Report analysiert Abrechnungsdaten von rund 800.000
jungen DAK-Versicherten
Berlin, November 2019. Fast acht Prozent aller
depressiven Kinder zwischen zehn und 17 Jahren kommen innerhalb eines Jahres
ins Krankenhaus, durchschnittlich für 39 Tage. Nach der Entlassung fehlt oft
eine passende ambulante Nachsorge. Folge: Fast jedes vierte dieser Kinder wird
innerhalb von zwei Jahren mehrfach stationär behandelt. Das zeigt der aktuelle
Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit mit dem Schwerpunkt „Ängste und
Depressionen bei Schulkindern“. Basis für die repräsentative Studie sind
Abrechnungsdaten der Jahre 2016 und 2017 von rund 800.000 minderjährigen
DAK-Versicherten. Laut Auswertung durch die Universität Bielefeld hat die Zahl
der Klinikeinweisungen wegen Depressionen in diesem Zeitraum um fünf Prozent
zugenommen. Ferner zeigen die Daten, dass chronische Krankheiten das Risiko für
eine Depression deutlich erhöhen.
Durch einen Krankenhausaufenthalt kommen die betroffenen
depressiven Kinder für durchschnittlich 39 Tage aus ihrem Schul- und
Familienalltag raus. „Die Stigmatisierung, die sich mit einem langen Aufenthalt
in der Jugendpsychiatrie verbindet, ist für die Betroffenen eine zusätzliche
Belastung. Wir brauchen eine offene Diskussion über das Tabuthema Depression
bei Kindern“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. „Wir haben
offenkundige Versorgungslücken nach der Krankenhausentlassung, die wir dringend
schließen müssen. Eine Rehospitalisierungsquote von 24 Prozent ist
alarmierend.“ Die Krankenkasse startet deshalb das neue integrierte
Versorgungsangebot „veo“, das depressiven Kindern und Jugendlichen im Alter
zwischen zwölf und 17 Jahren für drei Jahre eine vernetzte ambulante Nachsorge
und Versorgung ermöglicht.
Jedes vierte Schulkind leidet unter psychischen Problemen
Laut Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit zeigt
jedes vierte Schulkind psychische Auffälligkeiten. Zwei Prozent leiden an einer
diagnostizierten Depression, ebenso viele unter Angststörungen. Hochgerechnet
sind insgesamt etwa 238.000 Kinder in Deutschland im Alter von zehn bis 17
Jahren so stark betroffen, dass sie einen Arzt aufsuchen. Im Vergleich zum
Vorjahr ist die Depressionshäufigkeit 2017 um fünf Prozent gestiegen. In den
oberen Schulklassen leiden doppelt so viele Mädchen wie Jungen unter ärztlich
diagnostizierten Depressionen. Die Entwicklung bei den Geschlechtern geht
spätestens ab dem 14. Lebensjahr deutlich auseinander.
Chronische Krankheiten steigern Risiko für Depressionen
„Bestimmte Schulkinder haben ein stark erhöhtes Risiko
für eine Depression“, sagt DAK-Vorstandschef Storm. „Diese Kinder leiden oft
leise, bevor sie eine passende Diagnose bekommen. Wir müssen alle aufmerksamer
werden – ob in der Familie, in der Schule oder im Sportverein.“ Der Report
zeigt erstmals auf Basis von Abrechnungsdaten, wie stark bestimmte Faktoren die
Entwicklung eines Seelenleidens beeinflussen. So tragen Kinder mit einer
chronischen körperlichen Erkrankung insbesondere im Jugendalter ein bis zu
4,5-fach erhöhtes Depressionsrisiko. Für eine Angststörung ist das Risiko bis
zu 3-fach erhöht. Auch bei Adipositas und Schmerzen gibt es deutliche
Zusammenhänge: Unabhängig vom Alter sind Jungen und Mädchen mit krankhaftem
Übergewicht 2,5- bis 3-mal häufiger von einer depressiven Störung betroffen als
Gleichaltrige mit normalem Körpergewicht. Bei Kindern, die unter Schmerzen
leiden – Rücken-, Kopf-, Bauch- oder Beckenschmerzen –, besteht ein 2- bis
2,5-faches Risiko. Auch das familiäre Umfeld kann ein Faktor sein: Kinder
seelisch kranker Eltern sind deutlich gefährdeter (3-fach), selbst eine
depressive Störung zu entwickeln. Kinder suchtkranker Eltern sind ebenfalls
signifikant häufiger betroffen (2,4-mal häufiger) als Gleichaltrige aus
suchtfreien Elternhäusern.
Depressionen und Angststörungen zählen nach Einschätzung
der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu den schwerwiegendsten Leiden in der
Gruppe der psychischen Erkrankungen. Laut Kinder- und Jugendreport der
DAK-Gesundheit treten beide Diagnosen häufig parallel auf. So hat fast ein
Viertel (24 Prozent) aller depressiven Mädchen zusätzlich eine Angststörung.
Bei Jungen sind es 17 Prozent. Depressionen sind gekennzeichnet durch
Niedergeschlagenheit, Traurigkeit und Interessenverlust. Bei schweren
depressiven Episoden haben die jungen Patienten Schwierigkeiten, ihre
alltäglichen Aktivitäten fortzusetzen. Sie ziehen sich stark zurück, schaffen
es kaum noch, in die Schule zu gehen. 41 Prozent aller Fälle im Jahr 2017
diagnostizieren die Ärzte als mittelschwer oder schwer. Bei Angststörungen ist
der natürliche Angstmechanismus des Menschen aus den Fugen geraten. Die
Betroffenen zeigen Reaktionen, die der jeweiligen Situation nicht angemessen
sind und losgelöst von einer realen äußeren Gefährdung ablaufen.
Kinder- und Jugendärzte gehen von hoher Dunkelziffer aus
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte begrüßt den
neuen Report: „Die erstmals mit Krankenkassendaten untermauerten Erkenntnisse
zu frühen psychischen Problemen sind sehr wertvoll. Im Report sehen wir
allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Wir gehen von einer hohen Dunkelziffer
aus“, sagt Präsident Dr. Thomas Fischbach. „Es gibt sehr viele Kinder, die
leiden und erst spät zu uns in die Praxen kommen. Erst wenn sie eine
entsprechende Diagnose haben, tauchen sie in dieser Statistik auf.“ Auf
Grundlage des Reports wollen die DAK-Gesundheit und der Verband die bestehende
Versorgung von Kindern und Jugendlichen weiter optimieren.
Depressive Jugendliche bekommen regelmäßig Antidepressiva
„Mit dem Kinder- und Jugendreport 2019 haben wir
belastbare Analysen zur Versorgungssituation von Kindern mit psychischen
Auffälligkeiten“, erklärt Professor Dr. Wolfgang Greiner von der Universität
Bielefeld als Studienleiter. Die Untersuchung zeige auch, welche Leistungen
junge Patienten mit psychischen Problemen zusätzlich beanspruchen. So haben
Schulkinder wegen einer Depression durchschnittlich 4,4 zusätzliche Arzttermine
pro Jahr (mit Angststörungen: plus 4,1 Termine). Vor allem im späten
Jugendalter bekommen sie auch regelmäßig Antidepressiva: Mehr als jedes vierte
Mädchen und jeder sechste Junge im Alter zwischen 15 und 17 Jahren nimmt ein
entsprechendes Arzneimittel ein. Angststörungen werden hingegen seltener
medikamentös therapiert; nur halb so viele Jugendliche mit Angststörungen
bekommen Medikamente verschrieben (sieben Prozent aller Jungen und elf Prozent
aller Mädchen).
DAK-Gesundheit entwickelt neue Angebote
Die DAK-Gesundheit reagiert auf den wachsenden Bedarf und
die Versorgungslücke nach der Krankenhausbehandlung mit einem neuen
integrierten Versorgungskonzept. Das Programm „veo“ ist einzigartig. Es hilft
Kinder- und Jugendtherapeuten, Psychiatern sowie Haus- und Fachärzten dabei,
die ambulante Nachsorge zu optimieren. Weitere wichtige
altersgruppenspezifische Beteiligte wie Beratungsstellen, Schulpsychologen und
Jugendämter werden ebenfalls eingebunden. Das Ziel ist eine bessere Vernetzung
und damit eine schnelle und unproblematische Hilfe – ohne lange Wartezeiten und
komplizierte Terminabsprachen.
Parallel intensiviert die DAK-Gesundheit ihre Aktivitäten
im Bereich Stressprävention. Gemeinsam mit der Cleven-Stiftung hat sie mit
fit4future Teens ein neues Präventionsprogramm zum Thema Stressprävention für
800 weiterführende Schulen entwickelt. Außerdem bietet sie Kindern ab zwölf
Jahren individuell an, ihre seelische Stärke mit einer neuen Software zu
trainieren. „DAK Smart4me“ ist kostenfrei zugänglich und passwortgeschützt auf
Smartphones und allen anderen Bildschirmgeräten nutzbar. Infos dazu gibt es
unter: www.dak.de/smart4me
Text / Foto: DAK-Gesundheit