Dienstag, den 14. September 2021
- Gewerkschaft NGG: „Keine Rente mit 70“ / „Gesetzliche Altersvorsorge stärken“
- Hohes Risiko für Beschäftigte in Bäckereien, Fleischereien und Restaurants
Ein Leben lang arbeiten – und trotzdem reicht die Rente nicht: In Magdeburg sind rund
12.100 Vollzeitbeschäftigte selbst nach 45 Arbeitsjahren im Rentenalter von Armut bedroht.
Davor warnt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und beruft sich hierbei
auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Rentenversicherung. Demnach
verdienen 18,3 Prozent aller Beschäftigten, die in Magdeburg in Vollzeit arbeiten, weniger als
2.050 Euro brutto im Monat. Rein rechnerisch müssten sie sogar mehr als 45 Jahre lang
arbeiten, um auf eine Rente oberhalb der Grundsicherungsschwelle von aktuell 835 Euro zu
kommen.
„Altersarmut ist kein Schreckensszenario in der Zukunft, sondern für viele Menschen längst Realität.
Die Rente derer, die zum Beispiel jahrzehntelang in einer Bäckerei oder Gaststätten gearbeitet
haben, reicht schon heute oft nicht aus. Rentenkürzungen oder Forderungen über ein späteres
Eintrittsalter sind der falsche Weg. Stattdessen muss die Politik die gesetzliche Rente stärken“, so
Holger Willem, Geschäftsführer der NGG-Region Magdeburg, mit Blick auf die aktuelle Debatte rund
um die Alterssicherung. Das Rentenniveau, also die durchschnittliche Rente nach 45 Beitragsjahren
bei mittlerem Verdienst, dürfe nicht weiter absinken.
Seit dem Jahr 2000 sei das Rentenniveau bereits von rund 53 Prozent auf aktuell 48 Prozent
abgesenkt worden. „Konkret bedeutet das, dass Geringverdiener mit einem Einkommen von
weniger als 2.050 Euro brutto im Monat statt 42 nun fast 46 Jahre lang arbeiten müssen, um
überhaupt noch die Grundsicherungsschwelle im Alter zu erreichen. Aber vier Jahre länger an der
Bäckereitheke, in der Lebensmittelfabrik oder im Schlachthof am Band zu stehen, ist vielen
Beschäftigten gesundheitlich gar nicht möglich. Jede Anhebung des Renteneintrittsalters ist somit
faktisch eine Rentenkürzung“, unterstreicht Willem. Die nächste Bundesregierung müsse das
derzeitige Rentenniveau stabilisieren und perspektivisch anheben, um einen weiteren Anstieg der
Altersarmut zu verhindern. Die von Wirtschaftsverbänden geforderte „Rente mit 70“ sei der falsche
Weg – und ein „Schlag ins Gesicht der Menschen, die körperlich arbeiten und schon bis 67 nicht
durchhalten können“. Auch deshalb sei es wichtig, dass die Beschäftigten ihre Stimme bei der
Bundestagswahl am 26. September abgäben – und sich informierten, was die Rentenkonzepte der
einzelnen Parteien für sie bedeuteten, so die NGG.
Zugleich seien die Unternehmen in der Pflicht, prekäre Beschäftigung zurückzufahren und
Tarifverträge zu stärken. Gerade im Hotel- und Gaststättengewerbe gebe es einen enormen
Nachholbedarf, um die Einkommen wirklich armutsfest zu machen – auch weil viele Firmen aus der
Tarifbindung flüchteten. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit verdienen in Sachsen-Anhalt
aktuell rund 7.000 von insgesamt 9.700 Vollzeitbeschäftigten im Gastgewerbe weniger als 60
Prozent des bundesweit mittleren Monatseinkommens von 3.427 Euro. „Hier darf es niemanden
überraschen, dass während der Corona-Krise so viele Köche und Hotelangestellte ihre Branche
verlassen haben“, sagt Willem.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nimmt die Zahl der Menschen, die in der
Altersgruppe ab 65 armutsgefährdet sind, weiterhin zu. Aktuell sind dies 18 Prozent. Im Jahr 2009
waren es noch 14 Prozent. Entscheidend sei nun, die gesetzliche Rente als zentrale Säule der
Altersvorsorge für die Zukunft zu stärken. Dafür müssten angesichts des demografischen Wandels
auch weitere Mittel aus dem Bundeshaushalt fließen und die Rentenversicherung zu einer
Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen, weiterentwickelt werden.
Dabei dürften die Generationen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Sicherung der
gesetzlichen Altersvorsorge komme gerade auch den Jüngeren zugute. Denn sie müssten einen
weiteren Abfall des Rentenniveaus mit einem immer längeren Arbeitsleben bezahlen. „Am Ende
geht es um den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft. Nach einem langen Berufsleben muss
sich jeder darauf verlassen, den Ruhestand in Würde genießen zu können“, so Willem weiter.
Die NGG verweist darauf, dass die neu eingeführte Grundrente für Betroffene zwar zu höheren
Bezügen führen könne. Allerdings seien die Hürden mit erforderlichen 33 Beitragsjahren zu hoch
und der Zuschlag falle oft gering aus. „Die mögliche Einkommensanrechnung, etwa des
Lebenspartners, lässt die Beträge weiter schrumpfen. Damit bekommen viele Menschen keinen
oder nur einen geringen Zuschlag. Die Grundrente muss daher ebenfalls weiterentwickelt werden“,
unterstreicht Willem.
Foto: Obwohl sie jahrzehntelang gearbeitet haben, sind
immer mehr Menschen von Altersarmut betroffen.
Die nächste Bundesregierung müsse dagegen
vorgehen und die gesetzliche Rente ausbauen,
fordert die Gewerkschaft NGG. © NGG/Alireza Khalili