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nicola beer

BEER-Interview: Modernisierungskurs effektiv umsetzen

8. August 2018


Die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer (Foto) gab dem „Nordkurier“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Gabriel Kords.

Frage: Macht es eigentlich Spaß, als Oppositionspartei über die Regierung zu schimpfen, wenn man selbst hätte mitregieren können?

Beer: Um Spaß geht es nicht, sondern darum, Deutschland zu verändern. Und das hätten wir sehr gern aus einer Regierung herausgemacht. Die hätte dann aber den Mut haben müssen, Deutschland wirklich grundlegend zu reformieren. Leider sind wir auf diesen Mut bei unseren Gesprächspartnern von Union und Grünen nicht gestoßen. Es ging uns wirklich nicht um Bequemlichkeit, sondern darum, den Modernisierungskurs, für den wir bei dieser Bundestagswahl geworben hatten, auch effektiv umzusetzen. Das war eine Frage von Glaubwürdigkeit, eine Frage des Worthaltens.

Frage: Ist Jamaika eher an den Personen oder an den Positionen gescheitert?

Beer: Es war eine Mischung aus beidem. Wir beobachten eine Veränderung der Parteienlandschaft, bei der es nicht mehr um Rechts oder Links geht, sondern einerseits um den Mut zu Veränderungen versus einem starren „Weiter so“. Es stellte sich heraus, dass die übrigen Verhandlungspartner und Ihre Inhalte leider eher für Letzteres standen. Wir wollten die großen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte angehen, ehe wir uns wieder in einer Krise befinden – dazu gab es keine Bereitschaft.

Frage: Es gab auch die Lesart, die FDP habe einfach keine Lust mehr auf Angela Merkel. Hat sie ihre Zeit überdauert?

Beer: Ich hätte es ausgesprochen interessant und erstrebenswert gefunden, wenn die Kanzlerin die Kraft und den Mut gehabt hätte, sich an die Spitze einer Modernisierungsregierung zu stellen. Und das ist im Grunde genommen meine größte Enttäuschung: Dass wir in den Gesprächen wahrnehmen mussten, dass sie diesen Weg nicht eingeschlagen hat. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass vor allem die Grünen extrem strukturkonservativ aufgetreten sind. Es gab beispielsweise beim Klimaschutz keinerlei Bereitschaft, bestimmte Instrumente infrage zu stellen, obwohl erwiesen ist, dass sie nicht funktionieren. Dieses Festhalten an untauglichen Instrumentarien, das nenne ich strukturkonservativ.

Frage: Und darüber konnte man mit den Grünen nicht diskutieren?

Beer: Das war die erschreckende Erkenntnis, dass das nicht möglich war.

Frage: Der ländliche Raum war ein großes Thema im Wahlkampf. Die FDP hatte da wenig anzubieten.

Beer: Das ist nicht wahr. Unsere Forderung nach einer Digitalisierungs-Offensive zielt besonders auf die ländlichen Regionen ab. Auch die Digitalisierung des Gesundheitswesens, die wir fordern, hätte enorme Vorteile für den ländlichen Raum, in dem der Weg in die ärztlichen Zentren oft weit ist. Der Digitalpakt für die Bildung, den wir fordern, nimmt Schulen im ganzen Land ins Visier. All das war in den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzbar, weil den übrigen Parteien die Leidenschaft für diese Themen fehlt.

Frage: Lässt sich der ländliche Raum denn wirklich nur mit Digitalisierung retten? Es fehlt hier doch mehr als schnelles Internet.

Beer: Trotzdem glaube ich, dass Infrastruktur – digitale wie klassische – der Schlüssel ist. Digitalisierung und vor allem schnelles Internet sind das Grundgerüst für moderne Bildung und moderne Geschäftsmodelle. Beides führt dazu, dass Arbeitsplätze entstehen. Dass wir auch im ländlichen Raum kleine und mittelständische Betriebe haben, die Arbeitsplätze dort haben, wo Heimat ist, wo Verwurzelung ist und damit eben auch Sicherheit. Deswegen ist Digitalisierung momentan der Schlüssel, auch und gerade für den ländlichen Raum.

Frage: Und allein damit lässt sich das Auseinandergehen der Schere zwischen Land und Stadt stoppen?

Beer: Das passiert natürlich nicht auf Knopfdruck. Und dazu gehört natürlich auch, dass es gute Verkehrsverbindungen gibt, dass soziales Leben im ländlichen Raum gestärkt wird. Aber wir müssen eben auch dafür sorgen, dass die Wirtschaft in der Fläche bessere Bedingungen hat, ehe auch dort Abwanderung einsetzt. Denn wenn ein Unternehmen erst einmal überlegt, seinen Standort zu verlagern, denkt es schnell auch darüber nach, ins Ausland zu gehen. Wir müssen den Unternehmen Sicherheit bieten. Wir müssen dafür sorgen, dass es keinen Teufelskreis gibt: Erst ziehen die Leute weg, weil sie mit den Verhältnissen nicht zufrieden sind, dann finden die Firmen keine Leute mehr und gehen auch weg. Darum müssen wir jetzt schnell sein. Und genau dazu ist diese Regierung nicht in der Lage.

Frage: Die ostdeutschen Wähler haben Sie damit aber noch nicht überzeugt: Die FDP steht hier eher schlecht da.

Beer: Das stimmt nur auf den ersten Blick. Sicher: Wir sitzen weder in MV noch in Brandenburg im Landtag. Aber auf der kommunalen Ebene sind wir, übrigens schon seit 1990, relativ gut aufgestellt. Unsere Mitglieder sitzen in vielen Kommunalvertretungen, tragen zum Teil auch Verantwortung als ehren- oder hauptamtliche Bürgermeister. Das jüngste Beispiel ist Jena, wo wir seit dem 1. Juli mit Thomas Nitzsche den Oberbürgermeister stellen. Für uns sind tatkräftige Kommunalpolitiker das beste Beispiel, um zu zeigen: Wo die FDP ans Ruder kommt, verändert sich was.

Frage: Warum steht die FDP im Osten dann schlechter da als im Westen?

Beer: Wir kämpfen da sicher auch gegen tradierte Wahrnehmungen.

Frage: Es heißt zum Beispiel immer, die FDP sei die Partei der reichen Leute. Von denen gibt es hier nicht so viele.

Beer: Genau solche Wahrnehmungen meine ich. Die stimmen einfach nicht. Die FDP passt eigentlich sehr gut zu ländlichen Regionen, in denen es Bedarf an tatkräftigen Menschen gibt, die ihre Ärmel hochkrempeln und sich daranmachen, die Verhältnisse zu verbessern. Der liberale Geist setzt auf solche Menschen und ihre Ideen. Wir wollen, dass sie Verhältnisse vorfinden, die ihnen Mut machen, ihre Ideen auch umzusetzen. Das gilt für jeden einzelnen, deshalb geht es für uns auch bei guter Bildung los. Und es geht weiter mit Bürokratieabbau und einem gerechteren Steuersystem, das die Bürger entlastet.
 
Frage: Die FDP schimpft über Umverteilung. Ist das in einer Region, in der viele Menschen von Sozialleistungen abhängig sind, nicht eher ungünstig?

Beer: Wir sind selbstverständlich dafür, dass sozialschwachen Menschen geholfen werden muss. Aber wir sind gegen die Fixierung auf die Förderung irgendwelcher Randgruppen, die gerade in den letzten Legislaturperioden schwer in Mode war. Es entsteht ein Bürokratiemonster nach dem anderen, und bei denen, die wirklich Hilfe brauchen, kommt am Ende erschreckend wenig an. Wir wollen Hilfe zur Selbsthilfe, damit die Menschen wieder Eigenverantwortung für ihr Leben übernehmen können. Damit sie wieder aus eigener Kraft erfolgreich sein können.

Frage: Flüchtlinge sind ein Thema, das im Osten ebenfalls für stärkere Verwerfungen sorgt als im Westen.

Beer: Nach meiner Wahrnehmung sorgt in erster Linie die Planlosigkeit, mit der dieses Thema von der Groko angegangen wird, für Verwerfungen. Ich habe – auch in Mecklenburg- Vorpommern – noch niemanden getroffen, der nicht der Meinung wäre, dass man wirklich Schutzbedürftigen nicht helfen soll. Aber die Tatsache, dass wir kein Einwanderungsgesetz haben, dass wir nicht konsequent Durchgreifen gegenüber straffälligen Bewerbern, dass wir es so oft nicht hinbekommen, Ausreisepflichtige auch wirklich abzuschieben – das alles lässt die Bürger sich fragen, ob die Regierung noch Herrin der Lage ist, ob sie überhaupt einen Plan hat.

Frage: Aber lassen sich diese Probleme mit einem Einwanderungsgesetz lösen, dass ihre Partei fordert?

Beer: Ja, denn es würde sich grundsätzlich etwas daran ändern, wen wir ins Land lassen. Momentan haben vor allem die Findigen eine Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht. Also diejenigen, die – aus welchen Gründen auch immer – in der Lage sind, bestehende Regelungslücken auszunutzen oder dem Staat ein Schnippchen zu schlagen. Wir müssen dafür sorgen, dass stattdessen diejenigen eine Chance bekommen, die wir auch wirklich brauchen.

Frage: Tja. Hätten wir jetzt Jamaika, könnten Sie dafür kämpfen, dass von diesen Ideen auch etwas umgesetzt wird.

Beer: Allein der Unions-Streit vor wenigen Wochen hat unseren Eindruck bestätigt, dass wir genau das nicht können würden. Aber wir haben auch den Eindruck, dass das Bedürfnis nach einem politischen Umbruch, nach mehr Modernisierung im Land weiter steigt. Und wenn es so weit ist, werden wir – wie im vorigen Jahr – bereitstehen für alle, die wirklich etwas verändern wollen.