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Aus dem Gerichtssaal: LG Berlin verurteilt zwei Berliner Frauenärzte wegen bewusster Tötung eines kranken Zwillingskindes während eines Kaiserschnitts zu Bewährungsstrafen

Mittwoch, den 20. November 2019

Die 32. Große Strafkammer – Schwurgerichtskammer – des Landgerichts Berlin hat gestern die Leitende Oberärztin und den ehemaligen, inzwischen pensionierten Chefarzt eines Berliner Klinikums wegen Totschlags zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten bzw. einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung jeweils zur Bewährung ausgesetzt wurde. 

Die Kammer sah es als erwiesen an, dass die beiden Gynäkologen am 12. Juli 2010 während eines Kaiserschnitts bei einer 27-jährigen Patientin zunächst ein erstes gesundes Kind entbunden, deren eineiige Zwillingsschwester dann aber mittels einer Kaliumchloridinjektion bewusst getötet haben. Dieses zweite Mädchen habe einen schweren Hirnschaden gehabt, welcher bereits im Verlaufe der Schwangerschaft festgestellt worden war, weshalb sich die Eltern der Kinder für eine sog. Spätabtreibung entschieden hatten. 

Anstatt aber das Kind bereits während der Schwangerschaft im Mutterleib zu töten, wie es bei einer entsprechenden Indikation rechtlich zulässig und medizinisch möglich gewesen wäre, hätten die Ärzte zunächst den Beginn der Geburt abgewartet, um den Eingriff vorzunehmen. Nach Einsetzen der Eröffnungswehen hätten sie den Mutterleib geöffnet, das gesunde Kind zur Welt gebracht und dann das geschädigte Kind getötet, obwohl es nach Angaben eines Sachverständigen lebensfähig gewesen sei. Dies sei rechtlich als Totschlag im Sinne des § 212 Strafgesetzbuch (StGB) zu werten, so der Vorsitzende Richter in seiner mündlichen Urteilsbegründung.

Die beiden Frauenärzte hatten den Sachverhalt eingeräumt, sich aber dahingehend eingelassen, dass sie angesichts der medizinischen Besonderheit des Falles im Interesse des gesunden Mädchens von einem sog. selektiven Fetozid – der gezielten Tötung eines Zwillings im Mutterleib vor Beginn der Geburt – abgesehen hätten. Sie seien davon ausgegangen, dass ihr Handeln rechtmäßig gewesen sei, weil das Mädchen sich noch im (geöffneten) Mutterleib befunden habe, als sie die Injektion durchgeführt hätten. Diese Angaben hielt die Kammer für nicht glaubhaft. 

Den Angeklagten sei als erfahrenen Gynäkologen bewusst gewesen, dass sie rechtlich nicht mehr befugt gewesen seien, das kranke Kind während des Kaiserschnitts zu töten, weil die Geburt bereits begonnen hatte. Auch habe im Zeitpunkt ihres Handels – der Injektion – keine Pflichtenkollision vorgelegen, da das gesunde Mädchen bereits geboren war und keine Gefahr mehr für es bestanden habe. Vielmehr hätten sich die Angeklagten von dem Willen der Eltern leiten lassen, dass das kranke Kind nicht zur Welt kommt, obwohl es lebensfähig gewesen sei. Ein derartiges „Aussortieren“ von kranken oder behinderten Säuglingen sei nach dem Willen des Gesetzgebers strafrechtlich aber nicht zulässig, so der Vorsitzende.

Angesichts der Besonderheiten des Falles hat die Kammer jedoch einen minder schweren Fall im Sinne des § 213 StGB angenommen. Die etwas höhere Strafe für den angeklagten ehemaligen Chefarzt begründete der Vorsitzende damit, dass es in seiner Macht als Vorgesetzter gelegen hätte, den Eingriff noch im Operationssaal zu verhindern. Anders als die angeklagte Leitende Oberärztin habe er während der Hauptverhandlung auch keinerlei Einsicht gezeigt.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann binnen einer Woche mit dem Rechtsmittel der Revision angefochten werden.