header-placeholder


image header
image
alexander lambsdorff 2000x1125

LAMBSDORFF-Interview: Die größte Herausforderung der EU ist Sicherheit.

Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments Alexander Graf Lambsdorff gab „NDR Info“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte Stefan Schlag:

Frage: Welche Zukunftsidee, welche entscheidende Zukunftsidee haben Sie denn für Europa?

Lambsdorff: Also ich glaube, man sollte nicht in solchen Modellen diskutieren, sondern man sollte sagen: Was sind die Aufgaben die Europa erfüllen muss? Was erwarten die Menschen von der Europäischen Union? Das ist Sicherheit, da gibt es ganz konkrete Sachen, die man machen kann, zum Beispiel indem man Europol zu einer Art europäischem BKA weiterentwickelt, oder den Schutz der Außengrenzen wirklich einmal ernsthaft angeht. Das ist Wohlstand – das heißt Innovationskraft freisetzen, damit in den Ländern des Südens die Menschen wieder Arbeit finden. Und von diesen Aufgaben her definiert, da muss man fragen: Was sind denn die Strukturen, die die EU braucht? Also mit anderen Worten: Von den Aufgaben her denken, nicht so sehr von Strukturen, das war hauptsächlich meine Kritik an diesem Papier von Jean-Claude Juncker und auch die Tatsache, dass er sich gar nicht entschieden hat zwischen den verschiedenen Modellen, sondern die sozusagen als eine Art akademisches Papier formuliert hat. Ich fand das ein bisschen wenig.

Frage: Sind Sie denn auch für ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten, wie ja unter anderem Kanzlerin Merkel vorschlägt?

Lambsdorff: Ich bin schon seit langem, auch die FDP ist schon seit langem für ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten. Es ist eigentlich ein Armutszeugnis, dass die Kanzlerin jetzt im Jahr 2017 erst auf diesen Gedanken kommt. Wolfgang Schäuble, immerhin einer ihrer Minister, hat ja einen solchen Vorschlag schon 1994 gemacht. Und diejenigen, die sich mit Europa befassen, diskutieren das schon länger und wissen im Grunde, dass bei 28, bald 27, Mitgliedern eine andere Möglichkeit gar nicht besteht, als differenziert, also abgestimmt, mit einigen Ländern voranzugehen, damit andere dann eben nachkommen können, die sind eingeladen mitzumachen, wenn sie es für richtig halten. Also dass das erst 23 Jahre nach Schäubles Papier von der Kanzlerin auch aufgenommen wird, das finde ich ein bisschen wenig. Glücklicherweise ist das jetzt so und jetzt müssen wir nach vorne gucken und das ganze zum Funktionieren bringen.

Frage: Welche ist die größte Herausforderung, die die EU anpacken sollte?

Lambsdorff: Die größte Herausforderung ist, glaube ich, im Moment das Thema Sicherheit. Ich habe es eben gesagt, die Bedrohung durch Terrorismus, die Bedrohung durch organisierte Kriminalität aber auch durch reisende Einbrecherbanden – das müssen bisher unsere Landespolizeibehörden und auch die nationalen Polizeibehörden in anderen Ländern bearbeiten. Wir brauchen aber eine europäische Fahndungsorganisation. Europol ist ein zahnloser Tiger, da kann man sicher mehr Europa machen, aber in einem Sinne, der den Bürgern wirklich etwas bringt. Das gleiche gilt für Frontex, Schutz der Außengrenzen, hier hat Thomas de Maizière gesagt: Frontex sei jetzt ein europäischer Grenzschutz. Das stimmt aber einfach nicht. Frontex ist nichts anders, als eine Art Koordinierungseinrichtung für verschiedene nationale Dienste. Wir brauchen einen echten europäischen Grenzschutz mit einer echten europäischen Küstenwache. Damit wir im Inneren die Freiheit erhalten können, unsere offenen Grenzen, müssen wir die Außengrenzen viel besser schützen als bisher.

Frage: Bevor die Staats- und Regierungschefs auch über die Zukunft diskutieren, da geht es auch ein bisschen um die Alltagsagenda, also auch die Wahl des neuen EU Ratspräsidenten – da wird vermutlich der neue auch er alte sein: Donald Tusk. Aber der Pole wird von praktisch allen Staats- und Regierungschefs unterstützt, außer von seinen eigenen. Die Polen haben einen Gegenkandidaten nominiert. Zeigt das, wie weit sich Polen und die konservativ-nationalistische Regierung da entfernt von Europa?

Lambsdorff: Ja, in gewisser Weise schon, aber interessanterweise, Herr Schlag, ist das ja etwas ganz Positives, was da passiert: nämlich jetzt werden im Rat, wo die Mitgliedstaaten sich treffen, ein Kandidat vermutlich wiedergewählt, der im europäischen Interesse liegt – nämlich Donald Tusk, der bisherige Amtsinhaber, der den Job sehr gut macht. Also Europa hat ein Interesse, dass er den Job weiter macht. Und ein Mitgliedsstaat sagt: Unser nationales Interesse ist ein anderes, wir hätten gern den Herrn Saryusz-Wolski. Und jetzt machen die Mitgliedsstaaten zum ersten Mal in der Geschichte der europäischen Union einen ganz klaren Schnitt und sagen: Nein, wir stellen das europäische Interesse hier über ein nationales Interesse und sagen: Tusk soll es werden, Tusk soll es bleiben. Ich finde das, auch wenn es merkwürdig aussieht auf den ersten Blick, aber im Grunde eine positive Entwicklung, dass man sich hier eben nicht von einem Mitgliedstaat am Nasenring durch die Manege ziehen lässt, sondern sagt: Nein, Europa hat hier ein Interesse und das setzen wir jetzt um.