernd über ältere Menschen zu sprechen. Schauen
Sie sich doch einmal die zweite Lebenshälfte an, die wir hier am Deutschen
Zentrum für Altersfragen untersuchen. Die zweite Lebenshälfte, das ist die
Lebensphase, in der Menschen realisieren, dass ihre Lebenszeit endlich ist und
dass sie allmählich älter werden.
Die
40-Jährigen sorgen sich um ihren Arbeitsplatz und müssen zugleich ihre Kinder
beschulen. Die 60-Jährigen würden gerne ihre Enkel unterstützen und freiwillig
aktiv sein, können das aber zurzeit nicht. Den 80-Jährigen wird täglich gesagt,
dass sie zur absoluten Risikogruppe gehören. Möglicherweise gehen sie deswegen
gar nicht mehr aus dem Haus. Dazu kommen aber noch die großen Unterschiede in
Einkommen und Vermögen: Wer Geld hat, lässt sich Dinge einfach über private
Dienste liefern - auch Klopapier und auch wenn die allgemeinen Lieferdienste
ausgebucht sind.
Was
sagt denn Ihre Forschung zur aktuellen Lebenssituation älterer Menschen?
Aus
dem Deutschen Alterssurvey, unserer Langzeitstudie zur zweiten Lebenshälfte,
die es schon seit 1996 gibt, wissen wir, dass die Mehrzahl der älteren Menschen
sozial gut eingebettet ist, dass der Kontakt zwischen den Generationen gut ist
und dass sich der Gesundheitszustand insbesondere der Menschen, die bereits in
den Ruhestand gegangen sind, im Zeitvergleich verbessert hat.
Und
noch ein wichtiger Punkt: Ältere Menschen sind gar nicht so viel einsamer als
jüngere. Wenn man sich anschaut, wie sich die Einsamkeit zwischen dem Alter 40
und 90 verändert, dann ist die Einsamkeitsquote recht stabil. Nur eine kleine
Minderheit der Menschen in der zweiten Lebenshälfte - zwischen etwa 5 und 10
Prozent - fühlt sich sehr einsam. Aber das kann sich durch die Corona-Pandemie
natürlich ändern. Darüber werden wir erst in Zukunft etwas Genaueres sagen
können.
Was
können wir tun, damit ältere Menschen, die jetzt keinen Besuch haben dürfen,
nicht vereinsamen?
Jede
Form der Kommunikation ist wichtig, um Einsamkeit zu vermeiden. Fast alle
älteren Menschen haben ein Telefon. Deswegen: Nutzt das Telefon - Enkel, ruft
Eure Großeltern an; Nachbarinnen und Nachbarn, ruft Euch gegenseitig an! Aber
auch ganz altmodische Briefe und Postkarten bereiten Freude.
Wenn
man sich schon nicht regelmäßig treffen kann, dann sollte man doch voneinander
hören oder lesen können. Außerdem müssen ältere Menschen Zugang zu digitalen
Kommunikationsformen haben: Es ist doch toll, in einer Videokonferenz mit
Freundinnen und Familie nicht nur zu sprechen, sondern sie auch zu sehen. Aber
nicht alle haben die notwendigen Geräte, nicht alle können ein solches Gerät
bedienen, wenn es im Haushalt vorhanden ist. Da ist es dann die Aufgabe der
Nachbarschaft, sich um alte und sehr alte Menschen zu kümmern und Kontakt zu
halten.
Was
kann man denn darüber hinaus tun, um ältere Menschen jetzt zu unterstützen?
Es
gibt ja unglaublich viele kreative und tolle Ideen. Letztens habe ich ein Foto
von einem Straßenbild gesehen: Da haben Kinder vor dem Haus ihrer Großmutter
einen Blumenstrauß auf den Gehweg gemalt und darunter geschrieben: Oma, wir
haben Dich lieb. Ich fand das sehr anrührend - und ich bin fest davon
überzeugt, dass auch die Großmutter die Zuneigung ihrer Enkel gespürt hat. Aber
natürlich ist auch handfeste Hilfe wichtig. Bei uns im Haus haben junge Leute
einen Zettel an die Haustür gehängt und angeboten, für die Älteren im Haus
einkaufen zu gehen.
Da sehe ich übrigens eine große Chance für
gegenseitige Solidarität. Die Jüngeren können einkaufen, die Älteren können
etwas beitragen, was man auch zuhause machen kann: Wer eine Nähmaschine hat,
näht Masken für die Hausbewohner. Alte Menschen sind keine Opfer, sondern ein
wichtiger und aktiver Teil unserer Gesellschaft. Da fällt zurzeit viel weg.
Könnten
Sie Beispiele für das gesellschaftliche Engagement älterer Menschen nennen
Der
ebenfalls von uns durchgeführte Freiwilligensurvey zeigt, dass das freiwillige
Engagement in Deutschland in hohem Maße auch durch Ältere getragen wird. Viele
Menschen im Rentenalter sind freiwillig engagiert, in ganz unterschiedlichen
Organisationen. Von den "Tafeln", die arme Menschen mit Essen
versorgen, bis zu den "Omas gegen rechts" - aber viele dieser
Initiativen mussten aufgrund der Corona-Pandemie ihre Arbeit einstellen.
Ganz
wichtig ist auch das familiäre Engagement: Großeltern betreuen häufig ihre
Enkelkinder und unterstützen damit junge Familien. Aber dieses familiäre
Engagement ist zurzeit ja ebenfalls kaum möglich: Die Eltern möchten in der
Regel nicht, dass sich die Großeltern bei den Enkeln anstecken. Wenn dieses
Engagement wegfällt, müssen wir es durch staatliche oder kommunale Angebote
ausgleichen.
Aber
sind die sehr alten Menschen, die über-80-Jährigen, nicht eigentlich doch vor
allem eins: die Hauptrisikogruppe für Covid-19?
Mir
ist es ganz wichtig, dass wir nicht pauschalisierend über ältere Menschen
sprechen. Nicht das Lebensalter allein ist das Risiko für COVID-19, sondern der
Gesundheitszustand und Vorerkrankungen, die mit steigendem Lebensalter
natürlich zunehmen. Es gibt gesunde ältere Menschen, und es gibt auch jüngere
Menschen mit Vorerkrankungen. Klare Risiko-Kommunikation ist in diesen Zeiten
wichtig, und da muss auf das insgesamt erhöhte Covid-19-Risiko bei älteren und
sehr alten Menschen hingewiesen werden. Dennoch ist auch hier ein
differenziertes Altersbild wichtig. In der aktuellen Situation kursieren häufig
pauschalisierenden Aussagen über "die Alten".
Die
damit transportierten negativen Altersstereotype können zu einer Zunahme von
Altersdiskriminierung führen. In der jetzigen Situation kann eine solche
Altersdiskriminierung von erheblicher Bedeutung sein: Wenn bei Entscheidungen
über knappe Ressourcen nicht das Individuum und seine ganz eigene
Lebenssituationen betrachtet wird, sondern nur das Alter zählt, dann wäre dies
ein Beispiel für eine erhebliche Altersdiskriminierung.
Es
handelt sich bei Corona inzwischen um eine Pandemie, also die ganze Welt ist
davon betroffen. Gibt es hinsichtlich des Umgangs mit Älteren Unterschiede
zwischen Deutschland und anderen Ländern?
Wie
wir alle wissen, gibt es große regionale Unterschiede in der Zahl der an
Covid-19 erkrankten Menschen. Wir wissen allerdings bislang noch nicht, ob und
welche Unterschiede es mit Blick auf die Lebenssituationen älterer Menschen
gibt. In Teilen Italiens oder Spaniens war aber die Zahl der erkrankten und
gestorbenen Menschen erschreckend hoch. Ein Problem ist in diesen Ländern aber
ganz deutlich geworden: Wie wird entschieden, wenn es weniger Ressourcen gibt
als notwendig sind, zu wenig Krankenhausbetten, zu wenig Möglichkeiten der
Beatmung auf Intensivstationen? Was wir unbedingt verhindern müssen, sind
Situationen, in denen Entscheidungen allein aufgrund des Alters einer Person
und nicht aufgrund detaillierter Informationen zu ihrem Gesundheitszustand
gefällt werden.
Und
noch ein persönliche Anmerkung: Gerade in diesen schwierigen Zeiten ist es
notwendig, dass Europa solidarisch sein muss. Endlich gibt es ja Bewegung in
der Frage um finanzielle Hilfen für besonders betroffene Länder.
Was
denken Sie, werden die langfristigen Folgen der Corona-Krise für ältere
Menschen sein?
Das
kann wohl noch niemand absehen. Aber es wird wohl weitreichende Folgen für uns
alle, Ältere wie Jüngere, geben. Zwei Dinge liegen sehr nahe: Erstens werden
wir in Zukunft alle noch stärker als vorher die Möglichkeiten des Internets
nutzen - zur Kommunikation, um uns zu informieren, um Dienstleistungen in
Anspruch zu nehmen. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass auch wirklich alle
Menschen, unabhängig von Alter, Einkommen und Bildung Zugang zum Internet haben
und die entsprechenden Geräte und Programme bedienen können. Und zweitens: Mit
hoher Wahrscheinlichkeit wird es zu einer Rezession kommen. Wer wird am meisten
darunter leiden?
Die
Arbeitslosigkeit wird steigen und viele Selbständige werden unter der Rezession
leiden. Davon werden Menschen im Erwerbsalter, aber auch Kinder und Jugendliche
betroffen. Wahrscheinlich wird es auch für jene alte Menschen schwer, die nur
kleine Renten erhalten. Aber wie gesagt: Vieles wird noch passieren, an das wir
zurzeit gar nicht denken.
Abschließend
ein Tipp: Was können ältere Menschen tun, um sich in Corona-Zeiten fit zu
halten?
Bewegung
ist wichtig für Gesundheit im Alter. Man kann es nicht oft genug wiederholen:
Bewegung, Bewegung, Bewegung. Nach draußen und Spazierengehen! Natürlich nur
allein oder zu zweit - oder in großem Abstand, wenn man mit anderen einen Weg
machen will. Und dann kann man auch Gymnastik zuhause machen. Schwierig, dafür
die notwendige Disziplin aufzubringen. Aber wenn wir ehrlich sind: Das ist doch
immer so.
Vielen
Dank für das Interview! Das Gespräch führte Stefanie Hartmann.
Text:
Deutsches Zentrum für Altersfragen