header-placeholder


image header
image
csm Prof.Ortmeier us 1 be07f145b4

Sachsen-Anhalt-News: 19. Juni 2020 - bundesweiter Digitaltag: Digitale Brückenschläge in der Industrie

Freitag, den 19. Juni 2020

Von Uwe Seidenfaden

Zum heutigen bundesweiten Digitaltag ein Gespräch mit Prof. Dr. Frank Ortmeier, geschäftsführender Leiter des Instituts für intelligente, kooperierende Systeme und Inhaber des Lehrstuhls für Software Engineering der Otto-von-Guericke Universität. Als Mitbegründer des Magdeburger Unternehmens bridgefield, weiß er, dass man stets den Mittelweg zwischen Bestehendem und Neuem beschreiten muss, um Industrie 4.0 mit dem Kunden erfolgreich umsetzen zu können.

Wie wird die Covid-19-Pandemie auch längerfristig unsere Arbeitswelt beeinflussen?

Durch die Covid-19-Pandemie werden digitale Transformationsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft beschleunigt. Arbeiten im Homeoffice und Videokonferenzen werden für mehr Menschen Realität. Es ist außerdem davon auszugehen, dass die Zahl der mittelständische Unternehmen, die ihre Produkte und Dienstleistungen über Internetplattformen und digitale Netzwerke anbieten, steigen wird. Für die Mitarbeiter in den Unternehmen wird es mehr denn je wichtig sein, sich auf digitalen Weitbildungsplattformen ständig fortzubilden.

Wieviel Homeoffice kann sich ein Unternehmen leisten, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben?

Pauschale Antworten darauf gibt es nicht. Aber man kann pragmatische Tipps geben. Dazu gehört vor allem die Festlegung von Arbeitszeiten, aber auch Kommunikationszeiten und -medien mit Kollegen und Partnern. Außerdem müssen  Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich auf Regeln für Homeoffice und Präsenzzeiten am Arbeitsplatz einigen. In der Fertigung und Produktion istHomeoffice meist nicht möglich.

Wie bewerten Sie in der Corona-Krise den derzeitigen Grad der systemübergreifenden Vernetzung im Produktionsprozess? Wo gibt es noch ungenutzte Potentiale?

Viele moderne Produktionsmaschinen verfügen bereits über IP-Adressen und können miteinander kommunizieren. Der Datenaustausch zwischen ihnen ist aber noch sehr begrenzt. Oft beschränkt er sich auf wenige Informationen wie Stillstandzeiten, Stückzahlen und einige Inventardaten. Das wird sich im Zuge der Prozessoptimierung in der laufenden Produktion ändern.

Können Sie das an einem Beispiel deutlich machen?

Nehmen wir die Produktion eines Handydisplays. Wenn man in der Qualitätsprüfung nach dem Zusammenbau der einzelnen Bauelemente einen Fehler feststellt, dann ist es sehr schwer, auf die Ursache im Fertigungsprozess zu schließen. Ziel ist es, mehr Daten zu erfassen, so dass man zu jedem beliebigen Zeitpunkt die ganze Fertigungskette zurückverfolgen kann. Auf diesen Daten aufbauend kann dann eine künstliche Intelligenz die Prozessparameter fortlaufend optimieren. Das ist der Kern eines selbstoptimierenden Systems.

Selbstoptimierende Systeme erfordern lernende Softwarelösungen. Ist es nicht effektiver, wenn der Mensch Vorgaben für die Fehlervermeidung macht?

In vielen modernen Herstellungsprozessen gibt es so viele Einflussfaktoren, dass es die eine optimale Lösung nicht gibt. Der Vorteil lernbasierter Systeme ist, dass sie sehr komplexe Muster analysieren können und dabei dem Menschen überlegen sind.

Bei der Entwicklung selbstoptimierender Softwarelösungen wurden schon viele Fortschritte erzielt. Beispiele sind Bilderkennungsprogramme, die beispielsweise in der medizinischen Diagnostik oder der Kriminalistik eingesetzt werden. Bei der Selbstoptimierung technischer Systeme ist man noch nicht so weit.

Ist das auch ein Grund für die Gründung des Unternehmens bridgefield?

Ja, wie schon der Name andeutet, wollen wir mit unseren Ideen eine Brücke zwischen der digitalen Welt und technischen Systemen in der materiellen Produktion sein. Der Firmensitz in Magdeburg ist dabei ein Standortvorteil, einerseits weil wir hier das Potential junger Informatik- und Technikstudenten von der Universität haben und andererseits von der guten Infrastruktur profitieren: Hannover und Braunschweig sind ebenso nahe wie der Raum Halle/Leipzig und die Hauptstadt Berlin.

Haben Sie Beispiele für intelligente kollaborative Systeme, an denen Sie arbeiten?

Zum Beispiel entwickeln wir zusammen mit dem Unternehmen FIAtec aus Magdeburg ein intelligentes, kooperatives Stelensystem. Es kann z.B. an Rad- und Wanderwegen oder an Skipisten aufgestellt werden, um Passanten genau die Informationen zu liefern, die sie vielleicht benötigen. Familien mit Kindern werden beispielsweise Infos zu nahegelegenen Kinderspielplätzen angezeigt, Menschen mit Handycaps finden leichter die nächste behindertengerechte Raststätte usw. Ein anderes Projekt, dass wir mit der Magdeburger Firma Geofly bearbeiten ist ein intelligentes Vermessungssystem, das mit Hilfe von Luftbilddaten soziografische Karten von Städten erstellt. Sie zeigen Gebiete und Gebäude an, die als Produktionsstätten, Lagerhallen, Büros oder als Wohnräume genutzt werden. Weitere Projekte befassen sich mit der Verbesserung der Gussteilfertigung für Elektroautos und medizinischen Assistenzsystemen für komplizierte Eingriffe an der Wirbelsäule sowie der Entwicklung sicherheitskritischer Software im Flugzeugbau.

Bislang agieren die meisten Industrieroboter nur begrenzt mit dem Menschengemeinsam. Besteht kein Risiko, wenn autonome Systeme selbstlernend sind und damit Fehler quasi vorprogrammiert?

Es ist ein Schwerpunkt unserer Arbeiten, Verhaltensgarantien über Systeme abzugeben, die mit anpassungsfähigen, sich rekonfigurierenden Softwarelösungen arbeiten. Wichtig ist bei lernenden Systemen die Nachvollziehbarkeit der sicherheitskritischen Entscheidungen. Das kann man beispielsweise mit sich gegenseitig überwachenden Systemen oder der Separation von Sicherheitsspeichern bewerkstelligen.

An der Universität befassen Sie sich auch mit intelligenten pervasiven Systemen. Wie werden diese Systeme Wirtschaft und Gesellschaft verändern?

Vor einigen Jahren kamen  Smartwatches und Fitnessarmbänder als Ergänzung zu den Smartphones auf den Markt. In spätestens fünf Jahren werden wir vermehrt auch Smartglasses im Alltag sehen. Kleine, z.B. in der Brille integrierte Kameras, werden registrieren, worauf wir länger unseren Blick richten und damit Interesse anzeigen. Im Supermarkt könnten uns dann zum Beispiel zusätzliche Infos, z.B. pay-back-Punkte angezeigt werden. Denkbar wäre auch, die Preise flexibler zu gestalten. Es könnten viele neue Geschäftsideen entstehen. Das bringt aber auch viele ethische Fragen nach Persönlichkeitsrechten und Privatsphäre mit sich. Wir wollen deshalb schon früh helfen, hier Grundlagen zu schaffen die später in Regulierungen und gesetzliche Vorgaben einfließen können.

Foto: Prof. Dr. Frank Ortmeier © IMG Sachsen-Anhalt