Sonntag, den 22. März 2020
Der Kläger verlangt von der Volkswagen AG als Herstellerin Schadenersatz im
Zusammenhang mit dem Erwerb eines gebrauchten Dieselfahrzeugs. Am 09.08.2014 erwarb
er einen Pkw VW Golf zu einem Kaufpreis von 13.300,00 EUR als Gebrauchtwagen. Das in
die Schadstoffklasse Euro-5 eingestufte Fahrzeug verfügt über einen Motor des Typs EA 189.
Dieser war mit einer Software ausgestattet, die unterscheiden konnte, ob das Fahrzeug einen
Prüfstandlauf durchfährt oder aber im normalen Straßenverkehr bewegt wird. Nur im
Prüfstandlauf lief der Motor in einem Modus, bei dem die Schadstoffgrenzwerte der EURONorm 5 in den in die Umgebungsluft abgegebenen Abgasen eingehalten wurden. Konnte die
Software hingegen erkennen, dass sich das Fahrzeug im normalen Straßenverkehr bewegt,
wurde das Abgasrückführungssystem in einen Modus mit einer geringeren
Abgasrückführungsrate geschaltet, die der Euro- 5-Abgasnorm widersprach
Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) ordnete mit Bescheid vom 15.10.2015 den Rückruf der
betroffenen Fahrzeuge an, worauf der Kläger zur Herstellung der Euro-5-Abgasnorm ein
Software-Update einspielen ließ. Der Kläger hatte beim Landgericht Bremen auf Rückzahlung
des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs geklagt und vorgetragen, die
Beklagte habe wegen der Verwendung der Abschaltsoftware vorsätzlich und sittenwidrig
gehandelt. Er sei von ihr arglistig getäuscht worden. Das Landgericht hatte der Klage
überwiegend stattgegeben und die Beklagte wegen sittenwidriger Schädigung verurteilt, an
den Kläger € 8.181,40 Zug um Zug gegen Rückübereignung des VW Golf zu zahlen. Allerdings
müsse sich der Kläger die in der Besitzzeit gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Dadurch
verminderte sich sein Rückzahlungsanspruch.
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien wechselseitig Berufung eingelegt
Das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen - 2. Zivilsenat - hat ebenso wie die
Vorinstanz einen Schadenersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 826
BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung bejaht.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts haftet die Beklagte als Herstellerin dafür,
dass sie einen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Dieselmotor
produziert, eingebaut und in den Verkehr gebracht hat. Allein schon die Tatsache, dass
das Fahrzeug mit einem Motor versehen wurde, der nur auf dem Prüfstand einen
normgerechten Schadstoffausstoß aufwies, während aufgrund einer
„Abschalteinrichtung“ im Normalbetrieb die Normwerte nicht erreicht wurden, zeige die
auf Täuschung angelegte Konzeption.
Der Schaden des Klägers bestehe darin, dass dieser, als er das Fahrzeug erwarb, mit
einer ungewollten Kaufverbindlichkeit überzogen wurde, die ihm auch einen
wirtschaftlich relevanten Nachteil brachte. Denn mit dem Kauf ging er gegen seinen
Willen das Risiko einer öffentlich-rechtlichen Nutzungsuntersagung ein. Bei gehöriger
Aufklärung über die Zusammenhänge hätte der Kläger von seiner Kaufentscheidung
abgesehen. Der Schaden falle auch mit dem späteren Aufspielen eines SoftwareUpdate nicht weg. Die Möglichkeit, nachteiliger Auswirkungen auf das Fahrzeug sei
nicht ausgeräumt.
Das Täuschungsvorgehen der Beklagten war nach Auffassung des
Oberlandesgerichts auch sittenwidrig. Dabei sei besonders gravierend, dass VW in
einem breit angelegten jahrelangen systematischen Manöver aus Streben nach
Gewinnmaximierung und Wettbewerbsvorteilen eine hohe Zahl von Käufern täuschte,
einen entsprechend exorbitanten Schaden herbeiführte und darüber hinaus das
bislang hohe Vertrauen des Verkehrs in die Marke Volkswagen missbrauchte.
Dass sich im konkreten Fall die Täuschung „nur“ auf dem Gebrauchtwagenmarkt
ausgewirkt habe, spiele dabei keine Rolle. Der weite Kreis der Gebrauchtwagenkäufer
sei in gleicher Weise wie die Erstkäufer betroffen.
Das Verhalten der Beklagten sei als vorsätzlich und in Hinblick auf den Schaden als
leichtfertig einzustufen. Dafür sei auf ihre verfassungsmäßig berufenen Vertreter
abzustellen. Der Kläger müsse die handelnden Organe und Personen nicht konkret
benennen.
Allerdings kann die Klägerseite, wie das Oberlandesgericht erläutert, nicht die
Rückerstattung des gesamten Kaufpreises verlangen. Der Kläger, der mit dem
Fahrzeug bis zum letzten Gerichtstermin 77.605 km gefahren ist, muss sich vielmehr
seine Nutzungsvorteile anrechnen lassen. Um diese zu berechnen, hat das
Oberlandesgericht im Wege der Schätzung als angemessenen Durchschnittswert eine
hypothetische Gesamtlaufleistung von 300.000 km zugrunde gelegt.
Anschaffungskaufpreis und gefahrene Kilometer fließen zusätzlich in die Berechnung
ein.
Zusätzlich zu der Rückerstattung Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs kann
der Kläger Zinsen ab Zahlungsverzug der Beklagten verlangen. Dagegen gibt es die
Zinsen allerdings nicht, so wie es der Kläger verlangt hatte, schon ab dem
Kaufzeitpunkt. Denn hierfür fehlt es nach Auffassung des Oberlandesgerichts an einer
gesetzlichen Grundlage.
Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache und die noch bestehenden
unterschiedlichen Auffassungen zu einigen Rechtsfragen in der obergerichtlichen
Rechtsprechung hat das Oberlandesgericht die Revision zum BGH zugelassen.
Urteil vom 06.03.2020
Aktenzeichen 2 U 91/19