header-placeholder


image header
image
2017 05 25 kirchentag merkel obama

Merkel und Obama bei Kirchentag: Der Glaube gibt die Aufforderung zum Handeln

Diskussion zum Thema „Engagiert Demokratie gestalten“. Foto: Bundesregierung/Denzel


Die Aufforderung zum Handeln im Wissen, Fehler machen zu können: Für die Bundeskanzlerin ein Leitgedanke des christlichen Glaubens. Ein Schwerpunkt bei der Diskussion mit dem ehemaligen US-Präsidenten Obama war das Thema Integration. Merkel dankte allen Flüchtlingshelfern und warb für schnellere Asylverfahren.

Schon um sieben am frühen Morgen - immerhin ist Feiertag - sitzt Elisa aus Berlin-Steglitz mit ihrer Freundin in der S-Bahn Richtung Brandenburger Tor. Hauptsache rechtzeitig da sein, um "einmal Barack Obama zu sehen". Sie sei sehr gespannt auf die Diskussion des ehemaligen US-Präsidenten mit der Bundeskanzlerin. "Ich finde, dass jeder Einzelne von uns mehr Verantwortung übernehmen sollte", sagt die junge Berlinerin. Und geht damit auf das Motto der Gesprächsrunde ein: "Engagiert Demokratie gestalten".

Zwei Stationen weiter: eine zehnköpfige Gruppe von Kirchentagsbesuchern gemischten Alters - alle zu erkennen an ihren orange-farbenen Schals - steigt in die Bahn ein. Kaum drin, stimmen sie fröhlich den Reinhard Mey-Klassiker "Über den Wolken" an. Es dauert nicht lange, und das halbe Zugabteil singt mehr oder weniger laut mit. Ausgelassene Stimmung herrscht auch kurz vor elf vor dem Brandenburger Tor. Zehntausende haben sich hier mittlerweile versammelt. Trotz des Gedränges wirken alle entspannt. Als Barack Obama und Angela Merkel die Bühne betreten, bricht Jubel aus.

Luther und Kolumbus

Zunächst hebt die Kanzlerin die Besonderheit dieses Kirchentags hervor. Schließlich feiere man 500 Jahre Reformation. Die zweite Besonderheit sei der Besuch Barack Obamas. Für die Bemerkung, die guten Beziehungen Europas zu Amerika habe schon Kolumbus aufgebaut, der zur Zeit Martin Luthers gelebt habe, erntet die Kanzlerin nicht nur das Lächeln des ehemaligen US-Präsidenten. Es ist auch in vielen Gesichtern der Zuhörer zu sehen.

Durch die Diskussion führen der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, und Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au. Ein wichtiges Thema ist die Flüchtlingspolitik. Die Kanzlerin geht auch auf das "Dilemma" der Kluft zwischen christlichem Mitgefühl und Realpolitik ein. Es gehe immer um "sachgerechte Lösungen", betont sie.

Dank an Flüchtlingshelfer

Merkel würdigt das Engagement der zahlreichen haupt- und ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer in Deutschland. Sie hätten Solidarität gezeigt und diese Aufnahmebereitschaft sichtbar gemacht. "Und dafür kann man dankbar sein", so Merkel. Die Flüchtlingspolitik sei für sie als Kanzlerin eines der schwierigsten Themen. Es gebe viele Flüchtlinge, die aufgenommen werden könnten. Aber eben auch einige, die Deutschland wieder verlassen müssten. Wichtig sei ihr, dass diese Flüchtlinge erst gar nicht in die Kommunen geschickt würden, wo möglicherweise Ehrenamtliche viel Arbeit investierten, die in diesen Fällen am Ende vergebens sei.

Sie sei für Klarheit und für schnellere Asylverfahren. Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis müssten zügiger in ihre Heimatländer zurückkehren, erklärt Merkel. Wichtig sei, dass keine falschen Hoffnungen geweckt würden. Und man denen helfen könne, die "wirklich unsere Hilfe brauchen, denn davon gibt es genug auf der Welt".

Menschen Chancen in Herkunftsländern geben

Auch der ehemalige US-Präsident Obama geht auf das Thema ein. Es gebe viel Leid in der Welt, aber man habe als Präsident oder Regierungschef auch die Verantwortung für die eigene Bevölkerung. "Natürlich haben Flüchtlinge allen Anspruch auf Schutz, aber wir haben auch begrenzte Ressourcen", betont Obama. Entscheidend sei, den Menschen in ihren Herkunftsländern zu helfen, sie müssten dort "mehr Chancen" bekommen. Entwicklungshilfe, Konfliktlösung und Investitionen in den Klimaschutz seien hierbei wichtige Mittel.

Offizielles Thema der Diskussion: "Engagiert Demokratie gestalten: Zuhause und in der Welt Verantwortung übernehmen". An der moderierten Gesprächsrunde nahmen auch vier Jugendliche - zwei aus Deutschland, zwei aus Chicago (USA) - teil.

Gut im Glauben "aufgehoben"

Wenn Politiker auf einem Kirchentag diskutieren, darf die Frage nach dem eigenen Umgang mit dem Glauben nicht fehlen. Angela Merkel betont, dass sie den christlichen Glauben als Aufforderung zum Handeln verstehe, einem Handeln nach "bestem Wissen und Gewissen". Der Glaube erinnere aber auch daran, dass wir als Menschen Fehler machen könnten. Durch dieses Verständnis fühle sie sich in dem Glauben "aufgehoben". Merkel spricht von einer "Demut, die die Möglichkeit gibt, auch auf die Stärken der anderen zu schauen."

Merkel betont: "Wir sind zur Freiheit berufen. Aber jeder ist zur Freiheit berufen. Und meine Freiheit ist nicht unendlich, sondern durch die Freiheit des anderen begrenzt." Wichtig sei, unabhängig von der Religionszugehörigkeit, die Würde jedes einzelnen Menschen zu achten. In diesem Zusammenhang verweist die Kanzlerin auf Artikel 1 des Grundgesetzes.

"Nicht in Monaten, in Jahren denken"

Den Grundoptimismus des Kirchentags veranschaulicht die Kanzlerin mit einem Beispiel aus ihrer eigenen Biografie. 1961, im Jahr des Mauerbaus war sie Schülerin, habe sie mit Eltern plötzlich nicht mehr zu ihrer Großmutter fahren können. Berlin war eine geteilte Stadt. Dennoch habe es später immer Menschen gegeben, die anderen Mut gemacht hätten, wie beispielsweise den Inhaftierten im DDR-Gefängnis in Bautzen. Viele seien jahrzehntelang verlacht worden, weil sie an die deutsche Einheit geglaubt hätten. "Sie ist aber gekommen", so die Kanzlerin.


"Wir müssen nicht immer nur in Monaten denken, sondern auch in Jahren". So habe sie selbst schon zu DDR-Zeiten überlegt, wie sie nach dem Eintritt ins Rentenalter endlich nach Amerika reisen könne. "Es ist früher passiert", so Merkel. Ihre Botschaft: Sich auch von Widerständen oder Rückschlägen nicht aufhalten lassen, sondern versuchen, sich immer von Tag zu Tag auf seine eigenen Ziele zu besinnen und daran zu glauben.

Die 17-jährige Elisa und die anderen Zehntausenden Besucher applaudieren lange beim Abschluss der Diskussion. Die Gesprächsrunde war zweifellos ein Höhepunkt. Aber der Kirchentag dauert noch bis Sonntag. Und die meisten machen sich auch noch auf den Weg nach Wittenberg.

Der 36. Deutsche Evangelische Kirchentag 2017 findet im Zeichen des Gedenkens an 500 Jahre Reformation statt - erstmals an zwei Standorten: in Berlin und Wittenberg. Der evangelische Kirchentag wird alle zwei Jahre in einer anderen Stadt veranstaltet. Mehr als 100.000 Menschen jeden Alters, unterschiedlicher Religionen und Herkunft kommen zusammen. Die Losung eines jeden Kirchentages ist der Leitgedanke, an dem sich alle Vorbereitungen und Veranstaltungen inhaltlich orientieren. Sie entstammt einem Bibelzitat und wird vom Präsidium beschlossen. Der Deutsche Evangelische Kirchentag in Berlin und Wittenberg steht unter der Losung "Du siehst mich" aus dem 1. Buch Mose, Kapitel 16, Vers 13.

Zwar finden die meisten Veranstaltungen in Berlin statt, aber die größte Feier steigt in Wittenberg. Am Sonntag feiern Menschen aus aller Welt vor den Toren der Stadt 500 Jahre Reformation — auf den Elbwiesen mit Blick auf Schloss- und Stadtkirche. Der Festgottesdienst ist zugleich der Höhepunkt des Berliner Kirchentages - mit Dank für Gottes Güte und für das Miteinander der Konfessionen.


Zehntausende kamen zu der Veranstaltung am Brandenburger Tor. Foto: Bundesregierung/Denzel