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Christian Lindner  Martin Rulsch  1

LINDNER-Interview: Die FDP hat ihre historische Mission noch nicht erfüllt.



Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab dem „Deutschlandfunk“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte Dirk-Oliver Heckmann:

Frage: Christian Lindner ist Bundesvorsitzender der FDP, zugleich Landes- und Fraktionschef in Nordrhein-Westfalen. Er hat die Bundesregierung heftig für ihre Flüchtlingspolitik kritisiert. Ist die Bundesregierung, ist die Kanzlerin mittlerweile auf dem richtigen Weg aus Ihrer Sicht? Das habe ich ihn vor dieser Sendung gefragt.

Lindner: Die Flüchtlingspolitik in Deutschland hat sich verändert, aber in meinen Augen fehlen immer noch die entscheidenden Konsequenzen. Deutschland braucht ein Einwanderungsgesetz, das Ordnung schafft und klar unterscheidet zwischen Flüchtlingen, die auf Zeit humanitären Schutz erhalten, und Menschen, die wir zur Zuwanderung einladen, die wir uns allerdings dann auch aussuchen müssen. Zum Zweiten glaube ich, dass unsere Sicherheitsbehörden personell nicht hinreichend ausgestattet sind. Man hat das gehört, als die Gewerkschaft der Polizei auf die hohe Überstundenzahl hingewiesen hat. Es fehlen in Deutschland 15 bis 16.000 zusätzliche Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte. Das ist ein Kraftakt, den Bund und Länder leisten müssen. Und ich wünsche mir von der Bundesregierung vor allen Dingen eine Initiative für europäischen Grenzschutz, für den Schutz, für die Kontrolle unserer Außengrenze, damit wir uns aus der Abhängigkeit von Herrn Erdogan befreien und damit wir innerhalb Europas zum Beispiel zwischen Deutschland und Frankreich auf Schlagbäume verzichten können.

Frage: Aber da passiert ja auch einiges. Das müssen Sie konzedieren. Sie haben ja recht lautstark der Bundesregierung, auch Kanzlerin Merkel Versagen in der Flüchtlingspolitik vorgehalten. Da frage ich mich immer so ein bisschen bei den harschen Kritikern der Kanzlerin: Was hätten Sie denn gemacht im September 2015? Hätten Sie die Grenzen zugemacht?

Lindner: Zwei Tage Grenzen öffnen und danach zum Dublin-Verfahren wieder zurückkehren. Die Regeln von Dublin waren natürlich unvollkommen, aber es waren immerhin Regeln. Und besser unvollkommene Regeln anwenden, als gar keine Regeln zu haben. Hätte man so gehandelt, dann hätte es auch sicherlich schneller die Möglichkeit gegeben, innerhalb Europas einen Mechanismus zu entwickeln. Bis heute sind ja viele unserer europäischen Partner verstimmt, weil Deutschland seinerzeit einseitig Entscheidungen getroffen hat und es den Versuch gegeben hat, die deutschen ethischen Abwägungen allen anderen europäischen Partnern zu oktroyieren. Das haben sich die Franzosen aber nicht bieten lassen beispielsweise.

Frage: Kommen wir mal zur FDP, zu dem Superwahljahr, was uns jetzt bevorsteht. Hinter der FDP liegt ja eine lange Phase der Neuorientierung. Sie wollten die Partei breiter aufstellen. Wenn man sich aber anhört, was Ihre Generalsekretärin beispielsweise gesagt hat, mehr Mut zur Marktwirtschaft, gegen staatliche Überregulierung, gegen angebliche Planwirtschaft, mehr Investitionen in Innovation und Bildung, dann die Forderung nach Steuersenkungen, da fragt man sich schon so ein bisschen, was daran ist eigentlich neu. Und glauben Sie eigentlich, dass die Wählerinnen und Wähler Ihre Forderung nach Steuersenkungen Ihnen überhaupt noch abnehmen?

Lindner: Die FDP hat ja 2009 bis 2013 immerhin 35 Milliarden Euro Entlastung organisiert, wenn man die unterschiedlichen Maßnahmen von der Abschaffung der Praxisgebühr über die Erhöhung von Freibeträgen, die Erhöhung des Kindergeldes zusammennimmt.

Frage: Die Hoteliers.

Lindner: Gibt es die eigentlich noch, die Hotelsteuer, wenn Sie darauf hinweisen? Natürlich gibt es die noch, weil keine Partei das jemals danach infrage gestellt hat, nachdem die FDP damit konfrontiert worden ist. Und heute, jetzt ja auch acht Jahre später, Sie das Thema noch mal aufmachen, zeigt sich ja irgendwie, wenn es das immer noch gibt, so schlecht kann es nicht gewesen sein. Aber Schnee von gestern! Wer mit der Hotelsteuer heute immer noch ein Problem hat, dem kann ich auch nicht helfen. Die Lage ist doch so: Unser makroökonomisches Umfeld, Trump, Brexit, Niedrigzins, Digitalisierung, das zeigt doch: Wir müssen was tun, um unseren Wohlstand für die Zukunft zu erhalten. Die FDP ist nicht nur eine Wirtschafts- und Marktwirtschaftspartei, aber eben auch eine Partei, die will, dass Mittelstand, Handwerk und Industrie gute Arbeitsplätze anbieten können. Dann kann man eben nicht nur verteilen, wie die Bundesregierung das macht. Dann muss man auch investieren. Dann muss man den Menschen auch mehr von ihren finanziellen Ergebnissen lassen, damit sie Vorsorge betreiben können. Wer das nicht tut und glaubt, alles geht so weiter wie bisher, der irrt. Das ist aber nicht das einzige Programm. Wir haben genauso einen Schwerpunkt im Bereich der Bildung. Wir wollen uns mit dem Bildungsföderalismus beschäftigen. Wir müssen was tun für unseren Rechtsstaat, der nicht bürokratisch sein darf, aber die bestehenden Gesetze entschlossen anwenden muss.

Frage: Die Demoskopen sehen die FDP jetzt derzeit aktuell bei fünf bis sieben Prozent. Aber es gibt viel Bewegung im Parteienspektrum. Das sieht man ja gerade bei der SPD jetzt auch. Das zweite Institut sieht die SPD bei 31 Prozent. Wie groß sind eigentlich Ihre Sorgen, dass die SPD noch die entscheidenden Prozentpunkte Ihnen wegnimmt?

Lindner: Die SPD nimmt uns keine Prozentpunkte weg. Martin Schulz mobilisiert seine Partei und ihre Anhängerschaft. Er gewinnt von den Grünen, von der Linken, vielleicht auch einen Teil sogar von AfD-Wählern zurück, die die SPD an diese autoritäre Partei verloren hat. Nur Herr Schulz bringt ja das Thema wirtschaftliche Kompetenz zurück in diesen Wahlkampf. Er vertritt die Konzepte von Francois Hollande. Er will einen Schluck aus der Pulle, er will Schulden, er will Vergemeinschaftung in Europa. Das kann man alles so wollen, aber die FDP ist eben das Gegenmodell. Wir sagen, erst mal Wohlstand erwirtschaften, dann verteilen, keine Schulden machen, sondern Investitionen aus den stark steigenden Steuereinnahmen finanzieren, auch die Menschen in der Mitte der Gesellschaft, Facharbeiter, Ingenieur, Rechtsanwalts-Fachangestellte, die haben auch verdient, dass man die Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit sieht. Herr Schulz sorgt eher dafür, dass auch der Blick ein Stück auf die wirtschaftliche Kompetenz der FDP gelenkt wird, auf uns gelenkt wird, weil wir uns nicht nur mit Flüchtlingen und Superreichen beschäftigen wollen, sondern weil wir auch an die Mitte der Gesellschaft denken.

Frage: Das tut die SPD auch mit den hart arbeitenden Menschen, wie Martin Schulz ja nicht müde wird zu betonen.

Lindner: Ja aber dann soll er doch was für die tun! Das sind doch Lippenbekenntnisse. Die SPD sagt, der Rentenversicherungsbeitrag muss um 25 oder wird auf 25 Prozent steigen. Ja wer bezahlt das denn? Das sind doch genau die hart arbeitenden Menschen in der Mitte der Gesellschaft. Und denen noch höhere Rentenbeiträge jetzt anzukündigen, das ist für die doch kein Konzept, sondern das ist eine Drohung für die Mitte der Gesellschaft, der jede Möglichkeit genommen wird, fürs eigene Alter vorzusorgen, sich mal zu belohnen, sich was zu gönnen, und das kann nicht so sein. Die Leute brauchen auch eine politische Vertretung.

Frage: CDU-Vize Armin Laschet, der hat gesagt, die FDP sei der Wunschpartner der CDU, sowohl in Düsseldorf als auch in Berlin. Wenn ich Sie jetzt so höre, dann beruht das auf Gegenseitigkeit?

Lindner: Wir sind ganz unabhängig. Klar: Es gibt Überschneidungen mit der CDU. Aber es gibt auch Trennendes. In Düsseldorf sind wir uns näher, in Berlin sehe ich manches mit Sorge. Wir sprachen über die Flüchtlingspolitik. Ich sehe insbesondere gegenwärtig mit wachsender Ungeduld, wie die Union sich in der Eurofrage positioniert. Es ist doch völlig klar, dass Griechenland Deutschland und Europa an der Nase herumführt Herr Tsipras beabsichtigt überhaupt gar nicht, die Reformen umzusetzen. Er verteilt eher Rentengeschenke mit den europäischen Hilfskrediten und deshalb brauchen wir da eine neue Strategie. Da ist nichts von der CDU zu hören. Herr Schäuble, der das manchmal andeutet, ist von der Kanzlerin regelmäßig in der Frage im Regen stehen gelassen. Klar ist doch: Griechenland muss entschuldet werden – will Herr Schäuble nicht, muss aber passieren. Wenn Griechenland entschuldet wird, dann geht das nur außerhalb des Euros. Also Grexit! Griechenland sollte aber in der EU bleiben. Nur dann werden die Milliarden, die wir nach Athen überweisen, nicht mehr als Hilfskredit getarnt, sondern das ist dann eine echte Subvention, die aber zweckgebunden ist. Die kann nicht für irgendwas eingesetzt werden, sondern die muss in Infrastruktur gehen, in die Finanzierung des Mittelstands. Dann hätte Griechenland eine Chance und es wäre zugleich ein Neustart für die Eurozone, weil das Recht, weil die Regeln wieder genau angewandt werden. Dann würde auch in Italien ein Umdenken beginnen hinsichtlich der Reformen.

Frage: Für Nordrhein-Westfalen, Herr Lindner, hatten Sie eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen ausgeschlossen. Das gilt noch nach wie vor, Stand heute?

Lindner: Ja, nicht Stand heute, sondern das gilt nicht nur Stand heute, sondern das gilt auch bis zur Wahl. Und vor allen Dingen können die Hörerinnen und Hörer sich darauf verlassen, das gilt auch am Tag danach. Ich bin dagegen, dass man alles ausschließt, aber wer für alles offen ist, der macht auch einen Fehler.

Frage: Das sind Sie aber im Bund und die Jungliberalen, die warnen. Sie sagen, man dürfe sich nicht auf Schwarz-Gelb festlegen im Bund, die Ampel nicht ausschließen. Weshalb schließen Sie für Nordrhein-Westfalen aus, was Sie im Bund nicht ausschließen?

Lindner: In Nordrhein-Westfalen schließe ich es aus, weil man nicht in eine Regierung eintreten kann, die sieben Jahre regiert hat und die man sieben Jahre kritisiert hat. Da ist ein politischer Wechsel überhaupt gar nicht realistisch. Im Bund muss man überhaupt gar nicht über eine Ampel nachdenken, denn die ist ja weit entfernt von politischer Realisierbarkeit, allein aufgrund der Zahlen. Die SPD gewinnt, aber die Grünen sind ja im freien Fall. Insofern muss man sich überhaupt gar nicht arithmetisch mit dieser Option beschäftigen. Wir sind eigenständig, aber wir haben klare inhaltliche Linien. Wir sind eine andere Partei als die Grünen. Die Grünen sagen, wir könnten sowohl mit Seehofer als auch mit Wagenknecht koalieren. Seehofer und Wagenknecht, also für alles offen zu sein, das bin ich nicht. Die Grünen sind so eine Art Sandalenpartei. Die sind auch nach allen Seiten offen.

Frage: Herr Lindner, Parteien kommen und gehen in der Geschichte. Sie haben im Vorgespräch das Zentrum beispielsweise genannt als Beispiel. Wenn die FDP bei der Bundestagswahl im September den Wiedereinzug in den Bundestag verpassen sollte, ist die FDP dann tot?

Lindner: Parteien kommen und gehen – Ihr Beispiel war das Zentrum –, wenn ihre historische Mission erfüllt ist. Klar, weil eine Partei kein Selbstzweck ist. Nur wenn ich das politische Spektrum in Deutschland sehe, eine Partei, die für einen wohlverstandenen Individualismus eintritt, die einen handlungsfähigen, starken, aber schlanken Staat wünscht, die eine europäische Identität hat, aber unter Europa nicht ein vereinheitlichtes Europa versteht, sondern ein geeintes, eine Partei, die erst an das Erwirtschaften und dann an das Verteilen denkt, also letztlich eine Partei der Freiheit, die fehlt in unserem Spektrum und insofern kann ich nicht erkennen, dass unsere historische Mission erfüllt wäre. Eher im Gegenteil in Zeiten autoritärer Bedrohungen.