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Magdeburg-News: BARMER-Arzneimittelreport – riskante Medikamente gefährden Ungeborene

Montag, 15. November 2021

Magdeburg. Viele Frauen im gebärfähigen Alter bekommen potenziell kindsschädigende Arzneimittel verordnet, sogenannte Teratogene. In Sachsen-Anhalt waren im Jahr 2018 rund 31.000 Frauen zwischen 13 und 49 Jahren davon betroffen. Das entspricht einem Anteil von rund 7,8 Prozent. Problematisch wird deren Einnahme ab dem Beginn einer Schwangerschaft. „Die grundsätzliche Verordnung von Teratogenen vor einer Schwangerschaft ist nicht das Problem. Vor allem dann nicht, wenn verhütet wird. Spätestens mit Eintritt der Schwangerschaft darf aber kein Teratogen mehr zum Einsatz kommen. Genau genommen muss der Schutz des ungeborenen Kindes bereits davor beginnen“, sagt Axel Wiedemann, Landesgeschäftsführer der BARMER in Sachsen-Anhalt. Deshalb sollten auch Frauen im gebärfähigen Alter mit Dauermedikation einen Rechtsanspruch auf einen bundeseinheitlichen Medikationsplan erhalten. Damit könne das Risiko für das ungeborene Leben bei einer notwendigen teratogenen Medikation massiv reduziert werden. „Derzeit wird die Arzneimitteltherapie unzureichend dokumentiert. Das führt zu gefährlichen Informationslücken zu Beginn der Schwangerschaft. Vor allem für Gynäkologinnen und Gynäkologen ist es schwer bis unmöglich, rechtzeitig Teratogene abzusetzen“, so Wiedemann.
 
Nur wenige Frauen haben Medikationsplan

62 Prozent der Arzneimittelverordnungen erfolgen durch Hausärzte, nur 24 Prozent durch Gynäkologen. Acht von zehn Frauen mit Arzneimitteltherapie vor der Schwangerschaft haben keinen Medikationsplan. Das belegt eine vertiefende Umfrage im Rahmen des Reports unter knapp 1.300 Frauen, die im vergangenen Jahr entbunden haben. „Mit dem Eintritt der Schwangerschaft kommt es zu einem Wechsel des primären Ansprechpartners für die Arzneimitteltherapie – hin zum Gynäkologen. Dabei entsteht häufig eine Informationslücke. Der Schutz des ungeborenen Kindes muss deshalb schon vor der Schwangerschaft beginnen. Dazu sollte die Gesamtmedikation junger Frauen grundsätzlich auf kindsschädigende Risiken geprüft werden“, sagt Wiedemann. Nun seien nicht alle riskanten Wirkstoffe im selben Maße gefährlich. Es gebe aber starke Teratogene, die das Risiko für grobe Fehlbildungen des Embryos verzehnfachten, so Wiedemann. Das hieße, bis zu 30 Prozent der ungeborenen exponierten Kinder könnten eine Schädigung erleiden. Trotzdem haben in Sachsen-Anhalt im Jahr 2018 mehr als 2.200 Frauen im gebärfähigen Alter ein starkes Teratogen verordnet bekommen. „Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte passen die Arzneimitteltherapie an die Schwangerschaft zwar sehr wohl an. Das belegen die zurückgehenden Verordnungszahlen von Teratogenen. Allerdings liegen die Absetzquoten bei den besonders kritischen Präparaten lediglich zwischen 31 und 60 Prozent. Das ist viel zu wenig. Der Einsatz stark fruchtschädigender Arzneimittel ist in keinem Fall vertretbar, wenn es gleichwertige und sicherere Alternativen gibt“, sagt Wiedemann.
 
Persönliches Gespräch in der Apotheke kann helfen
„Wir Apotheker sind sehr sensibilisiert, wenn Frauen in der Apotheke Rezepte mit teratogenen Arzneimitteln vorlegen. Im Beratungsgespräch vermitteln wir, dass das Medikament nicht in der Schwangerschaft eingenommen werden sollte. Falls notwendig, klären wir im Kontakt mit der Ärztin bzw. dem Arzt, ob ein Absetzen oder eine Umstellung der Medikation angeraten ist. Darum ist es immens wichtig, in der Apotheke das persönliche Gespräch zu suchen“, sagt Dr. Jens-Andreas Münch, Präsident der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt. In regelmäßigen Fortbildungen wird diese sensible Thematik immer wieder aufgegriffen. „Auch bei Folgeverordnungen und in der Selbstmedikation bleibt es Aufgabe der Apotheker, Kinderwunsch oder eine mögliche Schwangerschaft zu erfragen. Andererseits kann auch eigenmächtiges Absetzen der Arzneimittel aus Angst vor Schäden Unheil anrichten und dem ungeborenem Kind schaden. Deshalb werben wir für unsere persönliche und vertrauliche Beratung vor Ort. Sie ist durch nichts zu ersetzen“, so Münch.
 
Prüfung der Therapie nach Eintritt der Schwangerschaft kommt zu spät

Im Mittel bemerken Frauen ihre Schwangerschaft in der fünften Schwangerschaftswoche. Die vulnerabelste Phase für den Embryo ist die Organogenese, die bis zur achten Schwangerschaftswoche dauert. Entscheidend ist, in dieser Phase die Anwendung von teratogenen Arzneimitteln zu verhindern. „Unsere Umfrage hat gezeigt, dass die erste Besprechung der Sicherheit der Arzneimitteltherapie mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt im Mittel in der siebten Schwangerschaftswoche erfolgt. Das entspricht fast dem Abschluss der Organogenese und ist damit definitiv zu spät, da ein möglicher Schaden durch teratogene Arzneimittel bereits eingetreten sein könnte. Wer einen Medikationsplan führt, hat schon vor der Schwangerschaft einen Risikoüberblick“, so Wiedemann. Dr. Münch betont die Bedeutung der Beratung in der Apotheke vor Ort. „Wir werben seit Jahren dafür, von der Hausapotheke oder der Apotheke des Vertrauens einen Medikationsplan erstellen zu lassen und diesen dann auch gemeinsam zu pflegen. Und das unabhängig vom Alter. Denn was oft vergessen wird: Auch frei verkäufliche Arzneimittel sind nicht harmlos und können sich negativ auf den Fötus auswirken. Uns stehen spezifische Datenbanken zur Verfügung, mit deren Hilfe wir Nutzen und Risiken der Arzneimittelanwendung in der Schwangerschaft bewerten können. Daher sollte generell eine apothekerliche Rücksprache gehalten werden“, sagt der Präsident der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt.
 
BARMER-Projekte sollen kindsschädigende Verordnungen reduzieren

Die BARMER treibt mehrere Innovationsfondsprojekte voran, bei denen es auch darum geht, dass riskante Verordnungen bei Schwangeren minimiert werden. Das neueste geplante Projekt eRIKA soll dafür sorgen, dass die Ärztin oder der Arzt bereits beim Ausstellen eines Rezeptes Transparenz zur Gesamtmedikation erhält. Hier arbeitet die BARMER neben Ärzteschaft und Apotheken mit der Berliner Charité zusammen. Für Frauen im gebärfähigen Alter erhalten die Ärztinnen und Ärzte im Rahmen von eRIKA so zum Zeitpunkt der Verordnung automatisch Hinweise auf Arzneimittel, die in der Frühschwangerschaft problematisch sind. Weiterhin kann eine patientenfokussierte digitale Anwendung bereitgestellt werden, um ergänzend Schwangeren oder Frauen, die eine Schwangerschaft planen, derartige Warnhinweise zu geben.

Text: BARMER Sachsen-Anhalt