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Rede von Jean-Claude Juncker zur Lage der Europäischen Union

Den Wind in unseren Segeln nutzen - für eine mehr geeinte, stärkere und demokratischere Union

Straßburg (ots) - Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, hat heute vor den Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Straßburg seine Rede zur Lage der Union 2017 gehalten. In der Rede stellte Juncker seine Prioritäten für das kommende Jahr vor und skizzierte seine Vision, wie sich die Europäische Union bis zum Jahr 2025 weiterentwickeln könnte. Er legte einen Fahrplan für eine mehr geeinte, stärkere und demokratischere Union vor.

Präsident Juncker sagte heute: "Europa hat wieder Wind in den Segeln. Aber wir werden nur vom Fleck kommen, wenn wir diesen Wind nutzen.(...) Wir sollten den Kurs für die Zukunft abstecken. Wie Mark Twain schrieb: Jahre später werden wir mehr enttäuscht sein von den Dingen, die wir nicht getan haben, als von den Dingen, die wir getan haben. Jetzt ist der Moment, um ein mehr geeintes, stärkeres und demokratischeres Europa für das Jahr 2025 aufzubauen."

Die Rede von Präsident Juncker im Europäischen Parlament wurde von der Annahme konkreter Initiativen der Europäischen Kommission zu den Themen Handel, Überprüfung von Investitionen, Cybersicherheit, Industrie sowie Daten und Demokratie begleitet.

Eine Serie von Factsheets, die ebenfalls heute veröffentlicht wurde, vertieft einige der zentralen Botschaften aus der Rede des Präsidenten.

Kernaussagen der Rede zur Lage der Union 2017

Wind in unseren Segeln

"Zehn Jahre nach Ausbruch der Krise lebt die europäische Wirtschaft endlich wieder auf. Und damit auch unsere Zuversicht und unser Vertrauen. Die Staats- und Regierungschefs unserer EU der 27, das Parlament und die Kommission machen unsere Union wieder europäisch. Zusammen machen wir aus unserer Union wieder eine Union."

Kurs halten

"Während wir den Blick in die Zukunft richten, dürfen wir nicht vom Kurs abkommen. (...) Wir müssen vollenden, womit wir in Bratislava begonnen haben und unsere positive Agenda verwirklichen."

Handel: "Partner aus der ganzen Welt stehen Schlange, um Handelsabkommen mit uns abzuschließen. (...) Heute schlagen wir vor, Verhandlungen über Handelsabkommen mit Australien und Neuseeland aufzunehmen."

"Lassen Sie es mich ein für alle Mal sagen: Wir sind keine naiven Freihändler. Europa muss immer seine strategischen Interessen verteidigen. Deshalb schlagen wir heute einen neuen Europäischen Rahmen zur Überprüfung von Investitionen vor, ein "Investment Screening", wie es so schön auf Englisch heißt. "

Industrie: "Ich bin stolz auf unsere Automobilindustrie. Doch ich bin schockiert, wenn Kunden und Verbraucher wissentlich und absichtlich hinters Licht geführt werden. Ich fordere die Automobilindustrie auf dies wiedergutzumachen und ihren Kurs zu korrigieren."

"Die Kommission hat heute eine neue Strategie für die europäische Industriepolitik beschlossen, so dass unsere Unternehmen in puncto Innovation, Digitalisierung und Verringerung der CO2-Emissionen weltweit die Nummer eins bleiben oder werden. "

Bekämpfung des Klimawandels: "Im vergangenen Jahr haben wir mit dem Pariser Klimaschutzabkommen (...) die globalen Spielregeln gesetzt. Da die Vereinigten Staaten ihren Ehrgeiz offenbar heruntergeschraubt haben, wird Europa dafür Sorge tragen, unsere Erde - die unteilbar Heimat aller Menschen ist - wieder großartig zu machen."

Cybersicherheit: "Cyberangriffe können unter Umständen gefährlicher sein für die Stabilität von Staaten und Unternehmen als Panzer und Gewehre. (...) [D]ie Kommission [schlägt] heute neue Instrumente und eine neue EU-Agentur für Cybersicherheit vor - diese soll uns in Zukunft besser vor solchen Angriffen schützen."

Migration: "Europa ist - anders als viele behaupten - keine Festung und es darf niemals eine werden. Europa ist und bleibt der Kontinent der Solidarität, auf dem diejenigen Schutz finden, die vor Verfolgung geflohen sind."

"Wir haben gemeinsame Grenzen, aber die Staaten, die wegen ihrer geografischen Lage die erste Anlaufstelle sind, dürfen nicht allein für den Grenzschutz verantwortlich sein. Gemeinsame Grenzen und gemeinsamer Grenzschutz gehören zusammen."

"Ich kann nicht über Migration sprechen, ohne Italien meinen tiefen Respekt für seinen unermüdlichen, großmütigen Einsatz zu zollen. (...) Italien rettet im Mittelmeer die Ehre Europas."

Europäisches Solidaritätskorps: "Besonders stolz bin ich auf die jungen Europäerinnen und Europäer, die ... Teil unseres neuen Europäischen Solidaritätskorps sind. Sie leben den Grundsatz europäischer Solidarität."

Afrika: "Wir können Solidarität nicht nur innereuropäisch verstehen, sondern es geht auch um mehr Solidarität mit Afrika. Afrika ist ein erhabener Kontinent mit einer jungen Bevölkerung. Es ist die Wiege der Menschheit. Unser 2,7 Milliarden Euro schwerer EU-Treuhandfonds für Afrika schafft dort überall Beschäftigungsmöglichkeiten."

Segel setzen

"Jetzt ist es an der Zeit, die ersten Schlussfolgerungen aus der Debatte [zur Zukunft Europas] zu ziehen. Es ist an der Zeit, den nächsten Schritt zu machen: vom Nachdenken zum Handeln, von der Debatte zur Entscheidung. Heute möchte ich Ihnen meine Sicht der Dinge vorstellen: mein - wenn Sie so wollen - persönliches "Szenario Sechs"."

"Für mich ist Europa mehr als Binnenmarkt, Geld und Euro. Es ging immer um Werte."

Osten wie Westen: "Europa reicht von Vigo bis Varna, von Spanien bis nach Bulgarien. Europa muss mit beiden Lungenflügeln atmen, mit dem östlichen und dem westlichen. Ansonsten unser Kontinent in Atemnot gerät. "

Entsendung von Arbeitnehmern: "In einer Union der Gleichen kann es keine Arbeitnehmer zweiter Klasse geben. Menschen, die die gleiche Arbeit am gleichen Ort verrichten, sollten den gleichen Lohn bekommen."

Eine Europäische Arbeitsbehörde: "Es erscheint absurd, dass eine Bankenaufsichtsbehörde darüber wacht, ob Bankenstandards eingehalten werden, dass es aber keine gemeinsame Arbeitsbehörde gibt, die für Fairness innerhalb des Binnenmarkts sorgt. Wir werden sie schaffen."

Lebensmittel von zweierlei Qualität: "In einer Union der Gleichen kann es keine Verbraucher zweiter Klasse geben. Ich werde nicht akzeptieren, dass den Menschen in manchen Teilen Europas qualitativ schlechtere Lebensmittel verkauft werden als in anderen (...) Slowaken haben nicht weniger Fisch in Fischstäbchen verdient, Ungarn nicht weniger Fleisch in Fleischgerichten oder Tschechen weniger Kakao in der Schokolade."

Rechtsstaatlichkeit: "In Europa ist die Stärke des Rechtes an die Stelle des Rechts des Stärkeren getreten. (...) Rechtsstaatlichkeit ist in der Europäischen Union keine Option. Sie ist Pflicht. (...) Unsere Union ist kein Staat, aber sie ist ein Rechtsstaat."

"Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs sind in allen Fällen zu respektieren. Sie nicht zu respektieren oder die Unabhängigkeit nationaler Gerichte zu untergraben, heißt, die Bürgerinnen und Bürger ihrer Grundrechte zu berauben."

Schengen-Raum: "Wenn wir den Schutz unserer Außengrenzen verstärken wollen, dann müssen wir Rumänien und Bulgarien unverzüglich den Schengen-Raum öffnen. Wir sollten auch Kroatien die volle Schengen-Mitgliedschaft ermöglichen, sobald es alle Kriterien erfüllt "

Euroraum: "Wenn wir wollen, dass der Euro unseren Kontinent mehr eint als spaltet, dann sollte er mehr sein als die Währung einer ausgewählten Ländergruppe. Der Euro ist dazu bestimmt, die einheitliche Währung der Europäischen Union als Ganzes zu sein."

Erweiterung: "Wenn wir mehr Stabilität in unserer Nachbarschaft wollen, müssen wir eine glaubhafte Erweiterungsperspektive für den westlichen Balkan aufrechterhalten. Während dieses Kommissions- und Parlamentsmandates kann es keine neuen Mitglieder geben, weil die Beitrittsbedingungen noch nicht erfüllt werden können. Doch die Europäische Union wird in den darauffolgenden Jahren mehr als 27 Mitglieder zählen. "

Türkei: "Die Türkei entfernt sich seit geraumer Zeit mit Riesenschritten von der Europäischen Union."

"Journalisten gehören in Redaktionsstuben, in denen freie Meinungsäußerung gilt. Sie gehören nicht ins Gefängnis."

"Ich appelliere heute an die Verantwortlichen in der Türkei: Lassen Sie unsere Journalisten frei, und nicht nur unsere Journalisten."

Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit bei Steuern: "Ich bin sehr dafür, bei Beschlüssen über die gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, über eine faire Besteuerung der Digitalwirtschaft und über die Finanztransaktionssteuer die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit einzuführen."

Europäischer Wirtschafts- und Finanzminister (siehe Factsheet): "Wir brauchen einen Europäischen Wirtschafts- und Finanzminister, einen europäischen Minister, der positive Strukturreformen in unseren Mitgliedstaaten fördert und unterstützt."

"Wir brauchen keine Parallelstrukturen. (...) Das Parlament des Euroraums ist das Europäische Parlament."

Bekämpfung des Terrorismus: "Ich plädiere deshalb für eine europäische Aufklärungseinheit, die sicherstellt, dass Daten über Terroristen und Auslandskämpfer automatisch zwischen unseren Nachrichten- und Polizeidiensten ausgetauscht werden."

Mehr Gewicht auf der Weltbühne: "[Ich] bitte die Mitgliedstaaten zu prüfen, welche außenpolitischen Beschlüsse nicht mehr einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit gefasst werden könnten. Der Vertrag lässt dies zu, wenn der Europäische Rat dies einstimmig beschließt."

Bessere Rechtssetzung: "Wir sollten die Bürger Europas nicht mit Regelungs-Klein-Klein nerven, sondern in großen Dingen Größe zeigen, nicht pausenlos neue Initiativen vom Zaun brechen und Befugnisse, dort wo es sinnvoll ist, an die Nationalstaaten zurückgeben."

"Um die begonnene Arbeit sinnvoll zu Ende zu führen, setzen wir noch in diesem Monat eine Task Force Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit ein."

Institutionelle Reform: "Europa würde besser funktionieren, wenn wir das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission mit dem des Präsidenten des Europäischen Rates verschmelzen könnten. (...)Europa wäre leichter zu verstehen, wenn ein einziger Kapitän am Steuer wäre. Wenn wir nur einen Präsidenten hätten, würde das der wahren Natur unserer Europäischen Union besser gerecht werden, da diese sowohl eine Union der Staaten als auch der Bürger ist."

"Wenn wir die europäische Demokratie stärken wollen, dann dürfen wir den demokratischen Prozess des Spitzenkandidatensystems nicht rückgängig machen."

Fahrplan

"Unsere Zukunft darf (...) kein bloßes Szenario bleiben. Wir müssen heute die Union von morgen vorbereiten."

"Am 30. März 2019 werden wir eine Union der 27 sein. Wir sollten uns auf diesen Moment gut vorbereiten, unter den 27 und innerhalb der EU Institutionen."

"Meine Hoffnung ist, dass die Europäerinnen und Europäer am 30. März 2019 in einer Union aufwachen, in der wir alle für unsere Werte stehen. In der alle Mitgliedstaaten die Rechtstaatlichkeit respektieren. ... In der wir die Grundlagen für unsere Wirtschafts- und Währungsunion so gefestigt haben, dass wir Europäer unsere Gemeinschaftswährung in guten und in schlechten Zeiten verteidigen können, ohne externe Hilfe zu suchen. ... In der nur ein Präsident die Arbeit der Kommission und des Europäischen Rats leitet, der nach einem europaweiten demokratischen Wahlkampf gewählt wurde. ... Und darum geht es in meinem Szenario sechs."

"Wir haben damit begonnen, unser Dach zu reparieren. Aber wir müssen diesen Job zu Ende bringen (...) solange die Sonne scheint. (...). Lasst uns die Leinen losmachen, die Segel setzen, und jetzt den günstigen Wind nutzen."

Hintergrund

Jedes Jahr im September hält der Präsident der Europäischen Kommission vor dem Europäischen Parlament seine Rede zur Lage der Union, in der er eine Bilanz der Arbeit des vergangenen Jahres zieht und einen Ausblick auf die Prioritäten des kommenden Jahres gibt. Dabei wird auch Thema sein, wie die Kommission die derzeit drängendsten Probleme in der Europäischen Union anzugehen gedenkt. Im Anschluss an die Rede findet eine Aussprache im Parlament statt. Die Rede bildet den Auftakt für den Dialog zwischen Europäischem Parlament und Rat über das Arbeitsprogramm der Kommission für das kommende Jahr.

Außerdem haben Präsident Juncker und der Erste Vizepräsident Timmermans heute eine Absichtserklärung an den Präsidenten des Europäischen Parlaments und an den Ratsvorsitz gerichtet, in dem sie einen detaillierten Überblick über die gesetzlichen und sonstigen Maßnahmen und Initiativen geben, die die Kommission bis zum Ende des folgenden Jahres (in diesem Fall 2018) durchführen will. Dies ist in der Rahmenvereinbarung von 2010 über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission ausdrücklich vorgesehen.