Karlsbad (ots). Die Bandbreite von Behinderungen ist groß.
Was viele jedoch nicht wissen oder bedenken: Die meisten Babys, die mit einer
geistigen Behinderung auf die Welt kommen, hätten gesund sein können. Sie
leiden an FASD. "FASD ist keine Erkrankung; unter dem Begriff FASD, fetale
Alkoholspektrumstörung, sind die Folgen von Alkoholkonsum in der
Schwangerschaft zusammengefasst", erklärt Kirsten Kramer, Ergotherapeutin
im DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.). Sie wünscht sich mehr
Aufklärung. Alle Frauen sollen wissen: Jeder Tropfen Alkohol kann dem
Ungeborenen schaden und eine Behinderung hervorrufen.
Es gibt viele Gründe, weshalb werdende Mütter Alkohol
trinken. Aus Leichtsinn, wegen fehlendem Wissen oder aufgrund einer bestehenden
Abhängigkeit. Oder weil es eine ungewollte Schwangerschaft ist, was meist auf
sehr junge Schwangere zutrifft. "In diesem Alter ist es besonders wichtig,
"cool" zu sein, dazuzugehören - trotz oder gerade wegen der
Schwangerschaft", weiß die Ergotherapeutin Kirsten Kramer. Dennoch:
Verständnis ist hier nicht angebracht, mehr Aufklärung hingegen schon.
Alkoholkonsum ist während der gesamten Schwangerschaft schädlich; abhängig vom
Entwicklungsstand des Fötus kann bereits ein Glas Sekt eine Behinderung
verursachen. Gerade die Zeit, wenn sich das Gehirn entwickelt, ist besonders
problematisch - schon geringste Mengen Alkohol wirken schädlich. Der Fötus baut
den Alkohol sieben Mal langsamer ab als die Mutter und hat deshalb das Zellgift
des Alkohols so viel länger im Organismus.
Wichtig für die Diagnose "FASD": Ehrlichkeit
Wie zeigt sich FASD? Die Auswirkungen sind vielschichtig.
"Es ist ein Symptomkomplex, der sich in Form von Behinderungen wie
körperlichen und psychischen Störungen oder Lernschwierigkeiten zeigt", so
die Ergotherapeutin. Sie führt weiter aus: "Kinder mit FASD kommen oft
schon zu klein oder zu leicht zur Welt. Sie sind häufig in ihrer geistigen,
sozialen, emotionalen, körperlichen und motorischen Entwicklung verzögert.
Verhaltensauffälligkeiten bis hin zu Schwerstmehrfachbehinderungen - das
Spektrum möglicher Folgen von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft ist
breit". FASD eindeutig zu diagnostizieren, ist daher oft schwierig, zumal
die Mütter ihren Alkoholkonsum meist aus Scham verschweigen. Doch Ehrlichkeit
und Offenheit sind besonders wichtig, um frühzeitig Hilfe und Förderung zu
erhalten. Und die sind dringend nötig, allem voran durch Ergotherapeuten. Die
zeichnen sich durch ihre besonderen Heran- und Vorgehensweisen und
alltagsbezogene Förderung bei Menschen mit Behinderungen jeglicher Form aus.
Schritte eins und zwei bei Kindern mit FASD: Vertrauen
bilden ...
Nahezu jedes Kind mit FASD erlebt eine überforderte
Mutter, die nicht mit den Besonderheiten, Schwierigkeiten oder Behinderungen,
die ihr Kind zeigt, zurechtkommt. Manche Mütter sind alleinerziehend oder noch
sehr jung und unerfahren und kämpfen mit ihrer eigenen Lebenssituation oder
(Alkohol-)Sucht. Auch sind nicht wenige Kinder in Pflegefamilien untergebracht,
weil die Verhältnisse in der Ursprungsfamilie so schwierig sind. All das
berücksichtigen Ergotherapeutinnen wie Kirsten Kramer, wenn ein Kind mit FASD
das erste Mal zu ihnen kommt. Kinder mit FASD haben in ihren ersten
Lebensjahren auch in puncto Beziehung - gerade zur Mutter - oft schlechte
Erfahrungen gemacht. "Neben einer gründlichen Befunderhebung, bei der wir
herausfinden, in welchem Bereich der größte Förderbedarf besteht, ist es daher
besonders wichtig, eine stabile Beziehung zu den Kindern mit Alkohol-bedingten
Behinderungen aufzubauen. Das ist die Voraussetzung für ihre körperliche und seelische
Entwicklung und die Fähigkeit, zwischenmenschliche Beziehungen auch außerhalb
der Familie zu schaffen", betont die Ergotherapeutin.
...und Grenzen setzen
Doch wie geht das? Mütter wollen das doch auch.
"Konsequentes Handeln und Reagieren sind maßgebliche Parameter, um
Kindern, auch denen mit einer Behinderung, Verlässlichkeit zu zeigen. Kinder
mit FASD tanzen gerne aus der Reihe, provozieren oder laufen davon um zu
testen, wie weit sie gehen dürfen oder ob man hinterherkommt", beschreibt
die Ergotherapeutin ein Bild vom Alltag mit diesen Kindern. Da hilft nur
Klarheit: Immer eindeutige Stoppzeichen setzen, was darf das Kind, was darf es
nicht. Nicht einmal etwas zulassen, das andere Mal nicht. So lernen auch Kinder
mit FASD den Rahmen für angemessenes Verhalten kennen.
Schritte drei bis hundert bei Ergotherapeuten: positiv
verstärken
Kirsten Kramer wendet verhaltenstherapeutische Ansätze
ebenso an wie andere, für das jeweilige Kind passende ergotherapeutische
Konzept. Das Prinzip bei all diesen Methoden: Die positiven Eigenschaften und
Verhaltensweisen des Kindes erkennen und konsequent loben. Ein Kind mit FASD
lebt vom Lob - so wie jedes andere im Übrigen auch. "Das ist meist eine
völlig neue Erfahrung für das Kind. Es ist häufig der Sündenbock in der eigenen
Familie, denn es sprengt mit seinem Verhalten immer wieder den Rahmen",
verdeutlicht die Ergotherapeutin Kramer, warum und wie sie eine
Verhaltensänderung herbeiführt. Da wird nicht etwa das Negative gesehen. Statt
dem Kind vorzuwerfen, dass es sich gerade wieder falsch verhält, ist es besser,
das Positive zu spiegeln und immer auszusprechen, wenn etwas gut klappt.
Bei Ergotherapeuten immer beteiligt: das Umfeld
Es ist ein ergotherapeutisches Selbstverständnis, das
Umfeld einzubeziehen. Denn erst, wenn alle an einem Strang ziehen, informiert
und instruiert sind, kann es zum bestmöglichen Resultat der Intervention
kommen, so die Überzeugung und Erfahrung von Ergotherapeuten. "Niemand
kann sich vorstellen, wie unglaublich schwierig und anstrengend das Zusammenleben
mit einem Kind mit FASD ist; man sieht ihm seine Behinderung nicht unbedingt
an", sagt Kramer. Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass nur mit dem
Wissen und dem Verständnis, warum diese Kinder so sind wie sie sind, ein
erträglicheres Miteinander möglich ist. Denn bei aller Förderung, positiven
Veränderungen und verbesserten Selbstregulation: FASD ist nicht rückgängig zu
machen. Diese Kinder leiden ein Leben lang an den Folgen des Alkohols in der
Schwangerschaft.
Informationsmaterial zu den vielfältigen Themen der
Ergotherapie gibt es bei den Ergotherapeuten vor Ort; Ergotherapeuten in
Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes im Navigationspunkt Service und
Ergotherapeutische Praxen, Suche.
Text: Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.,