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Umgang mit den zukünftigen Herausforderungen des Landes Sachsen-Anhalt / Pähle: Unser Land wird sein Gesicht verändern

Donnerstag, den 14. Oktober 2021

In ihrer heutigen Rede zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten hat die SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Pähle (Foto) im Landtag von Sachsen-Anhalt deutlich gemacht, dass ein politischer Aufbruch in der Luft liegt und darüber gesprochen, wie das Land aussehen kann, wenn die neuen Herausforderungen ernsthaft angegangen werden. In diesem Zusammenhang wies sie auf die im Bund erwartete Einführung eines höheren Mindestlohns und den im Land geplanten Vergabemindestlohn hin. Einen wichtigen Stellenwert hat aus ihrer Sicht aber auch der respektvolle Umgang mit den vergangenen Lebensleistungen der Menschen:

„Der Begriff Respekt hat über über den Mindestlohn hinaus eine wichtige Bedeutung für Ostdeutschland. Denn wir können vielfach beobachten, dass sich das Gefühl der Nachwendezeit, dass im gesamtdeutschen Maßstab die Arbeits- und Lebensleistungen der Menschen in der DDR nicht wertgeschätzt wurde, auch in späteren Generationen fortsetzt. Und das ist 31 Jahre nach der Wiedervereinigung keine gute Grundlage für unser Gemeinwesen.

Deshalb muss sich Respekt für unterschiedliche Lebenswege und Erfahrungswelten auch in der Korrektur von Fehlentscheidungen ausdrücken. Ich bin deshalb sehr froh, dass wir hier in Sachsen-Anhalt im Koalitionsvertrag das Ziel verankert haben, dass der Bund gemeinsam mit den Ländern einen Gerechtigkeitsfonds auflegt, um zumindest einen teilweisen Ausgleich für die Berufsgruppen zu schaffen, deren DDR-Rentenanspüche mit der Überleitung in gesamtdeutsches Rentenrecht entwertet wurde.“

Die Rede im Wortlaut:

„Dass der Ministerpräsident heute seine Regierungserklärung abgegeben hat, ist – ebenso wie die Konstituierung der Landtagsausschüsse in den letzten beiden Wochen – ein untrügliches Zeichen:

Die Legislaturperiode hat jetzt tatsächlich begonnen, und die neu gebildete Koalition nimmt in Parlament und Regierung ihre Arbeit auf.

Gleichzeitig stehen wir auch – und gerade – im Bund an einem Neubeginn.

In Deutschland liegt ein politischer Aufbruch in der Luft,

und das nicht nur wegen neuer Mehrheiten und der Möglichkeit für einen Farbwechsel im Kanzleramt.

Es geht um den Aufbruch in eine neue Politik,

weil wir Herausforderungen meistern müssen, die keine Generation vorher hatte.

Ich finde, es ist ein besonders gutes Vorzeichen, dass Olaf Scholz diesen Aufbruch in eine neue Politik im Geiste des Respekts gestalten will.

Respekt ist dabei mehr als eine zwischenmenschliche Haltung. Respekt muss sich auch ausdrücken in konkreter, messbarer Wertschätzung für das, was Menschen leisten. Deshalb ist die Einführung eines Mindestlohns von zwölf Euro so wichtig: weil es eben nicht respektvoll ist, Menschen für ihre Arbeit so schlecht zu bezahlen, dass sie davon nicht leben können und dass später die Rente nicht reicht.

Gerade in Ostdeutschland, gerade in Sachsen-Anhalt mit immer noch zu niedrigen Löhnen und mit viel zu geringer Tarifbindung sind zwölf Euro Mindestlohn ein messbarer, praktischer Zugewinn für den Lebensalltag vieler Menschen.

Das gilt auch für 13,01 Euro Vergabemindestlohn, die wir im Koalitionsvertrag für öffentliche Aufträge in Sachsen-Anhalt verankert haben – für die Fälle, wo nicht ohnehin Tarifverträge zugrunde gelegt werden können.

Der Begriff Respekt hat aber über den Mindestlohn hinaus eine wichtige Bedeutung für Ostdeutschland.

Denn wir können vielfach beobachten, dass sich das Gefühl der Nachwendezeit, dass im gesamtdeutschen Maßstab die Arbeits- und Lebensleistungen der Menschen in der DDR nicht wertgeschätzt wurde, auch in späteren Generationen fortsetzt. Und das ist 31 Jahre nach der Wiedervereinigung keine gute Grundlage für unser Gemeinwesen.

Deshalb muss sich Respekt für unterschiedliche Lebenswege und Erfahrungswelten auch in der Korrektur von Fehlentscheidungen ausdrücken. Ich bin deshalb sehr froh, dass wir hier in Sachsen-Anhalt im Koalitionsvertrag das Ziel verankert haben, dass der Bund gemeinsam mit den Ländern einen Gerechtigkeitsfonds auflegt, um zumindest einen teilweisen Ausgleich für die Berufsgruppen zu schaffen, deren DDR-Rentenanspüche mit der Überleitung in gesamtdeutsches Rentenrecht entwertet wurde.

Ich habe in den letzten Monaten mit vielen Frauen und Männern gesprochen, die teilweise 30 Jahre lange Auseinandersetzungen, Einsprüche und Gerichtsverfahren hinter sich haben, aber letztlich mit ihren berechtigten Forderungen an den wasserdichten Regelungen des Einigungsvertrages gescheitert sind. Diese Menschen warten auf ein Zeichen, dass ihr Anliegen gehört wird.

Zu einer Kultur des Respekts gehört auch menschenwürdiges und bezahlbares Wohnen für alle. Ohne Frage gibt es in den Ballungsräumen eine schärfere Problematik als in den meisten Orten Sachsen-Anhalts.

Aber auch in meiner Heimatstadt Halle kann man schon beobachten, dass die Sanierungsstrategie der großen Wohnungsunternehmen dazu führt, dass bestimmte Stadtviertel aufgrund stark steigender Mieten tendenziell nur noch von wohlhabenden Bevölkerungsgruppen genutzt werden können. Das zeigt, wie wichtig auch in einem Land wie Sachsen-Anhalt sozialer Wohnungsbau ist, sowohl im Bestand als auch beim Wohnungsneubau.

Was für viele Menschen aber aktuell noch drängender ist, ist die Problematik der „zweiten Miete“, das Risiko steigender Nebenkosten durch höhere Energiepreise. Deshalb ist es wichtig, Klimaschutz nicht nur mit marktwirtschaftlichen Instrumenten über den Preis zu organisieren, sondern gleichzeitig sicherzustellen, dass die Vermieter in Energieeffizienz investieren und damit die Nebenkosten im Zaum halten.

Ein politischer Aufbruch liegt in der Luft, und ich will deshalb einen Blick darauf werfen, wie unser Land in fünf, sechs, vielleicht zehn Jahren aussehen wird –

oder jedenfalls aussehen kann, wenn wir die neuen Herausforderungen ernsthaft angehen.

Denn eins steht fest:

Unser Land wird sein Gesicht verändern.

Fangen wir mit dem Offensichtlichsten an: Die Energiewende wird kommen, auch wenn sich einige immer noch vorstellen mögen, sie könnten sich dagegenstemmen.

Um genau zu sein: Wir sind schon mittendrin.

Ich möchte – und meine Partei möchte – alle demokratischen Kräfte dazu einladen, diesen technologischen und gesellschaftlichen Umbruch als große gemeinsame Chance zu betrachten:

weil er neue Werte, neue Arbeitsplätze und neue Verdienstmöglichkeiten schafft,
 
weil wir ihn gerecht und sozialverträglich gestalten können,
 
weil wir dafür sorgen, dass alle daran teilhaben können
 
und weil er uns vor ökologischen und wirtschaftlichen Krisen bewahrt, die wir nicht mehr in den Griff bekommen könnten.
 
Anrede,

eine gelungene Energiewende wird man dem Land ansehen:

Wir werden sie sehen in Energieparks überall im Land.
 
Wir werden uns daran gewöhnen, dass Solaranlagen auf jedem Dach einfach dazugehören.
 
Und wir werden die Stromtrassen bekommen, die dafür sorgen, dass Strom aus erneuerbaren Quellen dorthin gebracht wird, wo er gebraucht wird.
 
Olaf Scholz hat nicht ohne Grund vor der Wahl immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Infrastruktur schnell aufgebaut werden muss und dass wir unser Planungsrecht dafür radikal beschleunigen müssen.

Diese sichtbaren Spuren im Land sind aber nur die eine Seite der Medaille.

Auf der anderen Seite wird man den Regionen, die für uns alle in Größenordnungen Windenergie und Solarstrom produzieren, aber auch ansehen, dass sie von dieser Entwicklung profitieren.

Denn die Dividende der Energiewende muss in den ländlichen Regionen ankommen – dafür müssen wir sorgen. Wo Strom produziert wird, da müssen die Anwohnerinnen und Anwohner, da müssen die Kommunen an den Gewinnen teilhaben, und sie müssen die Chance bekommen, selbst in Projekte der Bürgerenergie zu investieren.

Überhaupt: der ländliche Raum.

Wir in Sachsen-Anhalt haben längst erkannt, was für ein Irrtum es ist, den ländlichen Raum als Defizitregion zu betrachten, als eine Art „verhinderte Stadt“.

Nein! Leben, Arbeit und gesellschaftlicher Zusammenhalt auf dem Land haben eine eigenständige Qualität, die für uns und unser Land nutzbar ist.

Und es ist nicht zuletzt der technologische Fortschritt, der die Bedingungen dafür schafft:

Wenn wir bei den nächsten Etappen des Ausbaus der digitalen Infrastruktur die Fehler der Vergangenheit vermeiden, dann entstehen auch in Regionen, die für Außenstehende heute noch als „abgehängt“ erscheinen mögen, neue Potentiale für Wertschöpfung und neue, attraktive Chancen zum Arbeiten und Leben.

Anders ausgedrückt:

Auch am Arsch der Welt kann man gutes Geld verdienen, wenn das WLAN stabil ist.

Aber dafür dürfen wir eben nicht mehr zulassen, dass private Investoren ihren Gewinn maximieren, indem sie bei der Netzabdeckung neue Täler der Ahnungslosen entstehen lassen.

Flächendeckend heißt flächendeckend – das muss fürs schnelle Internet, für alle aktuellen Mobilfunkstandards und erst recht für 5G gelten.

Aber wer in der Altmark oder im Mansfelder Land im Homeoffice oder in der eigenen Firma arbeitet, der braucht nicht nur virtuelle Netze, sondern auch persönliche Mobilität, der braucht vielleicht den Service von Lieferdiensten –

und das alles CO2-neutral.

Deshalb sind die Modellprojekte für umweltverträgliche Mobilität im ländlichen Raum, die wir im Koalitionsvertrag verankert haben, so wichtig:

Tür-zu-Tür-Verkehr, 24/7
 
ein 365-Euro-Ticket
 
flexible Anrufbusse
 
Und neben gestärkten, leistungsfähigen öffentlichen Verkehrsmitteln wird sich auch der Individualverkehr verändern. Auch flächendeckend verfügbare Ladesäulen fürs Auto und fürs Fahrrad – und hoffentlich: viele neue Radwege – werden zu den Dingen gehören, die das Gesicht unseres Landes im Alltag verändern.

Auch die Ergebnisse der Verkehrswende werden wir also in wenigen Jahren sehen – und hören.

Ja, das Land wird sein Gesicht verändern, und vieles, was uns heute altvertraut erscheint, wird uns in neuer Form begegnen.

Ein Beispiel dafür wird die Krankenhauslandschaft sein. Wir sind uns alle einig, dass wir eine gute und hochwertige medizinische Versorgung in allen Regionen unseres Landes brauchen. Aber die Behandlungszentren von morgen werden sich in vielerlei Hinsicht vom klassischen Kreiskrankenhaus unterscheiden.

Erstens, weil sie stationäre und ambulante Behandlung in Kombination anbieten –

ein Ergebnis des medizinischen Fortschritts, der uns heute viele stationäre Aufenthalte erspart,

und zugleich eine große Chance, auch künftig die ganze Breite medizinischer Angebote in allen Regionen des Landes zu sichern.

Und zweitens, weil die Telemedizin immer mehr Möglichkeiten bietet, auch in kleineren Krankenhäusern und Behandlungszentren am

Know-how von Spitzenmedizin und -forschung teilzuhaben.

Nicht nur das Gesicht des Landes wird sich verändern, sondern auch die Gesichter der Menschen, die hier leben.

Denn zu den Chancen, die eine neue Bundesregierung bietet, gehört auch eine neue, moderne Zuwanderungspolitik – im Interesse unseres Wohlstandes. Die rechtlichen Voraussetzungen wurden in der letzten Wahlperiode im Bund im Wesentlichen schon geschaffen, aber sie müssen jetzt auch offensiv genutzt werden. Dazu gehört eine Willkommenskultur in allen Regionen Sachsen-Anhalts.

Denn es sind ja heute meist nicht die Arbeitsplätze, die uns fehlen, sondern die Menschen, die sie ausfüllen.

Es ist unabweisbar: Wir brauchen zusätzliche Fachkräfte, ob im Tourismus, in der Industrie oder in vielen Dienstleistungsbereichen. Nicht der Geburtsort ist dabei entscheidend, sondern Qualifikation und Einsatzbereitschaft.

Wenn wir die Voraussetzungen dafür hinbekommen, dass Menschen aus anderen Bundesländern, aus der Europäischen Union, aber genauso auch aus anderen Ländern Chancen für sich und ihre Familien in Sachsen-Anhalt sehen und ergreifen, dann bringen wir unser Land ein gutes Stück voran.

Umbrüche hat unsere Gesellschaft schon viele durchgemacht. Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen wir – im Land, im Bund und zukünftig hoffentlich im Bundeskanzleramt – dafür ein, dass es bei den jetzt vor uns liegenden Veränderungen in der Industriegesellschaft gerecht zugeht:

Dass es gute Entwicklungsbedingungen für Stadt und Land gleichermaßen geben muss, hatte ich schon gesagt.
 
Genauso müssen wir dafür sorgen, dass die Energiewende nicht (nur) auf dem Null-Energie-Stadthaus und dem Tesla vor der Tür beruht, sondern dass auch Mieterinnen und Mieter, Pendlerinnen und Pendler daran teilhaben.
 
Funktionieren kann das nur, wenn Klimaschutz zugleich ein industriepolitisches Projekt ist, ein Programm des sozial-ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft.
 
Für uns in Ostdeutschland und Sachsen-Anhalt bedeutet das insbesondere, dass die neuen, klimaneutralen Industrieinvestitionen dort ankommen, wo Arbeitsplätze in der traditionellen Energiewirtschaft wegfallen. Das Revier, seine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen dafür bereit.
 
Und zur Gerechtigkeit gehört natürlich auch, dass die öffentlichen Kosten des Umbaus, genauso wie die Folgekosten der Corona-Krise, solidarisch verteilt werden. Wie immer gilt: Starke Schultern können und müssen mehr tragen als schwache.
 
Ich will zum Schluss einen Punkt nennen, wo wir ganz besonders auf positive Veränderungen im Bund setzen. Neben vielen anderen Folgen hat die Corona-Krise auch dazu geführt, dass ehrenamtliches Engagement schwieriger geworden ist. Viele Freiwillige haben sich zurückgezogen, und wir wissen noch nicht, ob wir alle zurückgewinnen können.

Wir unterstützen das im Land mit der Ehrenamtsstrategie. Was wir jetzt noch brauchen, ist Rückenwind aus dem Bund.

Es war fatal, dass das vom SPD-geführten Bundesfamilienministerium fertig ausformulierte Demokratiefördergesetz in der Großen Koalition blockiert wurde. Gerade die, die sich unter schwierigen Bedingungen für unsere Demokratie stark machen, die Rechtsextremisten entgegentreten und Menschen über Verschwörungstheorien aufklären, brauchen ein solches Gesetz, dass ihre Arbeit dauerhaft sichert.

Bevor sich jemand das mit den Frühaufstehern ausdachte, warb Sachsen-Anhalt für sich mit dem Motto:

Land der Reformation –

Land der Reformen

Ein kluges Motto, weil es das große geistesgeschichtliche Erbe Mitteldeutschlands mit einem nach vorne gerichteten Gestaltungsanspruch für heute verband.

Ich bin mir sicher:

Wenn wir Reformen mutig anpacken und die Aufbruchstimmung von heute in die nächsten Jahre mitnehmen, dann bringen wir unser Land gemeinsam voran,

im Bund genauso wie hier bei uns.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit“