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Der Wunschzettel – Eine Weihnachtsgeschichte von Annemarie Stern aus Haldensleben

Haldensleben, 23. Dezember 2018


Die Wolkenwally schob das Wolkengetüm zur Seite, um dem Mond eine Chance zu geben seine milden Strahlen auf die Erde zu schicken. Schließlich war heute Weihnachten, und der Weihnachtsmann musste nur noch ein Weihnachtspaket unter den Weihnachtsbaum des kleinen Paul legen. Um ein Haar wäre das in diesem Jahr schiefgegangen! 

Paul hatte seinen Wunschzettel mühsam mit der Schreibmaschine getippt, weil seine Handschrift total krakelig, unleserlich und die einzelnen Wörter voller Fehler waren. Seine Lehrerin, die Frau Schönchen, hatte es immer wieder zu ihm gesagt. Bei Paul gingen ihre Worte zu einem Ohr herein und zum anderen wieder heraus. Aber als sie ihm auf dem Schulhof während der Pause im Vorbeigehen ins Ohr flüsterte: „Paul, deinen Wunschzettel kann der Weihnachtsmann vielleicht auch nicht lesen, ich jedenfalls habe Schwierigkeiten, deine Krakelei zu entziffern. Die Fehler habe ich rot unterstrichen. Und statt eines Computers solltest du dir ein spannendes Buch wünschen.“ 

Da bekam Paul einen Riesenschreck. Er schlich den ganzen Nachmittag auffällig unauffällig um seine Mutti herum, bis er sich entschloss sie zu fragen: „Mutti, wenn ich dieses Jahr einen Wunschzettel male, wie Christian, ob ich dann auch meine Wünsche erfüllt bekomme? Du darfst dann auch wieder Paulchen zu mir sagen.“ Flehend sah Paul seine Mutter an. Diese wiegte zweifelnd ihren Kopf. „Ich weiß nicht so recht. Dein Bruder ist erst vier Jahre alt, aber du bist schon sieben und Schüler der zweiten Klasse. Es wird besser sein, du gibst dir ganz viel Mühe und schreibst doch lieber deinen Wunschzettel.“

Unglücklich ging Paul in sein Kinderzimmer und er überlegte hin und her. Plötzlich hatte er die zündende Idee. Im Keller stand eine Schreibmaschine! Der Computer hatte ihren Platz auf dem Schreibtisch des Vaters eingenommen und er, Paul, durfte ihn nur im Beisein eines Elternteils benutzen. Paul überlegte, ob die Schreibmaschine noch funktionierte? Er bat und bettelte seine Eltern solange an, bis der Vater ihm die Schreibmaschine aus dem Keller holte und sie neben den Gummibaum auf das kleine Tischchen im Kinderzimmer abstellte. Nun tippte Paul seinen Wunschzettel:



Seinen Wunschzettel hängte er am Gummibaum auf. Aber anstatt ihn am Abend vor dem Nikolaustag in seine geputzten Stiefel zu legen, die auf dem Flur standen, vergaß er den richtigen Zeitpunkt und sein Wunschzettel blieb am Gummibaum hängen.

Am Nikolausmorgen waren im Stiefel für Paul Schokolade, Nüsse und ein neues Tierbuch. Aber den Wunschzettel hatte der Nikolaus nicht entdeckt. Er hing immer noch im Kinderzimmer am Gummibaum! Wie sollte der Weihnachtsmann Pauls Wünsche erfahren, wenn der Nikolaus seinen Wunschzettel nicht beim Weihnachtsmann abgegeben hatte? Ob er, Paul, überhaupt etwas zu Weihnachten bekam? Paul wurde sehr, sehr traurig. Je näher der Weihnachtstag kam, desto öfter weinte er heimlich viele, dicke Kullertränen. 

Sein kleiner Bruder Christian erzählte beim gemeinsamen Abendessen den Eltern von Pauls Sorgen. „Wir versuchen dir zu helfen“, versprach der Vater. Die Mutter wiegte wieder ihren Kopf, wie immer, wenn sie nachdachte. „Wollen wir morgen früh gemeinsam einen Schneemann bauen, der wie ein Weihnachtsmann aussieht und den Wunschzettel daran befestigen?“ Gesagt, getan. Am nächsten Morgen war ein emsiges Treiben vor dem Haus. Es machte allen viel Freude den Schnee-Weihnachtsmann zu bauen. Zum Schluss hängten sie dem Schnee-Weihnachtsmann eine rote Strickjacke der Mutter und einen Schnurrbart um. An dem Sack befestigten sie mit einer Sicherheitsnadel den verbesserten Wunschzettel von Paul.

Die Wolkenwally hatte den Brief entdeckt und den Wind gebeten, den Wunschzettel des kleinen Paul zum Weihnachtsmann zu pusten. Das machte dem Wind großen Spaß. Der Wunschzettel von Paul wirbelte durch die Luft, fast bis zum Himmel hinauf, damit auch die Wolkenwally die Wünsche lesen konnte. Der Wind blies mal kräftiger, dann wieder weniger, dadurch beschrieb das leichte Stück Papier die verschiedensten Figuren am Himmel. „Ich habe einen Drachen, ich habe einen tollen Winterdrachen“, jubelte der Wind glücklich. Er achtete aber darauf, dass der Zettel nicht in den Schnee fiel. Beinahe hätte er bei seinem übermütigen Spiel vergessen, ihn noch pünktlich vor dem Weihnachtsabend abzugeben. Erst das drohende Räuspern der Wolkenwally erinnerte ihn daran. 

Kräftig rüttelte der Wind an den Fenstern des Weihnachtsmannhauses, bis die Fensterläden laut klapperten. Verwundert steckte der Weihnachtsmann seinen Kopf zur Tür hinaus. Der Wind pustete den Wunschzettel des kleinen Paul in die große Hand des Weihnachtsmannes. Seufzend zog der Weihnachtsmann seine Stiefel wieder an, packte seinen Sack und begab sich zu Fuß auf den Weg. Den Schlitten und das Pferd hatte er auf dem Rückweg, als er alle Geschenke verteilt hatte, wieder beim Bauern Kruse abgegeben. Brummend murmelte er, während er keuchend durch den Schnee stapfte: „Das ist das letzte Mal in meinem Leben, dass ich Geschenke nachliefere!“ Der Mond blinzelt ihm freundlich zu und die Wolkenwally fragte: „Lieber Weihnachtsmann, das wievielte „Letzte Mal“ ist das in deinem langen Weihnachtsmannleben heute?“ Und sie hielt mit aller Kraft das Wolkengetüm vom Mond fern, damit der Weihnachtsmann auf seinem Weg nicht stolperte und das weiche Fellknäul verletzt wurde, welches in dem Weihnachtsmannsack in einem Paket steckte.

So bekam Paul doch noch pünktlich am Weihnachtsabend seine Geschenke. In dem einen Weihnachtspaket raschelte es. Was Paul wohl in diesem bunten, mit Löchern versehenen Paket, für eine Überraschung finden würde?