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Lucy & Dicki, Teil 16 – Eine Geschichte von Annemarie Stern aus Haldensleben

Auf Entdeckertour im Zirkus

Haldensleben, 20. Januar 2019


Eine Geschichte von Annemarie Stern

In In der kleinen Stadt kündigten bunte Plakate eine echte Sensation an. „Der Zirkus kommt“, teilte Undine ihrem Mann Helmut mit. Aber der tierliebe Helmut entgegnete: „Ich mag keine dressierten Tiere sehen! Sie sind alle nicht mehr in ihrer natürlichen Umgebung. Ich gehe dort nicht hin. Diese armen Tiere sollten alle freigelassen werden!“ Undine streichelte gedankenvoll ihre Lucy. „Aber diese Tiere würden doch in Freiheit nicht überleben. Sie leben zum größten Teil seit Generationen im Zirkus. Das ist inzwischen bei ihnen zur Normalität geworden“, erwiderte Undine. „Ich gehe in den Zirkus. Ich will mal wieder richtige Zirkusluft schnuppern. Die Tiere werden von den Eintrittsgeldern gefüttert und versorgt. Bitte, Helmut, komm doch mit!“ Aber Helmut brummte nur zu Undines Vorschlag. Lucy hatte mit aufgestellten Ohren dem Gespräch gelauscht. Nach dem Füttern lief sie sofort zu Dicki, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen. In der Luft lag ein exotischer Duft. Aufgeregt zog Lucy den Geruch tief ein. Ob das die sagenhafte Zirkusluft ist? Am liebsten würde sie sofort zur Festwiese laufen. Aber dann machte sie einen Schlenker. Sie nahm den Weg durch die Gärten, um schneller bei Dicki zu sein.

Zuerst konnte Dicki nicht so recht etwas mit Lucys Erzählung anfangen. Eingesperrte Tiere? Die gemeinsam mit Menschen Kunststücke vorführten? Artisten? Waren das Tiere oder Menschen? Oder beides? Neugierig und aufgeregt flitzten Lucy und Dicki zur Festwiese. Vor Staunen blieben sie stehen. Ein riesiges, rundes Zelt stand mitten auf der Wiese. Bunte, kleine Häuser auf Rädern, einige kleinere viereckige Zelte und Buden umgaben das Riesenzelt. Neugierig betraten Lucy und Dicki die Zelte. Große Käfige mit Tieren, so groß und furchterregend wie sie noch keins gesehen hatten, waren in dem kleineren Zelt untergebracht. Daher kam auch der aufregende Geruch. Diese Tiere waren größer als der Bulle von Bauer Schmitz, staunten die Beiden. Sie waren an einem Fuß angekettet. „Seht mal, die Elefanten“, sagte eine Frau zu ihren Kindern. Also diese Tiere mit den großen Ohren, den starken Beinen ohne Tatzen und Krallen, den äußerst langen, baumelnden Nasen, hießen Elefanten! Sie staunten die seltsamen Tiere an. „Sieh mal, in den Käfigen dahinten sind Riesenkatzen!“, rief Dicki aufgeregt. Als sie sich einem Käfig nährten, stieß die Riesenkatze plötzlich ein grollendes Brüllen aus und fauchte sie an. Richtig furchterregend! Sie lief mit peitschendem Schwanz in Ihrem Käfig auf und ab. Dabei ließ sie Lucy und Dicki nicht aus den Augen. „Komm, lass uns von hier verschwinden“, raunte Lucy ihrem Dicki zu. „Pferde und Ziegen kennen wir sowieso.“ 



Sie schlängelten sich zwischen den vielen großen und kleinen Menschenbeinen hindurch. Als sie anhielten, standen sie vor dem großen, runden Zelt. Was für ein gewaltig großes Tier mochte sich dort aufhalten? Mit klopfenden Herzen, nach allen Seiten witternd, betraten sie das Riesenzelt. Es sah innen fast wie ein großes, sehr hohes Zimmer aus. Aber eben nur fast. Ein noch größeres Tier konnten sie nicht entdecken. Es gab Sitze, aber keinen Tisch und auch kein Sofa. Keinen Fernseher, kein Radio, keine Schränke. Dafür in der Mitte ein riesiges, rundes Katzenklo mit Sägespäne. Lucy und Dicki fanden in der ersten Reihe einige mit Plüsch bezogene Sessel. Gerade gut genug für sie zum Ausruhen. Ihnen fielen bald die Augen zu. Sie wurden durch einen sehr lauten Paukenschlag geweckt. Vor Ihnen lief ein sehr albern aussehender Mann mit großen Schuhen, einer Pappnase und sehr bunter Kleidung auf und ab. Erstaunt sahen sich der Clown und die beiden Katzen an. „Ha!“, schrie der Clown. „Was ist denn das? In der Loge vom Bürgermeister sitzen zwei Katzen!“ Das Publikum lachte. Ihm wurden ein Schmetterlingsnetz und ein großer Kescher gereicht. Als er versuchte, die beiden Katzen zu fangen, nahmen Dicki und Lucy Reißaus. Der Clown drehte sich um seine eigene Achse, stolperte über seine großen Schuhe und lag strampelnd in dem großen, runden Katzenklo. Im Fallen war es ihm gelungen, Dicki in dem Netz zu fangen. Das Publikum applaudierte und lachte. Dicki versuchte sich aus diesem Maschengespinst zu befreien. Aber durch sein Strampeln verhedderte sich Dicki immer mehr. Er miaute laut um Hilfe. Das Publikum brüllte inzwischen vor Lachen und klatschte wie verrückt. Lucy aber lief zu dem wehrlosen bunten Mann und schlug ihn heftig mit ihrer Pfote ans Schienbein. Ein entsetzter Schrei entfuhr dem Clown. „Das tut ja richtig weh! Verflixt, warte nur bis ich dich kriege, du schwarzer Teufel!“, rief er erbost laut der schwarzen Katze zu. Die Zuschauer stöhnten inzwischen unter Tränen vor Lachen. Eine solche Clownsnummer hatten sie noch nie erlebt! Die war echt Spitzenklasse! 

Nur eine Zuschauerin sah fassungslos zu. Undine. Nur sie wusste, dass die beiden Katzen nicht zum Programm gehörten. Auch Anne war sehr erregt. Waren das vielleicht Lucy und Dicki? Sie steckte zwei Finger in ihren Mund und über das Gekreische und Gelächter der tosenden Zuschauer erklang ein schriller, lauter Pfiff. Es war der Pfiff, der die Katzen nach Hause zum Fressen rief. Lucy zerrte an dem vertrackten Netz, in dem Dicki immer noch mit gespitzten Ohren festsaß. Aber da er nun endlich mal still hielt, gelang es Lucy ihn aus dem Netz zu befreien. An dem verdutzten Gesicht des Clowns vorbei, liefen die Zwei nach ganz oben in die letzte Reihe. Mit einem Satz, unter dem tosenden Beifall des Publikums, sprangen sie erleichtert auf den Schoß ihrer Frauchen. Undine breitete ihren Sommermantel über die Lucy aus. Anne wickelte Dicki in ihre Strickjacke ein. Nur ihre Nasenspitzen und die Ohren schauten darunter hervor. Undine und Anne schlichen mit Lucy und Dicki aus dem Zirkuszelt. Sie stellten sich mit Schaudern vor, welches Unglück passiert wäre, wenn Lucy und Dicki bei der Löwendressur dazwischen gefunkt hätten. Diese Panik, die bei dem Dresseur und bei den Zuschauern dann ausgelöst worden wäre! Unvorstellbar, einfach unfassbar! Alle, sowohl Mensch, als auch Tier waren froh, dass dieses Abenteuer glimpflich ausgegangen war.

Dicki und Lucy aber bekamen das erste Mal in ihrem Leben Hausarrest, solange der Zirkus auf der Festwiese gastierte. Sogar ihr Katzenklo mussten sie wieder benutzen, obwohl sie keine Katzenbabys mehr waren. Das fanden sie total ungerecht. Du auch?